CHINESE, DER | Der Chinese
Filmische Qualität:   
Regie: Peter Keglevic
Darsteller: Suzanne von Borsody, Michael Nyqvist, Claudia Michelsen, Amy J. Cheng, Jimmy Taenaka, August Schmölzer
Land, Jahr: Deutschland, Österreich, Schweden 2010
Laufzeit: 180 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G +
Auf DVD: 12/2011


José García
Foto: ARD

Mit mehr als 20 Millionen verkauften Büchern zählt der schwedische Autor Henning Mankell zu den bekanntesten Krimi-Autoren in Deutschland. Seinen zuletzt erschienenen Roman „Der Chinese“ („Kinesen“, 2008) hat nun Regisseur Peter Keglevic nach einem Drehbuch von Fred Breinersdorfer und Léonie-Claire Breinersdorfer für den Fernseh-Bildschirm adaptiert. Nach seiner TV-Ausstrahlung ist der Film auf DVD erschienen.

Von chinesischer Musik untermalte, schnellgeschnittene Bilder einer riesigen Stadt bei Nacht. Die grellen Neonlichter kontrastieren mit den kalten Farben einer schwedischen Landschaft, in der eine grausige Entdeckung gemacht wird: Fast sämtliche Bewohner der kleinen Ortschaft Hesjövallen in Mittelschweden sind einem Massaker zum Opfer gefallen. Zu ihnen gehören auch die Eltern von Brigitta Roslin (Suzanne von Borsody), die in Helsingborg als Strafrichterin arbeitet. Obwohl die ermittelnde Kommissarin Vivi Sundbrg (Claudia Michelsen) den Mörder gefunden zu haben glaubt, fängt die Richterin an, eigene Nachforschungen anzustellen. Diese führen zunächst nach Nevada, wo es vor kurzem zu einem ähnlichen Blutbad kam, und dann nach China, wohin die Richterin auf eigene Faust reist. Dort kommt Brigitta Roslin mit den Machenschaften des skrupellosen Bankers Ya Ru (Jimmy Taenaka) in Berührung.

Die gute Kameraarbeit von Alexander Fischerkoesen verwebt zusammen mit dem hervorragenden Schnitt von Moune Barius die auf zwei Kontinenten angesiedelten Schauplätze miteinander, zu denen noch schwarz-weiß gehaltene Rückblenden hinzukommen, die sich in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert abspielen. Über das krimitypische Sujet von Rache und Vergeltung hinaus spricht „Der Chinese“ auch politische Themen an, etwa die Korruption im postkommunistischen China und die an den westlichen Kolonialismus erinnernden Expansionspläne des riesigen Landes, die auf eine wirtschaftliche Kontrolle Afrikas hinzielen. Darüber hinaus behandelt der Fernsehfilm aber auch weltanschauliche Fragen, etwa das Demokratieverständnis oder die Unterscheidung von gut und böse (siehe Interview).


Interview mit Drehbuchautor Fred Breinersdorfer.

Sie haben für„Sophie Scholl – Die letzten Tage“ bereits ein sehr komplexes Drehbuch geschrieben. Spürten Sie dennoch eine besondere Spannung, einen 650 Seiten starken Bestseller zu adaptieren?

Fred Breinersdorfer: Jedes Projekt ist anders, es stellt immer eine neue Herausforderung dar. Beim Lesen des Romans war es sofort ersichtlich, dass es darauf ankommt, für die differenzierte Struktur mit mehreren Zeitebenen bei einem überschaubaren Budget und dem überschaubaren Zeitrahmen von drei Stunden filmische Ausdrucksmittel zu finden.

Inwieweit gibt das Drehbuch die filmischen Ausdrucksmittel vor, etwa den Wechsel zwischen den Zeitebenen?

Das musste bereits im Drehbuch festgelegt sein. Diese Wechsel sind ja nicht willkürlich, sondern passen sich der Erzählstruktur an – und dies wurde so beim fertigen Schnitt beibehalten, obwohl beim Drehen nach einem logistischen und nicht nach einem dramaturgischen System vorgegangen wird. Ich bin mit der Inszenierung und dem Schnitt sehr, sehr zufrieden. Dabei hatten sowohl Regisseur Peter Keglevic als auch Cutterin Moune Barius selbstverständlich freie Hand.

