LEHRERIN, DIE | Die Lehrerin
Filmische Qualität:   
Regie: Tim Trageser
Darsteller: Anna Loos, Meret Becker, Axel Prahl
Land, Jahr: Deutschland 2011
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 1/2012


José García
Foto: ZDF

Der erste Schultag nach den Sommerferien in einer Realschule. Bereits auf dem Schulhof treffen zwei Lehrerinnen aufeinander, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten: Andrea Liebnitz, genannt Drea (Anna Loos) ist korrekt, ja streng gekleidet, aber ihre Körpersprache verrät Verunsicherung. Sie hat das Gefühl, „dass ihr der Beruf das Blut aussaugt“. Katja (Meret Becker) fällt durch ihre unkonventionelle Art und Kleidung, aber auch durch ihre Ausgelassenheit auf. Bei einem Gespräch teilt Drea ihrer Kollegin mit, sie habe ihre Kündigung dabei. Katja will sie davon abbringen, das Schreiben abzugeben. Weil es zur ersten Stunde klingelt, verabreden sich die beiden Lehrerinnen für die Pause.

Zu diesem Treffen wird es jedoch nicht kommen. Denn noch in der ersten Stunde fallen Schüsse in Katjas Klasse: Die allseits beliebte Lehrerin wurde von einem Schüler angeschossen und liegt nun in der Intensivstation eines Krankenhauses im Koma. Während die Schule nach und nach zur Normalität zurückzukehren versucht, geht Drea jeden Tag zum Krankenhaus, um Katja vom Leben in der Schule, etwa von der Arbeit im Schulgarten mit Katjas Klasse, die sie nun übernommen hat, zu berichten. Obwohl sie dadurch die Freude an ihrem Beruf wiedergewinnt, steht sie am Rande einer Depression, wie Psychologe Weininger (Axel Prahl) bemerkt.

Obwohl Drea auch versucht, die Motivation des Amokläufers herauszufinden, stehen im Mittelpunkt des Fernsehfilmes „Die Lehrerin“ von Laila Stieler (Drehbuch) und Tim Trageser (Regie) nicht der Täter, sondern die Opfer (siehe auch Interview): „Die Lehrerin“ erzählt konsequent aus Dreas Sicht vom Trauma einer Gewalttat, aber auch von einer wunderbaren Freundschaft. Wie sich Dreas Ansichten durch die „Gespräche“ mit der im Koma liegenden Freundin verändern, zeigt sich etwa in ihrer Haltung gegenüber einer vierzehnjährigen schwangeren Schülerin, die Drea zunächst zur Abtreibung bewegen wollte – und später doch noch in ihrem Vorhaben, das Kind zur Welt bringen zu wollen, bestärkt. Schön, dass es auch in der Schwebe bleibt, wen nun der Filmtitel meint: Wer ist nun „die Lehrerin“, Drea oder Katja?

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Interview mit Regisseur Tim Trageser.

Sind Sie am Projekt „Die Lehrerin“ von Anfang an beteiligt gewesen, oder haben Sie das fertige Drehbuch verfilmt?
Tim Trageser: Ich war von Anfang an daran beteiligt. Als Autorin Laila Stieler und ich den Fernsehfilm „Wohin mit Vater?“ abgedreht hatten, erzählte sie mir, dass sie sich mit dem Thema „Amoklauf in der Schule“ beschäftigte. Damals lag der Amoklauf von Winnenden vom März 2009 noch nicht lange zurück. Bereits bei diesem Gespräch haben wir uns darüber unterhalten, was für eine Verantwortung wir als Filmemacher haben. Etwa, was wir auslösen würden, wenn wir eine solche „Nachahmertat“ in den Mittelpunkt eines Filmprojektes stellen würden. Deshalb interessierte uns in diesem Zusammenhang nicht der Amoklauf an sich, sondern der Umgang mit der Gewalttat aus Sicht der Opfer. Laila Stieler begann sofort zu recherchieren und führte dabei eine Art Tagebuch. Dies ist außergewöhnlich, denn der übliche Weg zur Entwicklung eines Filmprojektes führt vom Exposé über das sogenannte Treatment bis zum Drehbuch. Ihr Exposé bestand also aus einem etwa fünfzehnseitigen Tagebuch, das die Figur „Drea“ in der ersten Person führt. ZDF-Redakteur Pit Rampelt, den Produzenten Wolfgang Cimera und mich hat dies sofort überzeugt und auch interessiert, so dass wir den Film konsequent aus der Sicht der „Drea“ machen wollten.

Haben Sie bei der visuellen Entwicklung der Geschichte auch mit der Autorin, mit dem Redakteur oder mit dem Produzenten zusammengearbeitet?
Bei der visuellen Umsetzung habe ich freie Hand gehabt. Glücklicherweise wird mir von allen Beteiligten so vertraut, dass sehr wenig nachgefragt wird. Ich kenne natürlich selbst die vom Thema und vom Budget vorgegebenen Einschränkungen. Bei „Die Lehrerin“ bestand mein Hauptanliegen darin, bei der Hauptfigur zu bleiben. Was wiederum bedeutet, dass die Kamera nicht zu sehr im Vordergrund stehen sollte, um den Zugang zur Figur zu erleichtern.

Dennoch sind etwa einige Schnitte bemerkenswert. Beispielsweise, als Drea durch eine Scheibe in die Intensivstation schaut, und im nächsten Bild dann durch eine Fensterscheibe auf den Schulhof blickt.
Solche Übergänge sind natürlich meine Ideen, die ich dann mit der Drehbuchautorin bespreche. Hierbei handelt es sich um eine Schnitttechnik namens „Match Cut“ oder „Bewegungsschnitt“: Drea bewegt sich an der Intensivstationsscheibe nach vorne, und die gleiche Bewegung wird aufgenommen an der Scheibe im Klassenraum. Allerdings darf man so etwas nicht allzu oft bemühen. Deshalb habe ich jeden Übergang etwas anders gestaltet. Ein weiterer Bewegungsschnitt besteht in Dreas Blick auf die Badewanne, der in die Bewegung übergeht, als sie sich selbst durch den Garten marschieren sieht. Diese Schnitte sollen auch deshalb anders sein, weil die Erinnerungen unterschiedlich sind.

In visueller Hinsicht muss dem Fernsehzuschauer ja etwas anders geboten werden als, sagen wir einmal, vor zehn Jahren.
Die Ansprüche sind gewiss gewachsen. Die Sehgewohnheiten ändern sich ja auch. Filme sind heute viel schneller geschnitten als früher. Die Zuschauer wachsen damit – aber die Regisseure auch!

Zur Dramaturgie: „Die Lehrerin“ beginnt mit einer Sequenz am Meer, die gegen Ende wieder aufgenommen wird. Gehört es auch zu den heutigen Sehgewohnheiten, dass mit einem „Paukenschlag“ eröffnet wird, damit der Fernsehzuschauer an den Sessel gefesselt wird?
Sie meinen ja die Klammer mit dem Meer. In der ersten Drehbuchfassung stand etwas anders, aber dann kam der Gedanke, ob wir diese Szene nicht ans Meer verlegen können, weil es visuell schöner ist. Ich weiß nicht, ob dies ein „Paukenschlag“ ist – das könnte eher der Schuss sein. Wir dachten aber, dadurch bekommt der Film eine epische Breite. Grundsätzlich ist es jedoch richtig, was Sie beobachten, dass die Dramaturgie darauf angelegt ist, den Zuschauer möglichst zu binden. Weil dies auch im Kino vielfach geschieht, hängt es gewiss mit den veränderten Sehgewohnheiten zusammen.

Bemerkenswert ist der Nebenstrang mit der schwangeren Schülerin. Haben Sie ihn bewusst als Kontrapunkt gewählt? Hier entsteht ein Leben, während die angeschossene Lehrerin im Koma liegt.
Dreas Umgang damit zeigt exemplarisch, dass sie von ihrer Freundin Katja gelernt hat. Zunächst möchte sie das Mädchen davon überzeugen, abzutreiben. Durch die „Gespräche“ mit Katja im Krakenhaus, die ja nur in ihrem Kopf stattfinden, lernt sie von ihr. Drea wird erst dadurch richtig zur Lehrerin. Diese Entwicklung wird mit dem schwangeren Mädchen gekrönt. Dass es problematisch bleiben wird, wenn eine 14-Jährige Mutter wird, keine Frage – aber Drea lernt, dass es auch andere Lösungen gibt.
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