TOAST | Toast
Filmische Qualität:   
Regie: SJ Clarkson
Darsteller: Helena Bonham Carter, Freddie Highmore, Ken Stott, Victoria Hamilton, Oscar Kennedy, Ben Aldridge, Matthew McNulty, Selina Cadell, Clare Higgins, Colin Prockter
Land, Jahr: Großbritannien 2010
Laufzeit: 96 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: D, S
im Kino: 8/2011


José García
Foto: MFA +

Trotz aller Bemühungen der „Gender Mainstreaming“-Ideologie sind Mädchen in „Männerberufen“ noch heute weiterhin selten. Andernfalls wäre ein „Girl’s Day“, wie sie zuletzt im April 2011 stattfand, völlig überflüssig. Gewährt seit Jahren ein solcher, immer wiederkehrender Aktionstag Mädchen zwischen elf und 15 Jahren Einblicke in naturwissenschaftliche, (informations-)technische und handwerkliche Berufe, so wurde 2011 erstmal in der Bundesrepublik ein „Boy’s Day“ oder Jungen-Zukunftstag mit dem Ziel veranstaltet, Jungen Berufe näherzubringen, in denen Männer bisher rar sind. Doch die Resonanz auf das Angebot stellte sich laut etwa der Badischen Zeitung als „sehr mager“ heraus.

Die Widerstände, die Mitte der achtziger Jahre ein elfjähriger Junge überwinden musste, um sich in einem solchen „Mädchenberuf“ zu behaupten, griff das Kino insbesondere im britischen Spielfilm „Billy Elliot – I Will Dance” (2000) auf. Das Drehbuch zu Stephen Daldrys Regiedebüt schrieb damals Lee Hall, der sich dafür durch das Leben des professionellen Balletttänzers Philip Mosley inspirieren ließ. Nun hat Lee Hall das Skript zum Spielfilm „Toast“ verfasst, das die Autobiographie des in Großbritannien beliebten Restaurantkritikers und Kochs Nigel Slater „Toast“ (deutscher Titel: „Halbe Portion. Wie ich lernte, die englische Küche zu lieben“, 2005) für die große Leinwand adaptiert. Regie führt SJ Clarkson, die bislang ausschließlich für das Fernsehen gearbeitet hatte.

„Toast“ erzählt von der Kindheit und der Jugend des 1958 im englischen Wolverhampton geborenen Slater, insbesondere aber davon, wie der Starkoch seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckte. Mitte der sechziger Jahre träumt der 8-jährige Nigel Slater (Oscar Kennedy) von Käsekuchen und frischen Würsten. Zu Hause bekommt er allerdings kaum etwas mehr zu essen als Toast, denn all die Kochversuche seiner geliebten Mutter (Victoria Hamilton), selbst die Zubereitungen aus Konservendosen, scheitern kläglich. Die Versuche des Achtjährigen, der unter der Bettdecke in Kochbüchern heimlich schmökert, etwa mit Spaghetti Bolognese etwas Abwechslung in die Speisekarte der Familie hineinzubringen, sind ebenso zum Scheitern verurteilt. Das ohnehin gespannte Verhältnis zu seinem Vater (Ken Stott) verschlechtert sich noch, als dieser den Gärtner Josh entlässt, bei dem sich Nigel stets verstanden fühlte.

Als Nigels Mutter kurz vor Weihnachten an einem Lungenleiden stirbt, versuchen sich zwar Vater und Sohn über die Ernährung näherzukommen, aber auch diese besten Absichten führen zu Sprachlosigkeit und Entfremdung. Erst als Nigels Vater Mrs Potter (Helena Bonham Carter) als Reinigungskraft einstellt, kommt wieder Leben ins Haus. Denn Mrs Potter entpuppt sich als fantasievolle Köchin, deren Zitronen-Baiser-Torte Nigels Vater betört. Bald hat die einfachen Verhältnissen entstammende Mrs Potter ihr Ziel erreicht: Durch die Heirat mit dem Witwer in die Mittelklasse aufzusteigen. Nachdem die Drei aufs Land ziehen, kann Nigel (nun von Freddie Highmore dargestellt) in der neuen Schule den Hauswirtschaftsunterricht besuchen. Dort erlernt er die Kunst, mit der er seine Stiefmutter zum erbitterten Konkurrenzkampf um die Gunst seines Vaters herausfordern kann.

Ähnlich „Billy Elliot – I Will Dance” handelt „Toast“ von den ungewöhnlichen Interessen eines Jungen: Wie in dem Tanzfilm von Stephen Daldry wird auch der 14-jährige Nigel im Haushaltskurs als einziger Junge von den Mädchen zunächst skeptisch beäugt – bis er sich als der bessere Koch herausstellt. Regisseurin SJ Clarkson entgeht auch nicht dem Klischee der Homosexualität: Offenbarte sich in „Billy Elliot“ Billys bester Freund Michael immer mehr als homosexuell, so geht „Toast“ in einer kurzen Episode, die für die Handlung keinerlei Bedeutung besitzt, auch darauf ein. An dieser episodischen Dramaturgie, die für die Figurenzeichnung wenig Raum lässt, erkennt der Zuschauer den Ursprung von „Toast“ als Fernsehproduktion für die BBC.

Regisseurin SJ Clarkson legt größten Wert auf das bis in die Details sorgfältige Produktionsdesign mit den bunten Kleidern und Einrichtungsgegenständen aus den siebziger Jahren. Ebenso ausdrucksvoll nehmen sich die Bildausschnitte und die verspielte Musik aus, die sich zusammen mit den zugespitzten Kameraeinstellungen und den typischen 360 Grad-Drehungen an „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (Jean-Pierre Jeunet, 2001) unmissverständlich anlehnen. Leider schrammt auch die Filmmusik an einigen Stellen knapp am Kitsch vorbei.

Schauspielerisch überzeugt insbesondere Helena Bonham Carter. Obwohl ihre Figur nicht weniger karikaturhaft anleget ist als die von Nigels Vater, gelingt es der britischen Darstellerin, sie mit nuanciertem Spiel aus der Schublade der „bösen Stiefmutter“ herauszuholen und zur eigentlichen Hauptfigur des Films zu machen. Demgegenüber enttäuscht Freddie Highmore, der als Kind in Marc Forsters „Wenn Träume fliegen lernen“ (2004) eine starke Vorstellung geliefert hatte, durch mangelnden Gesichtsausdruck, worunter die Authentizität von „Toast“ merklich leidet.
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