ANOTHER EARTH | Another Earth
Filmische Qualität:   
Regie: Mike Cahill
Darsteller: Brit Marling, William Mapother, Jordan Baker, Meggan Lennon, Matthew-Lee Erlbach, DJ Flava, Flint Beverage, Bruce Winant, Ana Kayne, Diane Ciesla, Luis Vega
Land, Jahr: USA 2011
Laufzeit: 92 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 11/2011


José García
Foto: 20th Century Fox

Manche Spielfilme handeln eigentlich von etwas ganz anderem als von dem, was sie vordergründig erzählen. Insbesondere das Science-Fiction-Genre liefert häufig die Folie, auf der sich tiefgründige Fragen behandeln lassen. So ging es etwa in Larry und Andy Wachowskis „Matrix“ (1999) unter der Oberfläche eines mittels innovativer Spezialeffekte hervorragend choreographierten Actionfilms genaugenommen um die philosophische Frage nach der Realität dessen, was wir Wirklichkeit nennen. Oder, um ein neueres Beispiel herauszugreifen: In Gareth Edwards’ „Monsters“ (siehe Filmarchiv) dient eine ebenfalls Science-Fiction-Geschichte lediglich als Rahmenhandlung für die Annährung zweier Menschen.

Das beim Sundance Filmfestival 2011 mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnete Spielfilmdebüt von Mike Cahill „Another Earth“ könnte oberflächlich als ein Science-Fiction-Film bezeichnet werden. Zu Beginn taucht ein neuer Stern am Himmel auf, der sich bald als ein bisher unbekannter Planet entpuppt. Im Laufe der Handlung tritt er aber der Erde immer näher, bis er groß genug ist, um ihn als das perfekte Spiegelbild der Erde zu erkennen, so dass der „neue“ Planet kurzerhand als „Erde 2“ bezeichnet wird. Die Einschätzung der Spiegelbildlichkeit bestätigt sich, als während einer Fernseh-Liveübertragung die Wissenschaftlerin Dr. Joan Tallis mit „Erde 2“ Kontakt aufnimmt, und sich mit einer Dr. Joan Tallis unterhält, deren Biografie mit ihrer eigenen übereinstimmt. Die daraus folgende Faszination wird etwa daran deutlich, wie die Menschen im Anschluss daran auf die Straße gehen, um den Planeten mit ganz anderen Augen zu betrachten. Bald werden auch Reisen zur „Erde 2“ angeboten.

Dies bildet indes lediglich den Rahmen für die eigentliche Handlung von „Another Earth“. Denn Mike Cahill handelt von der Abiturientin Rhoda Williams (Brit Marling), die alkoholisiert und vom neuen Himmelskörper in Beschlag genommen einen Autounfall verursacht. Nach Verbüßen einer vierjährigen Gefängnisstrafe hat sie ihren Traum, Astrophysik zu studieren, aufgegeben und überhaupt den Sinn für die Zukunft verloren. Rhoda will sich ihrer Vergangenheit stellen, ihre Schuld sühnen, weshalb sie sich unter einem Vorwand in das Leben des Menschen einschleicht, dessen Glück sie zerstörte: Der einstige renommierte Komponist John Burroughs (William Mapother) verlor bei dem Unfall seine schwangere Frau und seinen kleinen Sohn. Rhoda räumt zunächst als Putzhilfe Burroughs’ Haus, nach und nach sein Leben auf. Immer wieder schiebt sie den Augenblick auf, in dem sie sich ihm offenbaren will. Als Rhoda unerwartet die Möglichkeit erhält, zur „Erde 2“ zu reisen, begreift sie die junge Frau als eine regelrecht zweite Chance, Vergebung zu erlangen.

Die Filmsprache von „Another Earth“ hängt unmittelbar mit dessen Entstehung als ausgesprochener Independentfilm zusammen: Der Dokumentarfilmer Mike Cahill zeichnet nicht nur als Co-Drehbuchautor und Regisseur verantwortlich, sondern übernimmt auch die Kamera und den Schnitt. Hauptdarstellerin Brit Marling spielt nicht nur die Hauptrolle. Sie verfasste außerdem das Drehbuch zusammen mit Cahill und produzierte darüber hinaus den Film mit. „Another Earth“ vereint eine symbolische Sprache etwa im Einsatz der Farben und anderer Sinnbilder mit ausgesprochen grobkörnigen Einstellungen, einer der Videoclip-Ästhetik geschuldeten Zeitlupe und einem charmanten Retro-Look etwa im Einsatz der Fernseh- und Radiosendungen.

Diesen uneinheitlichen Stil verknüpft „Another Earth“ freilich mit einem zeitlosen, nicht anders als klassisch zu bezeichnenden Sujet, der Verarbeitung von Schuld. Dabei springt der Unterschied etwa zu Lars von Triers „Melancholia“ (siehe Filmarchiv) geradezu ins Auge: gibt sich Lars von Trier einer fatalistischen Weltuntergangsstimmung hin, so beraubt die sich nach dem tragischen Unfall einstellende Melancholie Rhoda nicht der Hoffnung, die von ihr verursachte Tragödie wieder gutzumachen.
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