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2/2012 |
José GarcÃa
Foto: Berlinale
Im Wettbewerb der 62. Internationalen Filmfestspiele gingen insgesamt 18 Filme ins Rennen um den Goldenen und die Silbernen Bären, weitere fünf wurden âauÃer Konkurrenzâ gezeigt. Einen gewissen Trend setzte bereits der Eröffnungsfilm: Benoit Jacquots Drama âLebewohl, meine Königin!â beginnt am 14. Juli 1789, dem Tag der Bastille-Erstürmung. Der Zuschauer erlebt die Französische Revolution aus der Sicht des Versailles-Hofes, genauer mit den Augen der aus kleinen Verhältnissen stammenden Sidonie Laborde (Léa Seydoux), die als Vorleserin der Königin Marie Antoinette (Diane Kruger) einen Einblick in die Hinterzimmer des Hofes gewährt â und dies ganz wörtlich gemeint, denn das sich in den einfachen Räumlichkeiten der Höflinge abspielende Drama macht aus Jacquots Film weitaus mehr als einen auf Ausstattung und Requisite besonderen Wert legenden âKostümfilmâ.
In einer ähnlich weit zurückliegenden Epoche ist ebenfalls Nikolaj Arcels Beitrag âDie Königin und der Leibarztâ angesiedelt. Setzt der Film im Jahre 1768 an, als der deutsche Arzt Johann Friedrich Struensee (Mads Mikkelsen) den dänischen König Christian VII. (Mikkel Boe F?lsgaard) zunächst auf einer Europareise begleitet, später immer mehr Einfluss auf den König ausübt und eine Affäre mit Königin Caroline Mathilde (Alicia Vikander) beginnt, so ist die Mischung aus Liebesfilm und politischer Tragödie von den Idealen der Französischen Revolution geprägt. âHeute, in Zeiten von intellektueller Intoleranz und von Fundamentalismusâ, sei der Film laut dem Regisseur âauch eine Hommage an die Gedanken der Aufklärung, die Gedanken von Männern wie Voltaire und Struenseeâ. Diese teilweise aufdringliche Idealisierung der Aufklärung in ihrem Kampf gegen den Einfluss des Adels und der Kirche schmälert jedoch den Wert eines gut gespielten und gut inszenierten Films. Der dritte âKostümfilmâ der Berlinale, eine neue Filmadaption von Guy de Maupassants gesellschaftskritischem Roman âBel Amiâ, beschränkt sich jedoch auf die Affären des Parvenüs Georges Duroy (Robert Pattinson) mit älteren Gesellschaftsdamen.
Nach mehreren Jahren Leinwand-Abstinenz kehren die italienischen Brüder Vittorio (geb. 1929) und Paolo (geb. 1931) Taviani mit âCesare deve morireâ (âCäsar muss sterbenâ) ins Kino zurück. Ihr mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichneter Film erzählt von einem auÃergewöhnlichen Theaterprojekt: Die im Hochsicherheitstrakt einer römischen Strafanstalt einsitzenden Häftlinge proben sechs Monate lang Shakespeares âJulius Cäsarâ. Die 76 Minuten lange, eigenwillige Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm besticht nicht nur durch den scharfsinnigen Einsatz der Farbe â die Proben werden in Schwarz-WeiÃ, die Aufführung in Farbe wiedergegeben â, sondern auch durch die Ausnutzung der engen Verhältnisse etwa auf dem Gefängnishof, um eine klaustrophobische Wirkung zu erzielen. Weil sich das Shakespeare-Drama um Betrug, Machtkampf und nicht zuletzt Freiheitsstreben in den Lebensverhältnissen der Häftlinge spiegelt, erfährt âCesare deve morireâ eine bemerkenswerte Brechung. Mit âBarbaraâ nimmt der 1960 geborene deutsche Regisseur Christian Petzold bereits zum dritten Mal am Berlinale-Wettbewerb teil. Im Jahre 1980 wird die Ãrztin Barbara (Nina Hoss) von der Charité in ein Provinzkrankenhaus strafversetzt, nachdem sie einen Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt hatte. Obwohl sie von Anfang mit Jörgs (Mark Waschke), ihres Geliebten aus dem Westen, Hilfe ihre Flucht plant, verwirrt sie ihr neuer Vorgesetzter André (Ronald Zehrfeld). Als die AusreiÃerin Stella (Jasna Fritzi Bauer) um ihre Hilfe bittet, gerät ihre ganze Planung ins Wanken. Dramaturgisch konventioneller als frühere Petzold-Filme, schlägt âBarbaraâ den Zuschauer durch das intensive Schauspiel der Akteure und die atmosphärische Erzähldichte in den Bann.
