GOTT DES GEMETZELS, DER | Carnage
Filmische Qualität:   
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly
Land, Jahr: Deutschland / Frankreich 2011
Laufzeit: 81 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 11/2011
Auf DVD: 4/2012


José García
Foto: Constantin

„Der Mensch ist des Menschen Wolf“. Für Roman Polanskis Spielfilm „Der Gott des Gemetzels“ („Carnage“), der nach seiner Teilnahme am Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig nun im regulären Kinoprogramm anläuft, könnte wohl kein Untertitel angemessener sein als die Sentenz des römischen Dichters Plautus (,homo homini lupus“). Basierend auf dem im Dezember 2006 in der Inszenierung von Jürgen Gosch am Schauspielhaus Zürich uraufgeführten, gleichnamigen Theaterstück der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza, die für die Filmfassung zusammen mit Polanski das Drehbuch verfasste, handelt „Der Gott des Gemetzels“ davon, wie im Laufe einer Auseinandersetzung vier kultivierte Menschen aus der Fassung geraten und ähnlich den sprichwörtlichen Wölfen aufeinander losgehen.

Der eigentlichen Handlung ist gleichsam als Kurzfilm ein Streit auf einem Kinderspielplatz in Brooklyn vorgeschaltet. Aus dem mit beschwingter Musik unterlegten Spiel wird plötzlich eine mit Paukenmusik begleitete Schlägerei, bei der ein Elfjähriger einem Gleichaltrigen Zähne ausschlägt. Szenenwechsel: In einem kleinen Appartement bemühen sich die Eltern des „Opfers“, Penelope und Michael Longstreet (Jodie Foster, John C. Reilly), mit den Eltern des „Übeltäters“, Nancy und Alan Cowan (Kate Winslet, Christoph Waltz), den Vorfall vernünftig zu klären. Eine erste Irritation kommt auf, als ein Adjektiv im Schuldeingeständnis, das Penelope auf dem Computer tippt, Nancy und Alan etwas übertrieben vorkommt. Bald haben sich jedoch alle vier Beteiligten auf eine Formulierung geeinigt, man ist ja schließlich unter zivilisierten Menschen.

Da sich die zwei Ehepaare so schnell einig geworden sind, könnten Nancy und Alan eigentlich wieder gehen. Was aber schade wäre, hat man sich doch gerade erst kennengelernt. So serviert Penelope den Gästen ihren selbstgebackenen Kuchen. Spätestens in dem Moment, als Nancy den Kuchen ausgerechnet auf Penelopes Kunstbände erbricht, verlieren zunächst die beiden Frauen, bald auch die Männer die Contenance. Wobei Alans Dauertelefonieren mit einem Kunden, bei dem er auf zynischste Art Schadensersatzansprüche der unter einen Nebenwirkungen eines Medikaments leidenden Patienten gegen den Konzern herunterspielt, eine zentrale Rolle spielt. Auf einmal geht es gar nicht mehr um den Kinderstreit, sondern um eine Auseinandersetzung um Erziehungsmethoden beziehungsweise um die Versäumnisse der elterlichen Erziehung, ja um Lebensauffassungen.

Dass die beiden Ehepaare aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten stammen, wird nicht nur in den Berufen deutlich: Penelope arbeitet als Buchhändlerin, Michael als Handelsvertreter für Sanitärartikel. Ihre legere Kleidung kontrastiert mit dem stilvollen Kostüm der Investmentbankerin Nancy und dem eleganten Anzug des Pharmakonzern-Anwalts Alan. Dies spielt am Ende aber genauso wenig eine Rolle wie die Lebenseinstellung der politisch korrekten Gutmenschen Penelope/Michael respektive der neoliberalen Zyniker Nancy/Alan. Denn nachdem zunächst die Fronten zwischen den Ehepaaren verlaufen, verbünden sich dann die Frauen gegen die Männer und schließlich kämpft jeder gegen jeden: Jeder ist seinem Nächsten ein Wolf.

Die immer wieder wechselnde Frontenbildung verleiht dem Film seinen Rhythmus. Als für die Dramaturgie förderlich stellt sich außerdem der Nebenstrang der ständigen Telefonate Alans heraus, weil sich darin die Haupthandlung widerspiegelt. Etwas konstruiert wirken jedoch die zwei Stellen, als das besuchende Ehepaar bereits losziehen will und von den Gastgebern zum Bleiben aufgefordert wird. Die Inszenierung als Kammerspiel sieht auf den ersten Blick leicht aus, erfordert aber das abgestimmte Zusammenspiel der verschiedenen Beteiligten. Über die hervorragende Schauspielkunst der Darsteller hinaus besticht der Schnitt von Her¬vé de Luze, der der Handlung das richtige Tempo verleiht, im dem sich jeder Einzelne in die Geschichte hineinsteigert. Die ausgesuchte Einrichtung des Produktionsdesigners Dean Tavoularis wird in der Inszenierung zum fünften Hauptdarsteller. Im beengten Raum eines Appartements, in dem ein Spiegel für die Kamera ein zusätzliches Hindernis darstellt, bewegt sich Kameramann Pawel Edelman souverän. Wenn Kunst darin besteht, Schwieriges leicht aussehen zu lassen, dann ist Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“ vollendete Filmkunst.

Der Filmtitel „Der Gott des Gemetzels“ bezieht sich auf eine vorchristliche strafende Gottheit. Der Film kann denn auch als eine Gesellschaftskomödie in einer postchristlichen Zivilisation bezeichnet werden, in der das christliche Menschenbild entweder durch Gutmenschentum oder durch Zynismus ersetzt worden ist. Die Moral wird so zu einer minimalistischen Ethik, deren oberflächlicher Firnis bürgerlicher Kultiviertheit sich als allzu brüchig erweist.
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