NADER UND SIMIN – EINE TRENNUNG | Jodaeiye Nader az Simin
Filmische Qualität:   
Regie: Asghar Farhadi
Darsteller: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Sareh Bayat, Sarina Farhadi, Babak Karimi, Ali-Asghar Shahbazi, Shirin Yazdanbakhsh
Land, Jahr: Iran 2011
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2011
Auf DVD: 1/2012


José García
Foto: Alamode

Beim Wettbewerb der diesjährigen Berlinale spielte der Iran eine herausragende Rolle. Zum einen, weil dem als Jury-Mitglied vorgesehenen iranischen Regisseur Jafar Panahi die Ausreise verwehrt wurde, sodass sein Sitz in der Internationalen Jury demonstrativ leer blieb. Zum andern, weil es gerade ein iranischer Film war, der alle anderen Wettbewerb-Filme überstrahlte: Asghar Farhadis nun im regulären Kinoprogramm anlaufender Spielfilm „Nader und Simin – Eine Trennung“ wurde nicht nur vom Publikum und Kritikern umjubelt.

Das Drama gewann darüber hinaus den Goldenen Bären für den besten Film sowie je einen Silbernen Bären für das weibliche und das männliche Schauspieler-Ensemble. Nader (Peyman Moadi) und Simin (Leila Hatami) sitzen nebeneinander vor einem Familienrichter, dessen Standpunkt die Kamera übernimmt, sodass der Zuschauer in engen Bildausschnitten die Gesichter des Paares in Großaufnahme beobachtet. Weil Simin das Land mit ihrer Tochter verlassen, aber ihr Mann Nader bleiben will, begehrt die junge Frau die Ehescheidung. Nader hat gute Gründe, im Iran zu bleiben: Er möchte seinen an Alzheimer leidenden Vater (Ali-Asghar Shahbazi) nicht zurücklassen. Als der Richter (Babak Karimi) Simin die Scheidung verwehrt, zieht sie zurück zu ihren Eltern. Die elfjährige Tochter Termeh (Sarina Farhadi) bleibt zunächst beim Vater.

Zur Pflege seines Vaters stellt Nader die strenggläubige Muslimin Razieh (Sareh Bayat) ein. Sie nimmt die Stelle ohne die eigentlich erforderliche Erlaubnis ihres jähzornigen und hoch verschuldeten Ehemannes Hodjat (Shahab Hosseini) an, weil die Familie das Geld dringend braucht. Zum Konflikt kommt es, als Nader eines Tages seinen Vater bewusstlos und ans Bett gebunden vorfindet – Razieh musste dringend zu einem Termin und wusste sich nicht anders zu helfen. Nader kündigt ihr und schubst im Zorn Razieh aus der Wohnung hinaus. Tags darauf erfährt Nader und mit ihm der Zuschauer, dass die junge Frau dabei stürzte und ihr Kind verlor, denn sie war im vierten Monat schwanger. Raziehs Mann zieht vor Gericht: Für ihn steht fest, dass Nader seinen Sohn ermordet hat. Nader bestreitet, von Raziehs Schwangerschaft gewusst zu haben. Außerdem besteht er auf einem Beweis, dass der Sturz der Pflegerin tatsächlich vom Gerangel vor der Wohnungstür verursacht wurde.

Obwohl die Wahrheitsfindung durchaus im Vordergrund des Filmes von Asghar Farhadi steht, handelt es sich bei „Nader und Simin – Eine Trennung“ keineswegs um einen Gerichtsfilm. Asghar Farhadi bietet vielmehr einen Einblick in eine iranische Gesellschaft voller Kontraste. Denn hier prallen zwei gesellschaftliche Schichten aufeinander: Auf der einen Seite die gebildeten, religionsfernen Nader und Simin, auf der anderen die strenggläubigen und bildungsfernen Razieh und Hodjat. Was sich auf dem Papier wie eine soziologische Versuchsanordnung liest, wird in Farhadis Inszenierung seines selbstverfassten Drehbuchs zu einer überaus spannenden Geschichte.

Dabei inszeniert der 1972 in Isfahan, Iran geborene Regisseur im Vergleich zu anderen iranischen Filmemachern, etwa Majid Majidi („Kinder des Himmels“, 1997; „Die Farben des Paradieses“, 1999) oder Abbas Kiarostami („Der Geschmack der Kirsche“, 1997; „Ten“, 2002), seinen Film durchaus konventionell. Die Handkamera von Mahmood Kalari wirkt lediglich zu Beginn etwas hektisch, verleiht dem Film sonst zusammen mit dem unauffälligen, aber dennoch wirkungsvollen Schnitt von Hayedeh Safiyari eine Dynamik, die auf den Einsatz von Filmmusik verzichtet.

Weil Asghar Farhadi in seinem Film um Gerechtigkeit ringende Richter und verständnisvolle Polizisten zeigt, wurde ihm von einem Teil der Filmkritiker Regime- treue vorgeworfen. Dies mag, insbesondere im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Verhaftung des iranischen Filmregisseurs Jafar Panahi, einer besonderen Erwartungshaltung des Westens geschuldet sein, die lediglich den (Film-)Werken von Dissidenten Kunststatus anzuerkennen bereit ist. Drehbuchautor und Regisseur Asghar Farhadi verdeutlicht anhand von fein nuancierten Figuren, wie unterschiedlich konkrete Menschen innerhalb einer solchen Diktatur ihr Leben gestalten können. Die Gegenüberstellung der gegensätzlichen Familien hätte leicht zu holzschnittartigen Figuren führen können. Dass diese Charaktere jedoch widersprüchliche Eigenschaften aufweisen, in ihrem Handel aber stets glaubwürdig wirken, verdankt Farhadi größtenteils den ausgezeichneten, im Westen weitgehend unbekannten Schauspielern.

Über den Einblick in die Beziehungen von Mann und Frau sowie in die Rolle der Bildung in der iranischen Gesellschaft hinaus behandelt „Nader und Simin – Eine Trennung“ ebenfalls allgemeingültige Fragen wie Schuld, Verantwortung und Moral bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Gewinner des Goldenen Bären bei der Berlinale 2011 handelt nicht zuletzt auch vom Schmerz einer Elfjährigen, die durch die Trennung ihrer Eltern zwischen Vater und Mutter zu wählen hat.
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