Meinen Sie, dass der Fernsehzuschauer über den spannenden Krimi hinaus auch beiläufig angesprochene Themen wie die Korruption in China wahrnimmt?

Wir hoffen es sehr, weil diese Art von Korruption bei uns hoffentlich noch lange unbekannt ist. Aber man weiß ja nie, was kommt. Wenn in einem „Tatort“ ein paar Militärs in Zivil auftauchen, mit einer Befragung anfangen und dann verschwinden, weil sie eine SMS bekommen, das wäre unglaubwürdig. In China passieren solche Dinge. Dies ist die Realität, die Henning Mankell in seinem Roman im Auge hatte. Der Kolonialismus der Chinesen in Afrika gehört auch dazu.

Ist es aber hier deutlich genug?

Das war unsere Bestrebung. Im Laufe der Stoffentwicklung bat aber die damalige Degeto-Redaktion, diese Dinge herauszunehmen – was allerdings auf Mankells Widerstand stieß. So haben wir uns auf diese Lösung geeinigt. Denn Mankell haben die Mechanismen der Korruption in China und die Kolonialismusfrage sehr interessiert. Noch auf ein Drittes legte er Wert: auf die Ausbeutung der Chinesen in Amerika, was wir mit einem historischen Subplot belegt haben. So begreift man, dass die Chinesen nicht nur die korrupten Wirtschafts-Monster sind, sondern dass sie in ihrer Geschichte so viel Demütigung erlitten hat, dass das Volk Ketten springen will. Das heißt es nicht, es zu rechtfertigen, wohl aber es besser zu verstehen.

Darüber hinaus finden sich drei Dialoge über weltanschauliche Fragen, etwa die Todesstrafe, das Demokratieverständnis oder die Unterscheidung von richtig und falsch, von gut und böse.

Als das Drehbuch längst fertig war, erzählte mir ein Bundespolitiker von seinem Gespräch mit einem Chinesen. Dieser meinte: „Ihr werdet die Euro-Krise nicht in den Griff bekommen! Mit Eurer Demokratie wird das nie funktionieren.“ Dies ist, was die aus einer Revolutionsfamilie stammende Qui Hong meint, als sie sagt: „Wie kommt Ihr dazu uns vorzuschreiben, wie wir unsere Straftäter behandeln sollen? Ihr mit Eurer Laxheit!“ Dass die Chinesen am Ende mit ihren brachialen Methoden mit ihrer Verbrechensstatistik nicht besser dastehen als wir, steht auf einem anderen Blatt. Wahrscheinlich weil die Abschreckung mit der Todesstrafe gar nicht nutzt. Deshalb bin ich ein engagierter Gegner der Todesstrafe. Diese Szenen sind im Original-Drehbuch länger und intensiver, wurden aber von der damaligen Degeto-Redaktion gekürzt, weil sie Angst hatte, dies würde den Zuschauer langweilen.

Wobei wir bei der Frage nach dem „Qualitätsfernsehen“ wären…

Wir sind froh darüber, dass sich dies bei der Degeto ändern soll. Filme über menschliche Konflikte jenseits einer vordergründigen Unterhaltung stoßen sehr wohl beim Zuschauer auf Interesse. Denn wir alle haben verstanden, dass eine Ellenbogengesellschaft ohne moralische Ankerpunkte zum Scheitern verurteilt ist. Warum also nicht dem Publikum – um mit Felix Huby zu sprechen – „ein Früchtchen vom Baum der Erkenntnis“ mitliefern, wenn man einen spannenden Film macht. Man muss die Filme nicht mit Problemen überladen, aber es sollen lebendige Figuren mit lebendigen Konflikten wieder stärker im Vordergrund stehen. Eine Zeitlang wurden der Geschmack und die Rezeptionsfähigkeit der Menschen systematisch unterfordert.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren