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José GarcÃa Foto: Wild Bunch In dem mit vier Oscars ausgezeichneten Spielfilm âA Beautiful Mind â Genie und Wahnsinnâ (2001) verarbeitete der amerikanische Regisseur Ron Howard das Leben des genialen Mathematikers John Nash filmisch, der 1994 den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften erhielt, später aber an paranoider Schizophrenie erkrankte, so dass er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden musste. Von einem hochbegabten Mathematiker, der nach einem psychischen Zusammenbruch und der Entlassung aus der Klinik einen veritablen sozialen Abstieg erfährt, handelt ebenfalls der nun anlaufende Spielfilm âDie Summe meiner einzelnen Teileâ des österreichischen Regisseurs mit Wohnsitz Berlin Hans Weingartner. In der ersten Szene sieht der Zuschauer einen offensichtlich verstörten jungen Mann mit freiem Oberkörper im Wald. Nach einer Schwarzblende sitzt er im Polizeiauto und wird abtransportiert. Ob dies der chronologische Anfang der Geschichte von Martin Blunt (Peter Schneider) oder ein vorweggenommener späterer Zeitpunkt ist, um Martins Charakter zu etablieren, wird aufgrund dieses elliptischen Erzählens noch nicht deutlich. Erst nach einem weiteren erzählerischen Sprung kommt âDie Summe meiner einzelnen Teileâ zur Ruhe: Martin Blunt wird aus der Klinik entlassen, nicht ohne dass ihm mit Nachdruck empfohlen wird, seine Tabletten regelmäÃig einzunehmen. Er kommt in einer kaum eingerichteten sozialen Wohnung unter, aus der er möglichst bald herauszukommen hofft. Daraus wird jedoch nichts, weil Martin seine alte Arbeitsstelle nicht zurückbekommt, denn sein ehemaliger Vorgesetzter befürchtet einen Rückfall. Ohne Job und ohne Freundin Petra (Julia Jentsch), die ihn längst verlassen hat, verliert Martin bald nach dem vom Gerichtsvollzieher überbrachten Räumungsbescheid auch noch die Sozialwohnung. In eine Obdachlosenunterkunft will er nicht, weshalb Martin in einem Abbruchhaus landet. Mit dem Absetzen der Medikamente und dem übermäÃigen Alkoholkonsum beginnt Martin auch seine Umwelt verzerrt wahrzunehmen. Irgendwann einmal rettet Martin einen etwa zehnjährigen StraÃenjungen vor ein paar Schlägertypen. Obwohl Viktor (Timur Massold) nur ukrainisch spricht, entsteht zwischen den beiden über die Sprachbarriere und den Altersunterschied hinweg eine Freundschaft: Viktor weckt in Martin den Beschützerinstinkt. Das Kind entfacht aber auch eine beruhigende und heilsame Wirkung auf Martin. Denn Viktor bringt dem Ãlteren nicht nur das Flaschensammeln bei, mit dem sie halbwegs über die Runden kommen, sondern versucht immer wieder, Martin das Trinken abzugewöhnen. Viktor bringt Martin darüber hinaus auf die Idee, sich im Wald eine Hütte zu bauen, wo sie wohnen können. Endlich wirkt Martin ausgeglichener, so dass er sich sogar traut, die Zahnarzthelferin Lena (Henrike von Kuick) aufzusuchen, deren weggeworfenen Liebesbrief das Duo in einem Mülleimer gefunden hatte. Die von Hans Weingartner und seinem Mit-Drehbuchautor Cüneyt Kaya entwickelte Dramaturgie besteht aus zwei voneinander verschiedenen Hälften, die sich ebenfalls in den Schauplätzen widerspiegeln: Die graublauen, entsättigten Bilder der dadurch kalt erscheinenden GroÃstadt kontrastieren mit den satten Farben des Waldes. Dieser Kontrast reflektiert aber auch den jeweiligen Seelenzustand Martins: Nach der Verwahrlosung und der fast autistischen Desorientierung in der Stadt hellt sich sein Inneres in der Wildnis auf. Dort erlebt er einen von einer leicht optimistischen Gitarrenmusik unterstützten Frühling. Auf die Frage, ob âDie Summe meiner einzelnen Teileâ ein realistischer Film sei, antwortet Regisseur Hans Weingartner: âKeine Ahnung, Ich würde eher sagen, es ist ein archetypischer Film. Reale Figuren, Emotionen und Lebensumstände werden entkernt und fokussiert.â Die hyperrealistische Kameraführung von Henner Besuch und der teilweise sprunghafte Schnitt von Andreas Wodraschke und Dirk Oetelshoven lassen manche Passagen halbdokumentarisch, die Beziehung zum kleinen Jungen eher märchenhaft erscheinen. âDie Summe meiner einzelnen Teileâ setzt insbesondere jedoch auf das starke Spiel seiner Hauptdarsteller. Peter Schneider, der vor allem als Theaterschauspieler in Leipzig tätig ist, gelingt ein eindringliches Porträt des aus der Gesellschaft ausgestoÃenen Mathematikgenies Martin Blunt, ohne auf Manierismen zurückzugreifen. Aber auch der völlig natürlich wirkende 11-jährige Timur Massold überzeugt. Die Chemie zwischen den beiden Darstellern trägt in hohem MaÃe zur Authentizität von Weingartners Film bei. Bei aller Kritik an einer Leistungsgesellschaft, die Stress und dadurch psychische Erkrankungen verursacht (Weingartner: âPro Jahr werden in Deutschland eine Milliarde Tagesdosen Antidepressiva verschrieben. Wir sind eine Gesellschaft auf dem Weg in die permanente Medikationâ), entlässt der Film den Zuschauer nicht ohne Hoffnung, dass Martin Blunt seine Vision vom Leben verwirklichen wird. |
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