BARNEYS VERSION | Barney’s Version
Filmische Qualität:   
Regie: Richard J. Lewis
Darsteller: Paul Giamatti, Dustin Hoffman, Rosamund Pike, Minnie Driver, Rachelle Lefevre, Scott Speedman, Bruce Greenwood, Macha Grenon
Land, Jahr: Kanada / Italien 2010
Laufzeit: 134 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, X
im Kino: 7/2011
Auf DVD: 10/2011


José García
Foto: Universal

Die Bilanzierung des eigenen Lebens stellt innerhalb der autobiografischen Literatur eine Art Subgenre dar, das gerne auch für die große Leinwand adaptiert wird. Meistens steht im Mittelpunkt einer solchen Retrospektive der Wunsch, für eine weit in der Vergangenheit zurückliegende Verfehlung Sühne zu leisten, so etwa in Joe Wrights „Abbitte“ (siehe Filmarchiv), der Filmfassung des gleichnamigen Romans (Originaltitel „Atonement“, 2001) des britischen Schriftstellers Ian McEwan. Lajos Koltais „Spuren eines Lebens“ (siehe Filmarchiv), die Verfilmung des Romans „Hochzeitsnacht“ (Originaltitel: „Evening“, 1998) der amerikanischen Autorin Susan Minot, handelt wiederum von einer Frau, die sich auf dem Sterbebett über ein Versäumnis aus ihrer Jugend Rechenschaft gibt.

Der nun anlaufende Spielfilm „Barneys Version“ von Michael Konyves (Drehbuch) und Richard J. Lewis (Regie) erzählt frei nach Mordecai Richlers satirischem Roman „Barney’s Version“ („Wie Barney es sieht“, 1997) die Lebensgeschichte des Fernsehproduzenten Barney Panofsky (Paul Giamatti) aus seiner subjektiven Sicht. Der Chef einer Produktionsfirma für seichte Fernseh-Schmonzetten mit dem bezeichnenden Namen „Totally Unnecessary Productions“ („Völlig überflüssige Produktionen“) fühlt sich dazu genötigt, nachdem sein Erzfeind, der ehemalige Polizist O’Hare, seine Memoiren veröffentlicht hat. Denn darin offenbart er einige der dunkelsten Kapitel aus Barneys Leben: undurchsichtige Geschäfte, drei gescheiterte Ehen und insbesondere das ungeklärte Verschwinden von Barneys bestem Freund Boogie (Scott Speedman). In diesem ungelösten Fall, möglicherweise ein Mord, gilt Barney noch immer als Hauptverdächtiger. Deshalb entscheidet sich der TV-Produzent, nun seine Version der Geschichte zu erzählen – soweit er sich erinnern kann. Denn die frühen Alkoholexzesse und eine beginnende Demenz lassen sein Gedächtnis immer wieder im Stich.

In Rückblenden erzählt, besteht „Barneys Version“ aus drei Teilen, die den drei Ehefrauen des Protagonisten jeweils zugeordnet sind: Im Rom der siebziger Jahre heiratet er das Hippie-Mädchen Clara Charnofsky (Rachelle Lefevre), die es jedoch mit der Treue nicht genau nimmt und dann auch noch Selbstmord begeht. Zurück im heimischen Montreal, wo er in die Produktionsfirma seines Onkels einsteigt, heiratet der Antiheld eine „jüdische Prinzessin“ (Minnie Driver), die Tochter eines reichen Unternehmers, die lediglich als „zweite Mrs. P.“ bezeichnet wird. Ausgerechnet während der Hochzeit lernt Barney die Liebe seines Lebens kennen, Miriam (Rosemunde Pike). Jahrelang bemüht er sich um sie, bis sich die „2. Mrs. P.“ von ihm scheiden lässt und Miriam einwilligt. Jahre des Glücks folgen, in denen Barneys zwei Kinder geboren werden, bis schließlich Miriam ihn verlässt, um ihren Kollegen Blair (Bruce Greenwood) zu heiraten. Abgesehen von seiner großen Liebe Miriam spielen in Barneys Leben zwei Männer eine wichtige Rolle: Mit dem Frauenheld Boggie verbindet ihn eine aufrichtige Freundschaft… bis zum erwähnten Tag, an dem Boggie – vielleicht durch Barneys Verschulden – in einem See für immer verschwindet. Zu seinem hemdsärmeligen Vater Izzy Panofsky (Dustin Hoffman) unterhält Barney ebenfalls ein sehr gutes Verhältnis.

In dramaturgischer Hinsicht könnte den Filmemachern vorgeworfen werden, dass die Kriminalgeschichte um Boggies Verschwinden, die ja der Anlass für Barneys Erinnerung gewesen war, zu sehr in den Hintergrund tritt. Obwohl sie auch aufgelöst wird, geschieht dies zu einem Zeitpunkt, in dem sie kaum noch das Interesse des Zuschauers weckt. Unterstützt von den meistens in warmes Licht getauchten Bildern des Kameramanns Guy Dufaux und dem exquisiten Produktionsdesign von Claude Paré gilt das Hauptaugenmerk von Regisseur Lewis jedoch der Figurenzeichnung, insbesondere des Protagonisten Barney Panofsky. Dabei stellt Paul Giamatti seine großartige Wandlungsfähigkeit unter Beweis: Das Altern seiner Figur gelingt nicht nur dank der Maske, sondern besonders durch die gesamte Körpersprache des Schauspielers, der den 70-Jährigen mit leicht gebückter Haltung und gemessenen Bewegungen darstellt. Paul Giamatti schafft es aber darüber hinaus, Barney in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zum Leben zu erwecken: Der erfolgreiche Geschäftsmann, der gegenüber Mitarbeitern rücksichtslos seinen Willen durchsetzt, erweist sich andererseits als verletzlicher Romantiker. Vielen Figuren aus Woody Allen-Filmen ähnlich, besteht Barneys Tragik darin, das lang ersehnte Glück nicht genießen zu können – aus lauter Angst, es wieder zu verlieren.

Trotz seines durchgängigen, teils bissigen Humors stellt sich „Barneys Version“ eher als eine Tragikomödie heraus, bei der die ständige Suche nach Glück letztlich zu großer Einsamkeit führt. Vielleicht ist diese pessimistische Sicht der „conditio humana“ darauf zurückzuführen, dass sich Barney im Unterschied etwa zu den Protagonistinnen von „Abbitte“ oder „Spur eines Lebens“ nicht bereit zeigt, eigene Fehler einzugestehen.
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