DREIVIERTELMOND | Dreiviertelmond
Filmische Qualität:   
Regie: Christian Zübert
Darsteller: Elmar Wepper, Mercan Türkoglu, Ivan Anderson, Katja Rupé, Marie Leuenberger, Özay Fecht, Bernd Regenauer, Stefan Kügel
Land, Jahr: Deutschland 2011
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2011
Auf DVD: 2/2012


José García
Foto: Majestic

Ein vereinsamter Mensch, der durch die eher unfreiwillig übernommene Verantwortung für ein Kind aus seiner Lähmung erwacht, steht immer wieder im Mittelpunkt von Kinofilmen, von Theo Angelopoulos’ „Die Ewigkeit und ein Tag“ (1998) über „Bella Martha“ (Sandra Nettelbeck, 2001) bis „Das Hals der Giraffe“ (Safy Nebbou, 2004), um nur einige Spielfilme mit diesem Sujet herauszugreifen.

Im nun im regulären Kinoprogramm anlaufenden Spielfilm „Dreiviertelmond“ von Drehbuchautor und Regisseur Christian Zübert heißt der mürrische alte Mann Hartmut Mackowiak (Elmar Wepper). Mackowiak hat allen Grund, auf die Welt im Allgemeinen und auf sich selbst im Besonderen missgelaunt zu sein: Nach dreißig Ehejahren verlässt ihn seine Frau Christa (Katja Rupé), um sich „neu zu finden“ – oder wohl wegen eines anderen Mannes? Bei seiner Tochter Verena (Marie Leuenberger) findet der Nürnberger Taxifahrer ohnehin kein Mitgefühl, da sie ihm für die Trennung die Schuld gibt. Zur Entfremdung von der Tochter trägt ebenfalls bei, dass Mackowiak für Verenas Geschäftsidee eines „Schuh-Cafés“ ebenso wenig Verständnis aufbringt.

Nicht gerade in bester Stimmung nimmt Hartmut Mackowiak am Flughafen denn auch seine neuen Fahrgäste in Empfang: Die junge Gülen (Ivan Anderson) ist mit ihrer sechsjährigen Tochter Hayat (Mercan Türkoglu) aus der Türkei eingereist. Die Kleine spricht kein Wort Deutsch, was zu allerlei Missverständnissen führt, so beispielsweise als ihre Mutter eine abfällige Bemerkung des Taxifahrers gegenüber einem farbigen Kollegen trocken mit einem „Nazi!“ quittiert. Das Mädchen will natürlich wissen, was das heißt, und Gülen übersetzt: „Netter Onkel“. Weil die junge Mutter beruflich zu einer längeren Reise aufbricht, bringt sie Hayat zu deren Großmutter. Nach Gülens Abreise bricht Hayats Oma zusammen und wird in die Intensivstation gebracht. Hayat vertreibt sich die Zeit am Krankenhauseingang, als sie den „netten Onkel“ erblickt, der gerade einen Fahrgast abgeliefert hat. Widerwillig nimmt sich der grantige Taxifahrer des Kindes an. Während Mackowiak mithilfe eines Dönerverkäufers als Dolmetscher versucht, Hayats Verwandte ausfindig zu machen, beginnt das Kind allmählich, ihm ans Herz zu wachsen – irgendwann wird ihn seine Tochter fragen, warum er sich um ein fremdes Kind mehr als um seine eigene Familie kümmert. Bald erkennt der bärbeißige Taxifahrer, dass womöglich nicht er es ist, der Hayat hilft, sondern sie ihm. Hartmut Mackowiak beginnt, über sein verfahrenes Leben nachzudenken.

Obwohl sich das Drehbuch an manchen Stellen zu konstruiert ausnimmt, überzeugt Christian Züberts Film insbesondere durch seine unaufgeregte Inszenierung. Die Kamera von Jana Marsik nimmt eine beobachtende Stellung ein, die Musik von Annette Focks unterstützt die Dramaturgie und spielt sich nicht in den Vordergrund. Christian Zübert setzt vor allem auf die feine Beobachtung vieler Details, die „Dreiviertelmond“ authentisch wirken lassen. Dabei kam ihm zugute, dass er selbst aus Würzburg und seine Frau Ipek Zübert aus der Türkei stammt. Christian Zübert: „Im Zusammenleben fiel uns immer wieder auf, dass wohl kaum ein größerer Gegensatz zu finden ist, als in der fränkischen und in der türkischen Mentalität.“ Den Zusammenprall der Kulturen inszeniert er trotz aller Pointiertheit jedoch nicht mit schenkelklopfendem, sondern mit feinem Humor und ganz ohne Moralinsäure.

„Dreiviertelmond“ ist alles in allem ein Schauspielerfilm. Züberts Film steht und fällt mit dessen Hauptdarstellern, wobei Elmar Wepper in der Darstellung des grummeligen Taxifahrers an seine letzte große Kinorolle in Doris Dörries „Kirschblüten – Hanami“ anschließen kann: Auch damals verkörperte er einen (nach dem Tod seiner Frau) vereinsamten älteren Mann, der durch die Bekanntschaft eines viel jüngeren, aus einer ihm fremden Kultur stammenden Menschen aus der Starre erwachte. Besondere Erwähnung verdient jedoch die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst sechsjährige, aus Berlin stammende Mercan Türkoglu, die bei „Dreiviertelmond“ erstmals vor der Kamera stand. Denn sie zeigt nicht nur viel Witz, sondern auch genügend Selbstbewusstsein, um sich dem erfahrenen Schauspieler Elmar Wepper gegenüber in jeder Szene zu behaupten. Der ebenfalls durchgängig anzumerkende, warmherzige Blick, mit dem Regisseur Christian Zübert auf seine Figuren schaut, macht darüber hinaus „Dreiviertelmond“ zu seiner sehenswerten Tragikomödie, die bewusst auf jeglichen Hochglanz verzichtet.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren