HUGO CABRET | Hugo
Filmische Qualität:   
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley, Sacha Baron Cohen, Ray Winstone, Emily Mortimer
Land, Jahr: USA 2011
Laufzeit: 126 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 2/2012
Auf DVD: 8/2012


José García
Foto: Paramount

Lieferte kürzlich der französische Regisseur Michel Hazanavicius in „The Artist“ (siehe Filmarchiv) eine Hommage auf die Stummfilmära, so würdigt ebenfalls Martin Scorsese im nun anlaufenden „Hugo Cabret“ den frühen Film, genauer Georges Méliès, der als der Erfinder des Film-Schauspiels gilt. Inszenierte jedoch Hazanavicius „The Artist“ mit den Filmmitteln der Stummfilmzeit, in Schwarzweiß und ohne Dialoge, so steht die Filmsprache von „Hugo Cabret“ sozusagen am anderen Ende des Filmspektrums: Scorsese drehte „Hugo Cabret“ nicht nur in Farbe, sondern auch in 3D. Wie der amerikanische Regisseur von den Möglichkeiten der 3D-Technik Gebrauch macht, stellt er bereits in der fulminanten Eingangssequenz unter Beweis, als die Kamera den Zuschauer über die Dächer von Paris zur Gare Montparnasse und bis hinter die große Bahnhofsuhr förmlich mitnimmt.

Basierend auf Brian Selznicks Kinderroman „Die Entdeckung des Hugo Cabret“ erzählt Regisseur Martin Scorsese nach einem Drehbuch von John Logan vom zehnjährigen Hugo Cabret (Asa Butterfield), der im Jahre 1931 im Gemäuer des Bahnhofs heimlich lebt. Dort kümmert er sich um die große Bahnhofsuhr, nachdem sein Vater (Jude Law) bei einem Brand ums Leben kam und ihn sein nichtsnutzer Onkel mit in den Montparnasse-Bahnhof mitnahm. In grellen Farben und untermalt mit beschwingter, an das Paris der dreißiger Jahre erinnernder Musik werden leicht comichafte Figuren eingeführt, allen voran der kriegsinvalide Stationsvorsteher (Sascha Baron Cohen), der mit seinem blutrünstigen Dobermann im Bahnhof auf Kinder Jagd macht. Andere Geschichten werden in kleinen Nebensträngen erzählt, etwa die der Blumenverkäuferin Liselle (Emily Mortimer), des Zeitschriftenhändlers Monsieur Frick (Richard Griffiths), der die Cafébesitzerin Madame Emilie (Frances de la Tour) gerne näher kennenlernen würde, stünde ihm nicht ihr bissiger Hund im Wege. Für Hugo ist von allen Menschen, die den Bahnhof bevölkern, Monsieur Georges (Ben Kingsley) am wichtigsten. Denn der alte, stets schlecht gelaunte Mann betreibt einen Krimskrams-Laden, in dem sich der Junge die Ersatzteile besorgt, die er für sein Geheimprojekt benötigt: Einen Schreibroboter, einen menschenähnlichen Automaten, zu reparieren, den er von seinem Vater geerbt hatte. Als Monsieur Georges Hugo sein Notizbuch wegnimmt, folgt ihm der Junge, der so Herrn Georges’ Stieftochter Isabelle (Cholë Grace Moretz) kennenlernt. Sie nimmt Hugo etwa einmal ins Kino mit, wo sie einen alten Film sehen, Harold Lloyds „Ausgerechnet Wolkenkratzer“.

Auf den ersten Blick könnte es verwundern, dass Mafia- und Gangsterfilmspezialist Martin Scorsese, der von „Taxi Driver“ (1976) bis „Gangs of New York“ (2002) und „Departed – Unter Feinden“ (2006) die Klaviatur der Gewaltdarstellung auf der großen Leinwand wie kaum ein anderer Filmregisseur beherrscht, ein Kinderbuch fürs Kino adaptiert hat. „Hugo Cabret“ ist jedoch weitaus mehr als eine Kinderbuch-Verfilmung. Denn irgendwann einmal stellt es sich heraus, dass Monsieur Georges niemand anderes ist als Kinopionier Georges Méliès (1861-1938), nur dass er 1931 bereits von allen vergessen ist, so dass er ein zurückgezogenes, resigniertes Leben führt. Nun findet Scorsese sein eigentliches Filmsujet weit über die Kindergeschichte hinweg. Denn „Hugo Cabret“ nimmt sich wie eine filmische Hommage an einen der ganz großen Schöpfer des frühen Films aus. Regisseur Scorsese, der diese Hommage mit einem kleinen Hitchcock-mäßigen Auftritt krönt, zeigt nicht nur Ausschnitte aus Méliès-Filmen wie „Die Reise zum Mond“ („Voyage dans la lune“, 1902) und aus Filmen anderer Autoren aus dem beginnenden 20. Jahrhundert sowie Dokumentaraufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg.

In „Hugo Cabret“ verknüpft Martin Scorsese außerdem den in dieser Zeit weit verbreiteten Fortschrittsoptimismus, der sich in mechanischen Erfindungen wie den allgegenwärtigen Uhren oder dem Automaten äußert, mit der ebenfalls in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstehenden Begeisterung für das Kino als „Traumfabrik“. Dafür geht er in die Zeit des sogenannten „frühen Filmes“ zurück, als sich das Kino von den vor der Kamera anderer Filmpioniere (etwa der Lumière-Brüder in Paris oder der Brüder Skladanowsky in Berlin) vollführten Varieté- und Show-Nummern emanzipierte und eine eigene Filmsprache entwickelte. Bei diesem Prozess, der in David W. Griffiths „Die Geburt einer Nation“ (1915) abgeschlossen war, spielte Georges Méliès eine entscheidende Rolle. Indem Scorsese in Rückblenden Méliès bei seiner Arbeit als Regisseur zeigt, verbeugt er sich vor dem Kino als eigenständiger Kunstform.

„Hugo Cabret“ geht in die letzte Oscar-Runde als der Film mit den meisten Nominierungen (elf) vor „The Artist“ mit zehn, wobei allerdings Scorseses Film im Gegensatz zu „The Artist“ in den Kategorien der Haupt- und Nebendarsteller keine Nominierungen erhielt.
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