FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEER | Fliegende Fische
Filmische Qualität:   
Regie: Güzin Kar
Darsteller: Meret Becker, Elisa Schlott, Barnaby Metschurat, Hans-Peter Müller-Drossaart, Mona Petri
Land, Jahr: Schweiz / Deutschland 2011
Laufzeit: 84 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2011
Auf DVD: 3/2012


José García
Foto: Movienet

Etwas vereinfacht könnte die Pubertät als die Zeit bezeichnet werden, in der Kinder ihre Eltern plötzlich peinlich finden. So ergeht es in der schweizerisch-deutschen Komödie „Fliegende Fische müssen ins Meer“ der knapp 16-jährigen Nana (Elisa Schlott), die mit ihrer alleinerziehenden Mutter Roberta (Meret Becker) und ihren Halbgeschwistern in einem kleinen Dorf nahe der deutsch-schweizerischen Grenze am Hochrhein lebt. Eine kindliche Offstimme drückt es zu Beginn von „Fliegende Fische müssen ins Meer“ auf jugendlich-derbe Art ziemlich deutlich aus. In dem Alter, in dem in den westlichen Gesellschaften die meisten Jugendlichen gegen die Ordnung zu Hause rebellieren, muss Nana indes selbst für Ordnung sorgen. Denn bei ihnen zu Hause sind die Rollen vertauscht: Ihre Mutter Roberta, die drei Kinder von drei verschiedenen Männern hat, benimmt sich noch immer ziemlich pubertär, wohingegen Nana für sich und ihre Geschwister sorgt und darüber hinaus als Schleusenwärterin den Familien-Lebensunterhalt verdient, den die Mutter mit ihren Gelegenheitsjobs kaum aufzubringen in der Lage ist.

Irgendwann einmal schaltet sich das Jugendamt in Form eines Ultimatums ein: Dreißig Tage bleiben Roberta, um sich eine feste Arbeitsstelle zu suchen und ihr Familienleben in den Griff zu bekommen. Andernfalls wird ihr das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Diese würden dann in unterschiedlichen Heimen untergebracht. Nana und ihre Schwester Tatjana (Alia Duncan) finden, dafür braucht ihre Mutter unbedingt einen verständnisvollen Mann an ihrer Seite. Ihre Wahl fällt auf den gerade zugezogenen Arzt Eduardo (Barnaby Metschurat). Dieser interessiert sich bald für Nanas Zukunft und ermutigt sie, an ihrem Traumberuf als Schiffskapitänin festzuhalten. Eduardo beginnt, mit ihr für die Aufnahmeprüfungen zu üben, und nach und nach verliebt sich das Mädchen in den viel älteren Mann. Als Roberta es merkt, erkennt sie vielleicht erstmals so richtig ihre Verantwortung als Mutter. Robertas Wendung bleibt dem Chorleiter Karl Hauser (Hanspeter Müller-Drossaart) nicht verborgen, der sich seinerseits für die einstige Außenseiterin zu interessieren anfängt.

Die türkischstämmige Drehbuchautorin Güzin Kar liefert in ihrem Regiedebüt eine Mischung aus Realität und Traumwelt, die allerdings der Dramaturgie nicht immer zuträglich ist. Inszenatorische Mittel wie schnellgeschnittene Szenen oder der Einsatz eines Fischaugeobjektivs im Jugendamt wirken auch kaum neu. Darüber hinaus nehmen sich manche Dialoge arg gestelzt aus, wozu die (Teil-)Synchronisierung aus dem Schweizerdeutschen sicherlich auch ihren Teil beiträgt. Dennoch: Kameramann Benjamin Dernbecher gelingen immer wieder schön-farbenfrohe Bilder und originelle Einstellungen. Diese betont skurrile Inszenierung unterstreicht das Märchenhafte, ohne deshalb das Dramatische allzu sehr in den Hintergrund zu verdrängen, und vor allem ohne die Figuren bloßzustellen: „Ernste Themen werden auf leichtfüßige Art behandelt, Komik und Tragik liegen dicht beieinander“, führt dazu Regisseurin Güzin Kar selbst aus.

Zwar erzählt „Fliegende Fische müssen ins Meer“ keine neue Geschichte über „dysfunktionale Familien“, zwar erreicht Güzin Kar kaum die atmosphärische Dichte ihrer erklärten Vorbilder, etwa „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“ (Lasse Hallström, 1993). Was diese Mutter-Tochter-Komödie jedoch sehenswert macht, ist die schauspielerische Leistung sowohl der erst 17-jährigen Elisa Schlott als auch von Meret Becker. Sie verkörpert ihre Figur mit all ihren Widersprüchen glaubwürdig: Trotz aller Gedankenlosigkeit hat sich Roberta eine gewisse Naivität bewahrt. Unter der frivol-unsteten Lebensführung schlummert ein gutes Herz, das sich etwa in ihrer Verehrung der Muttergottes, insbesondere aber auch in der Liebe zu ihren Kindern ausdrückt. Meret Becker entgeht der Versuchung, mit einem Übermaß an Manierismen ihre Figur als Karikatur zu gestalten. Sie macht vielmehr Robertas Wandel glaubhaft: Während Tochter Nana ihren eigenen Weg zu gehen und ihren Traum zu verwirklichen lernt, kann die 38-Jährige endlich die Pubertät hinter sich lassen – aus Liebe zu ihrer Tochter.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren