GIULIA GEHT ABENDS NIE AUS | Giulia non esce la sera
Filmische Qualität:   
Regie: Giuseppe Piccioni
Darsteller: Mastandrea, Valeria Golino, Sonia Bergamasco, Fabio Camilli
Land, Jahr: Italien 2009
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S, X
im Kino: 9/2011
Auf DVD: 2/2012


José García
Foto: Cine Global

Die Figuren, die das Filmuniversum des italienischen Regisseurs Giuseppe Piccioni bevölkern, leben isoliert in ihrer eigenen Welt. Diese Weltabgewandtheit drückte sich im wohl bekanntesten Film Piccionis, dem mit fünf italienischen Filmpreisen ausgezeichneten „Nicht von dieser Welt“ („Fuori dal mondo“, 1998), sogar im Filmtitel aus. Der sich vordergründig auf eine Ordensschwester (Margherita Buy) beziehende Titel, die sich vor der ewigen Profess endgültig zwischen der „Welt“ und dem Kloster entscheiden muss, trifft jedoch eher auf den von Silvio Orlando verkörperten einsamen Misanthropen zu.

Piccionis nächster Spielfilm „Licht meiner Augen“ („Luce dei miei occhi“, siehe Filmarchiv) handelte wiederum von einem leidenschaftlichen Leser von Science-Fiction-Romanen (Luigi Lo Cascio), der sich in seinem Leben wie auf einem fremden Planeten fühlt. Seine Liebe zu einer alleinerziehenden Mutter (Sandra Ceccarelli) bleibt deshalb unerwidert, weil diese genug Probleme damit hat, ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen. In „Das Leben, das ich immer wollte“ („La vita che vorrei“, siehe Filmarchiv), den Giuseppe Piccioni mit denselben Hauptdarstellern Sandra Ceccarelli und Luigi Lo Cascio drehte, lotet der italienische Regisseur erneut die Chancen der Liebe in einer durch Isolation gekennzeichneten, modernen Welt aus. Eine Begegnung zwischen zwei einsamen Menschen steht im Mittelpunkt des aktuellen Spielfilms von Giuseppe Piccioni „Giulia geht abends nie aus“ („Giulia non esce la sera“), dessen Drehbuch der 1953 geborene italienische Filmregisseur selbst zusammen mit Federica Pontremoli verfasste.

Der Schriftsteller Guido Montani (Valerio Mastandrea) ist zwar für einen wichtigen nationalen Literaturpreis nominiert, kann jedoch für sein neues Buchprojekt keine Inspiration finden. Dass niemand in Guidos Umgebung, nicht einmal seine Verlegerin, sein erstes Buch zu Ende gelesen hat, hängt wie ein Damoklesschwert über ihm. Weil er in seinem alten Umfeld konzentrierter zu arbeiten meint, bleibt der Autor in seinem schönen Haus auf dem Lande allein, während Frau Benedetta (Sonia Bergamasco) und Tochter Costanza (Domiziana Cardinali) nach Rom in eine geerbte Wohnung ziehen. Die Halbherzigkeit, mit der Guido seiner Frau nachzukommen verspricht, und die Bemerkung seiner pubertierenden Tochter, die Eltern aller ihrer Schulkameraden seien bereits geschieden, lassen den Zuschauer ahnen, dass Guido nicht nur beruflich vor einer wichtigen Entscheidung steht.
In diesem Moment der Antriebslosigkeit kommt es Guido gerade recht, dass seine Tochter nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen möchte. Er springt für sie ein, und verliebt sich bald in die Schwimmlehrerin Giulia (Valeria Golino). Im Wasser scheint Giulia in ihrem Element zu sein. Sonst bleibt die junge Frau allerdings verschlossen. Der Grund, warum Giulia abends nie ausgeht, bleibt etwa lange ihr Geheimnis.

Das Schwimmbad als hauptsächlicher Ort der Handlung, in dem kaum verbale Kommunikation stattfindet, stellt eine Metapher für die abgeschlossene Welt dar, in der sich die Figuren von „Giulia geht abends nie aus“ befinden. Aus ihrer Abkapselung brechen sie hauptsächlich durch die Vorstellungskraft aus: Unterbrach Piccioni etwa die Handlung in „Nicht von dieser Welt“ durch Gruppenaufnahmen, verknüpfte „Das Leben, das ich immer wollte“ die Liebesgeschichte zwischen zwei Schauspielern mit dem „Film im Film“, an dem sie gerade arbeiteten, so entwickeln in „Giulia geht abends nie aus“ Guidos erdachte Figuren ein Eigenleben. Weil auch sie von Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe getrieben werden, und darüber hinaus Giulia in Guidos erdichtete Welt Einzug zu nehmen scheint, verwischt sich die Grenze zwischen Realität und Fiktion immer wieder. Was Guido wirklich erlebt oder nur erdacht hat, bleibt unaufgelöst.

Trotz der reizvollen Nebenhandlung mit Guidos Tochter Costanza und ihrem geistreichen Freund Filippo ist „Giulia geht abends nie aus“ eigentlich ein Zwei-Personen-Stück, das von der glaubwürdigen Darstellung durch Valerio Mastandrea und Valeria Golino lebt. Die Kamera von Luca Bigazzi unterstützt ihr hervorragendes Schauspiel, indem sie die Hauptakteure immer wieder in Großaufnahme zeigt und ihnen dadurch die Möglichkeit bietet, durch Gesten und Blicke ihre Emotionen zu zeigen.

In „Giulia geht abends nie aus“ umkreist Giuseppe Piccioni erneut die Einsamkeit moderner Menschen. Wie in „Licht meiner Augen“ und teilweise auch in „In „Das Leben, das ich immer wollte“ kommen seine Figuren aus der Isolation nicht heraus: Giulia leidet unter der Tragödie in ihrer Vergangenheit, Guido unter der Unentschiedenheit im Beruflichen wie im privaten Leben. Wieder liegt über Piccionis Film eine melancholische Anmutung, eine schwermütige Sicht auf zwischenmenschliche Beziehungen.
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