MÜHLE UND DAS KREUZ, DIE | Mlyn i krzyz
Filmische Qualität:   
Regie: Lech Majewski
Darsteller: Rutger Hauer, Charlotte Rampling, Michael York, Joanna Litwin, Dorota Lis, Oskar Huliczka, Bartosz Capowicz
Land, Jahr: Schweden / Polen 2011
Laufzeit: 92 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 11/2011
Auf DVD: 6/2012


José García
Foto: Neue Visionen

Mal- und Filmkunst könnten unterschiedlicher nicht sein: Hält ein Gemälde einen bestimmten Augenblick fest, so gehört zum Wesen des Filmes die Bewegung, die Montage unterschiedlicher Bilder. Unternahmen allerdings bereits Jahrhunderte vor der am Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführten „kinetischen Kunst“ Renaissance- und Barockmaler von Michelangelo über Tintoretto und Velázquez bis Rembrandt immer wieder den Versuch, Bewegung und Veränderung als ästhetischer Bestandteil in die Malerei zu integrieren, so wurden auf der anderen Seite im 19. Jahrhundert im Theater Werke der Malerei und der Plastik durch lebende Personen dargestellt. Diese „Tableaux vivants“, die etwa auch als „lebende Bilder“ des Alten Testaments in die Oberammergauer Passionsspiele bis heute Eingang gefunden haben, sind im Kino jedoch als statische Einstellungen eher die Ausnahme. Besonders angewandt werden sie etwa in Filmen, die wie Peter Webbers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (siehe Filmarchiv) ein berühmtes Kunstwerk filmisch interpretieren.

Als Verfilmung einer Bildinterpretation kann ebenfalls der nun im regulären Kinoprogramm anlaufende Spielfilm „Die Mühle und das Kreuz“ von Lech Majewski bezeichnet werden. Denn der Film adaptiert für die große Leinwand die Studie von Michael Francis Gibson „The Mill and the Cross: Peter Bruegel’s ‚Way to Calvary’“ (2000) über das sich im Kunsthistorischen Museum Wien befindliche Ölgemälde „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem Jahre 1564. In diesem Jahr erhält Pieter Bruegel (Rutger Hauer) von dem reichen Antwerpener Kaufmann und Kunstsammler Nicolas Jonghelinck (Michael York) den Auftrag, die Kreuztragung Christi zu malen. Der Maler will indes nicht eine weitere von unzähligen Versionen der Passionsgeschichte liefern, sondern etwas Besonderes schaffen: Ein Bild, das eine Vielzahl von Geschichten erzählt, und das groß genug ist, hunderte von Menschen aufzunehmen. Aber vor allem soll die Kreuzigungsgeschichte nicht im Heiligen Land, sondern in seiner flämischen Heimat spielen. Bruegel besucht die Menschen seiner Umgebung, auf den Höfen, Feldern und Märkten, um nach deren Geschichten in einem Land zu suchen, das unter spanischer Herrschaft steht. Denn Flandern wurde nach dem Tod Karls V. im Jahre 1558 den spanischen Habsburgern zugesprochen. Der Maler hält alles in seinen Skizzen fest und beginnt auf diese Weise, die Schicksale von unzähligen Menschen miteinander zu verflechten.

Majewskis „Die Mühle und das Kreuz“ führt zwei Ebenen ein: Einerseits wird über die Entstehung des Bildes, andererseits über die Lebensbedingungen im Flandern seiner Zeit erzählt, wobei der Kontrast zwischen einem das Kunstinteresse einschließenden Wohlstand in der Kaufmannsschicht und dem tristen und kargen Alltag etwa in der Mühle oder im Dorf ins Auge springt. Noch offenkundiger wird jedoch die Unterdrückung der Bevölkerung durch die spanische Besatzung. So ergreifen spanische Soldaten einen jungen Mann, den sie durch Rädern zu Tode foltern. Weil aber in Majewskis Deutung Pieter Bruegel die spanisch-habsburgische Herrschaft mit der katholischen Kirche gleichsetzt, prägt „Die Mühle und das Kreuz“ ein antikatholischer Affekt: Wer wie dieser junge Mann gegen die Kirche aufbegehrt, entkommt nicht ihren Häschern. Auch Jesus wird nach diesem Muster als Vertreter der (protestantischen) Minderheit gedeutet: Ein spanischer Judas verrät ihn, spanische (katholische) Soldaten foltern und töten ihn.

In der Malerei-Anverwandlung geht Majewskis Film einen Schritt weiter als Webbers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“. Dafür verwendet Majewski bei der Erzeugung von Bildern im Computer eine neue Technik, die in unterschiedlichen Einstellungen verschiedene Figuren vor scheinbar denselben Hintergrund platzierte. Beim Zuschauer stellt sich immer wieder die Frage: Handelt es sich bei diesen Hintergründen um Natur oder um gemalte Landschaft? Teilweise sind sie von Regisseur, der auch als Maler arbeitet, selbst gemalt, so dass sich die filmische und die malerische Bildsprache wie in keinem anderen Spielfilm annähern. Dies wird außerdem in der „Doppelrolle“ deutlich, die Bruegels Frau (Charlotte Rampling) übernimmt: Sie hatte etwa dreißig Jahre zuvor für die Mutter Gottes in Bruegels „Die Anbetung der Könige“ Modell gestanden. Nun verkörpert sie die Pietà sowohl bei der Kreuzigung in Bruegels „Die Kreuztragung Christi“ als auch in Majewskis „Die Mühle und das Kreuz“ – die Grenze zur Malkunst, allerdings auch zur Künstlichkeit, wird durchlässig.

Die tableauhafte Bildsprache in Lech Majewskis Film führt freilich dazu, dass sich bei aller Schönheit der einzelnen Bilder der Erzählduktus eines Spielfilmes kaum einstellt. So erfährt der Zuschauer über die Zustände der Zeit außer den Brutalitäten der spanischen Herrscher genauso wenig wie über die Persönlichkeit Pieter Bruegels. Für die Länge eines abendfüllenden Films reicht außerdem die Originalität von Majewskis künstlerischem Konzept trotz bewundernswerter Technik kaum.
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