4 TAGE IM MAI | 4 Tage im Mai
Filmische Qualität:   
Regie: Achim von Borries
Darsteller: Pavel Wenzel, Aleksei Guskov, Andrej Merzlikin, Grigoriy Dobrygin, Angelina Häntsch, Gertrud Roll
Land, Jahr: Deutschland / Russland / Ukraine 2011
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 9/2011
Auf DVD: 3/2012


José García
Foto: X-Verleih

Nachdem im Vorfeld der 60.-jährigen Wiederkehr des Zweiten- Weltkrieg-Endes im Jahre 2004 eine Reihe Spielfilme – Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“, Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“, Marc Rothemunds „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ sowie Dennis Gansels „Napola“ – in einprägsam-realistischer Darstellung verschiedene Aspekte der Nazi-Schreckensherrschaft auf die Leinwand brachten, folgten im Kino eher skurrile Geschichten aus der Zeit: Von Stefan Ruzowitzkys „Die Fälscher“ (2007) bis „Mein bester Feind“ (Wolfgang Murnberger, 2011) handelt es sich dabei um ausgefallene Sujets, ja um Possenspiele, die etwa bei „Mein Führer. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ (Dani Levy, 2007) eindeutig in Parodie umschlugen.

Mit „4 Tage im Mai“ startet nun ein Spielfilm, der nach einer wahren Begebenheit das Aufeinandertreffen von einem sowjetischen Spähtrupp mit versprengten Truppen der Wehrmacht in einem Kinderheim an der deutschen Ostseeküste naturalistisch-episch schildert. „4 Tage im Mai“ beginnt mit dem letzten dieser vier Tage: Am Kapitulationstag, dem 8. Mai 1945 versuchen an der deutschen Ostseeküste Menschen auf ein Boot zu kommen, das sie nach Dänemark bringen soll. Die kaum eine Minute lange erste Szene, ehe die Einblendung „Vier Tage vorher“ erscheint, folgt nicht einer im Kino weit verbreiteten dramaturgischen Zeiterscheinung, eine entscheidende Episode an den Anfang zu stellen, um dann einen Sprung in die Vergangenheit zu tun, um bloß dadurch eine lineare Erzählung zu durchbrechen. Die aus panischer Angst vor „den Russen“ und fast teilnahmsloser Ergebenheit in ihr Schicksal, der Heimat den Rücken zu kehren, zusammengesetzte Stimmung besitzt einerseits einen allgemeingültigen Charakter weit über die in von Borries’ Film geschilderte Episode am Rande des Krieges hinaus. Andererseits schwebt diese Gemütsverfassung über dem gesamten Film.

Nach der Einblendung folgen die Ereignisse am 4. Mai, als die Rote Armee in einen nun als Waisenhaus dienenden, ehemaligen Gutshof einmarschiert. Die Differenzen zwischen dem die Einheit befehligenden Major (Merab Ninidze) und Hauptmann Kalmykov (Aleksei Guskov), der dort mit einem aus sieben Soldaten bestehenden Spähtrupp einen Stützpunkt bilden soll, um die Küste nach versprengten deutschen Truppen zu beobachten, treten von Anfang an spürbar zu Tage. Einziger männlicher Bewohner des Waisenhauses ist der 13-jährige Peter (Pavel Wenzel), der sich am Strand mit einer deutschen Uniform versorgt hat und sich, auch weil sein Vater im Krieg gefallen ist, den Russen entgegenstellen will. Bald tauchen am Strand tatsächlich deutsche Soldaten auf, deren Oberstleutnant (Alexander Held) entgegen allen Anfeuerungen durch Peter nichts anderes möchte, als nach Dänemark überzusetzen.

Achim von Börries setzt vor allem auf persönliche Begegnungen und Konflikte. Dazu gehören sowohl die unmögliche Liebe zwischen einer jungen Deutschen und einem sensiblen, Musik liebenden russischen Soldat als etwa auch die zunächst nur von Vorurteilen, später vom gegenseitigen Respekt geprägte Beziehung zwischen der aus „St. Petersburg“ stammenden Baronin (Gertrud Roll) und dem Hauptmann aus „Leningrad“. Zur Glaubwürdigkeit von „4 Tage im Mai“ tragen nicht nur die Schauplätze auf Rügen und in Schleswig-Holstein bei, sondern auch das detailverliebte Produktionsdesign von Agi Dawaachu – man vergleiche etwa dazu die verschlissenen Uniformen in von Borries’ Film mit den nagelneuen KZ-Anzügen in „Mein bester Feind“ – und insbesondere auch die Zweisprachigkeit: Die russischen Dialoge werden nicht einfach synchronisiert, sondern untertitelt. Die Kamera von Bernd Fischer setzt die gereizte Stimmung filmisch adäquat in durch bewegliche Kamerabewegungen aufgenommene, nervös wirkende Bilder um. Bei der Figurenzeichnung setzt Achim von Borries auf großartige Darsteller: Neben Aleksei Guskov, der als Ko-Produzent des Filmes auch die Hauptrolle spielt, verkörpert Alexander Held den kriegsmüden Offizier, Merab Ninidze den Offizier mit Machtgeltung, der mit Kalmykov noch eine offene Rechnung hat.

Obwohl in „4 Tage im Mai“ der Krieg unsichtbar bleibt, ist er etwa durch die in der ersten Szene Fliehenden, durch die Toten am Strand oder auch durch die Angst der Frauen die ganze Filmzeit präsent. Die konsequente Erzählung aus der Perspektive eines 13-Jährigen lässt die Kampfspiele der Erwachsenen, etwa aus Rache, umso deutlicher als Irrsinn erscheinen. Die ganze Kriegsepisode, bei der – vom Filmverleih etwas schwülstig ausgedrückt – die Grenzen „nicht zwischen Freund und Feind, sondern allein zwischen Gut und Böse“ verlaufen, stellt sich als absoluter Wahnsinn heraus, in dem Menschlichkeit kaum eine Chance hat und dennoch einzelne Menschen ihren Humanismus bewahren können. Ganz ohne Pathos erweist sich „4 Tage im Mai“ durch die fein nuancierte Figurenzeichnung als ein eindrücklicher, den Irrsinn des Kriegs bloßlegender Antikriegsfilm.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren