CAIRO TIME | Cairo Time
Filmische Qualität:   
Regie: Ruba Nadda
Darsteller: Patricia Clarkson, Alexander Siddig, Elena Anaya, Tom McCamus, Amina Annabi, Andrew Cullen, Mona Hala, Fadia Nadda
Land, Jahr: Kanada / Irland / Ägypten 2009
Laufzeit: 88 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2011
Auf DVD: 2/2012


José García
Foto: Alamode

Zu den Topoi „kleinerer“ Filme gehört es, dass sich ihr Protagonist aus welchen Gründen auch immer gezwungenermaßen eine Auszeit nehmen muss. Wenn zu diesen Umständen eine Begegnung in einer fremden Kultur hinzukommt, dann liegt es nahe, dass über das bisherige Leben nachgedacht wird, dass eine solche Begegnung nicht für möglich gehaltene Möglichkeiten eröffnet. Dies stellte die Ausgangssituation etwa in Sofia Coppolas zweiter Regiearbeit „Lost in Translation“ (2003) dar: In Tokyo begegnen sich eine junge Amerikanerin und ein um Einiges älterer Landsmann. Aus bestimmten Gründen haben sie alle Zeit der Welt, gemeinsam durch die fremde Kultur zu streifen, ihr bisheriges (Ehe-)Leben zu hinterfragen und sich näherzukommen, ehe sie der Alltag aus der eingefrorenen Zeit wieder herausreißt.

Einen ähnlichen Zustand erlebt in Ruba Naddas Spielfilm „Cairo Time“ die etwa 50-jährige amerikanische Modejournalistin Juliette Grant (Patricia Clarkson), die nach Kairo fliegt, um ihren dort für die UN tätigen Ehemann Mark (Tom McCamus) zu besuchen. Am Flughafen wird die gut aussehende Frau jedoch nicht von ihrem Mann, sondern vom dessen ehemaligen Mitarbeiter Tareq (Alexander Siddig) empfangen, weil Mark unvorhergesehen im Gazastreifen aufgehalten wurde. Juliette bleibt nichts anderes übrig, als zum Hotel zu fahren und dort auf Marks Anruf zu warten. Auch am Telefon kann er ihr allerdings nicht sagen, wann er endlich nach Kairo kommen kann. Um die Zeit des Wartens abzukürzen, macht sich Juliette allein auf, die Stadt zu erkunden. Sehr schnellt erfährt sie aber, dass es für eine Frau ohne Begleiter unmöglich ist, durch Kairo spazieren zu gehen, ohne von jungen Männern ständig mit unzüchtigen Bemerkungen belästigt zu werden. Deshalb wendet sich Juliette an Tareq, der sich bereit erklärt, ihr etwa auf einer Bootsfahrt auf dem Nil den orientalischen Zauber Kairos zu zeigen. Gemeinsam fahren sie außerdem zur Hochzeitsfeier der Tochter von Yasmeen (Amina Annabi), in die Tareq vor vielen Jahren verliebt war. Nur zu einem Ausflug zu den Pyramiden kann sich Juliette nicht entschließen. Denn diesen hat sie ihrem Ehemann Mark versprochen. Im Laufe ihrer gemeinsamen, eingefrorenen Zeit kommen sich Juliette und ihr charmanter Begleiter immer näher.

Die Kamera von Luc Montpellier hält das exotische Ambiente von Kairo in Totalen und in den bewegten Aufnahmen der belebten Straßen abwechselnd fest, ohne jedoch in Postkartenbildern zu schwelgen. Immer wieder kommt die Kamera indes den Figuren sehr nahe, um deren Stimmungen festzuhalten. Die Wandlung, die Juliette durch das Innehalten durchmacht, drückt sich vorwiegend in der Körpersprache, in Gesten und Blicken, aus. In der minimalistisch anmutenden Inszenierung erhält eine kleine Bemerkung große Bedeutung, etwa als Tareq das Magazin, für das Juliette arbeitet, als ziemlich seichte Publikation entlarvt. Darüber hinaus befindet sich Juliette, da ihre zwei Kinder aus dem Haus sind, in einer neuen Lebenslage, über die sie endlich Zeit hat nachzudenken. Und genau in diesem Augenblick führt sie der Zufall mit einem Mann zusammen, der auf sie zunächst sehr fremd, aber in seiner Fremdheit immer anziehender wirkt. Um den teilweise widersprüchlichen Gefühlen fast ohne Dialog Ausdruck zu verleihen, kann sich Regisseurin Ruba Nadda auf zwei exzellente Hauptdarsteller verlassen: Mit einer außerordentlichen Leinwandpräsenz tragen Patricia Clarkson und Alexander Siddig den ganzen Film.

Die 1972 als Tochter eines syrischen Vaters und einer palästinensischen Mutter in Montreal geborene Regisseurin Ruba Nadda liefert mit „Cairo Time“ eine romantische Geschichte, die heutigen westlichen Zuschauern nicht nur erzählerisch langsam, ja getragen, sondern darüber hinaus altmodisch anmuten kann. Dazu führt Regisseurin Nadda selbst aus: „Ich finde, dass westliche Filme oft nur noch einen kurzen erfüllenden Moment haben. Mit ‚Cairo Time’ wollte ich hingegen an die Geschichten von Jane Austen anknüpfen. Kairo selbst ist für mich wie eine Reise in diese Zeit, es ist eine sehr romantische Stadt. Außerdem finde ich, dass die Zurückhaltung und Beherrschung im Film ein sehr guter Gegenpol zu diesen modernen Zeiten ist, wo jeder Wunsch unmittelbar erfüllt wird.“

Auch wenn der gemeinsame Besuch der Pyramiden als eine Art Untreue gegenüber Juliettes Mann interpretiert werden könnte, kennzeichnen Zurückhaltung und Beherrschung die Beziehung zwischen dem perfekten „Gentleman alter Schule“ Tareq und einer Frau mittleren Alters, die ihren Mann mehr liebt als sie selbst vielleicht glaubt. Gerade weil sich die Protagonisten nicht vom momentanen Hochgefühl treiben lassen, weil sich „Cairo Time“ den üblichen Klischees romantischer Komödien widersetzt, wird Ruba Naddas Film zu einer ungewöhnlichen Romanze, die das Leben zweier Menschen verändert, ohne es zu zerrütten.
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