NACH DER STILLE | After the Silence
Filmische Qualität:   
Regie: Jule Ott, Stephanie Bürger
Darsteller: (Mitwirkende): Yaël Armanet-Chernobroda, Zakaria Tobassi, Nadije Tobassi, Jenia Melts
Land, Jahr: Deutschland / Palästina 2011
Laufzeit: 82 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2011


José García
Foto: filmaggregate

Im März 2002 sprengte sich in einem Tel Aviver Restaurant der Selbstmordattentäter Shadi Tobassi in die Luft und riss 15 Menschen mit in den Tod. Unter ihnen befand sich Dov Chernobroda. Unter der Regie der jungen Filmemacherinnen Jule Ott und Steffi Bürger und produziert von Marcus Vetter, der 2008 beim preisgekrönten Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ (siehe Filmarchiv) Regie geführt hatte, entstand ein hochemotionaler Dokumentarfilm über die Annährung zwischen Dov Chernobrodas Witwe Yael Armanet-Chernobroda und den Eltern von Shadi, Um Amjad und Abo Amjad Tobassi, die in eine ungewöhnliche Freundschaft mündete: „Nach der Stille“ zeigt eindrucksvoll, dass Versöhnung ein Zusammenleben im Nahen Osten möglich machen kann.

Interview mit Produzent Marcus Vetter

Wie ist die Idee zu „Nach der Stille“ entstanden?

Den Anstoß kam 2008, als wir „Das Herz von Jenin“ uraufführten. Nach der Vorführung meldete sich eine Frau zu Wort. Sie sei von Ismael Khatib sehr beeindruckt, weil er, ein Palästinenser, die Organe seines getöteten Sohnes israelischen Kindern gespendet hatte. Deshalb wolle sie auch etwas zurückgeben: Auch sie habe ein schweres Schicksal erlitten, denn ihr Mann Dov sei bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen. Hätte er überlebt, hätte Dov ganz gewiss die Familie des Attentäters kennenlernen wollen. Diese Aussage fiel bei mir auf fruchtbaren Boden. Denn nach meinem Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ wurde der Vorwurf laut, er sei einseitig. Nun konnte ich die andere Seite erzählen. Yael Armanet-Chernobroda lieferte sozusagen die Antwort auf „Das Herz von Jenin“.

Wie kam es aber, dass Sie nicht selber Regie führten, sondern zwei jungen Frauen diese Aufgabe anvertrauten?

Ein großes Problem in Palästina ist das mangelnde Vertrauen. Nun, dies kennen wir auch in Europa: Niemand vertraut niemandem. Ein solches Projekt führt aber dazu, dass über Vertrauen nachgedacht wird. Es war letztlich der palästinensische Mit-Produzent Fakhri Hamad, der sagte: „Lasst uns den jungen deutschen Filmemacherinnen eine Chance geben“. Er war sehr glücklich über die Art und Weise, wie sie mit den Eltern des Selbstmordattentäters Shadi, Um Amjad und Abo Amjad Tobassi, umgegangen sind. Sie haben Vertrauen geschenkt, ohne etwas zu fordern. Dazu kommt, dass die Palästinenser sehr viel bekommen und dass sie kaum in der Lage sind, etwas zu geben. Ich meine aber, dass Geben auch zur Würde des Menschen gehört. Dadurch haben wir ihnen die Chance eingeräumt, selbst etwas zu geben.

Als Sie angefangen haben zu drehen, war der Ausgang noch ungewiss. Wann wussten Sie, dass das Projekt ein gutes Ende nehmen würde?

Jule Ott und Steffi Bürger haben, unterstützt von Manal Abdallah, zunächst drei Monate lang gedreht. Sie besuchten häufig die Familie Tobassi, sehr oft auch ohne Kamera. Dann kam der Tag, den wir alle fürchteten: Wir sollten Abo Amjad Tobassi endlich erzählen, dass die Geschichte auch eine andere, eine israelische Seite in der Person von Yael hatte. Das haben wir vor laufender Kamera getan. Und er antwortete: „Ja, es ist kein Problem“. Das war so ein Punkt, wo uns ein Stein vom Herzen fiel. Zwischendurch bekam allerdings Yael Armanet-Chernobroda Bedenken. In dem Film sieht man es nicht, aber sie hatte wirkliche Angst vor diesem Schritt, die Familie Tobassi zu treffen. Im April 2010 – es jährte sich zum achten Mal das Attentat, und dies hatte natürlich große symbolische Bedeutung – habe ich zu ihr gesagt: „Jetzt oder nie. Entweder gehst Du oder nicht.“ Insgesamt bin ich aber glücklich, dass ich nicht selbst Regie geführt habe.

Spielte dabei vielleicht eine Rolle, dass junge Frauen mehr Vertrauen erwecken?

Yael hat ihnen von Anfang an vertraut. Das gleiche gilt auch für das Ehepaar Tobassi und deren Söhne: Insbesondere Shadis Vater war regelrecht in die beiden vernarrt. In der Tat konnten Jule Ott und Steffi Bürger mit ihrer offenen Art die Herzen der Menschen bewegen. Ob Yael es alleine geschafft hätte, weiß ich nicht.

Was kann ein solcher Film in einer so vertrackten Lage wie im Nahen Osten bewirken?

Im Film sagt Yaels Tante, die Palästinenser seien gastfreundlich. Dass eine Israelin so etwas sagt und die Art, wie sie es sagt, wirken bei den Palästinensern ungemein positiv. Auf einer zweiten Ebene kann ein solcher Film den Zuschauern in Europa und in der Welt Hoffnung geben. Viele Europäer wollen kaum etwas über einen ewigen elendigen Konflikt hören, den sie auch nicht verstehen. Zusammen mit „Das Herz von Jenin“ und mit „Cinema Jenin“, der voraussichtlich im Februar 2012 ins Kino kommen wird, bildet „Nach der Stille“ eine Trilogie, die den Menschen hilft, über das Land einiges zu erfahren, den Konflikt besser zu verstehen. Damit sie sehen, dass zwar dort Terroristen leben, aber die meisten Palästinenser ganz normale Menschen sind. Erst recht wenn sie, wie bei Kinotouren geschehen, Yael und Ismael zusammen auf der Bühne erleben. Ein solcher Film kann den Menschen Hoffnung geben. In meinen Augen ist dies das Wichtigste, was „Nach der Stille“ bewirken kann.
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