Zeichnete sich die Berlinale in den letzten Jahren durch gesellschaftspolitische Beiträge aus, so nahmen am Programm der 62. Filmfestspiele insbesondere zwei Filme teil, die diese Thematik mit hohem künstlerischem Anspruch verbinden: Basierend auf wahren Tatsachen lieferte der ungarische Regisseur Bence Fliegauf mit âCsak a szél â Just the Windâ ein realistisch inszeniertes Drama, das eine rassistisch motivierte Mordserie an Roma-Familien in Ungarn mit wenigen Worten, einer nervösen, an den Figuren stets nahe bleibenden Kamera und ohne jedes unnötige Beiwerk sensibel in Szene setzt. Im âRebelle â War Witchâ erzählt der kanadische Regisseur Kim Nguyen konsequent aus der Sicht seiner Hauptfigur Komona (Rachel Mwanza) von Kindersoldaten in Afrika. Als Zwölfjährige von Rebellen verschleppt, erlebt sie nicht nur Grausames â auch sie wird dazu gezwungen, brutal zu ermorden. Mitten in den Grauen dieses Krieges verliebt sich Komona in einen Jungen mit weiÃen Haaren, den sie Magier (Serge Kanyinda) nennt. Mit nüchternem, aber nicht allzu naturalistischem Realismus, der immer wieder durch traumhafte Sequenzen unterbrochen wird, gelingt es Kim Nguyen, alle Klippen des Betroffenheitskinos zu umschiffen.
Ein Meisterwerk im diesjährigen Wettbewerb zeichnet sich durch eine beobachtende, fast halbdokumentarisch wirkende Kameraführung aus: âL'enfant d'en haut â Sisterâ der schweizerisch-französischen Regisseurin Ursula Meier erzählt vom zwölfjährigen Simon (Kacey Mottet Klein), der den Lebensunterhalt für sich und seine um einiges ältere, für jede Verantwortung unfähige Schwester Louise (Léa Seydoux) mit dem Verkauf von gestohlenen Skiern âverdientâ. Obwohl âL'enfant d'en hautâ auch die Widersprüche der vermeintlichen Wohlstandsgesellschaft kritisiert, handelt Meiers Film insbesondere von Simons Sehnsucht nach Geborgenheit in der Familie. Die Familie steht auÃerdem im Mittelpunkt etlicher Wettbewerbs-Beiträge. In âShadow Dancerâ gelingt es dem britischen Regisseur James Marsh, dem Nordirland-Konflikt dadurch eine interessante neue Facette abzugewinnen, dass die junge Colette (Andrea Riseborough) von einem britischen Geheimdienstmitarbeiter (Clive Owen) vor die Wahl gestellt wird, entweder ihren kleinen Sohn nie wiederzusehen oder ihre eigene Familie auszuspionieren. Die Familie steht ebenso im Mittelpunkt der amerikanischen Filme âExtrem laut und unglaublich nahâ (Stephen Daldry) und âJayne Mansfield's Carâ von Billy Bob Thornton wie in den deutschen Beiträgen âWas bleibtâ und âGnadeâ. In âWas bleibtâ erzählt Hans-Christian Schmid von einer gutbürgerlichen Familie, die an einem Wochenende auseinanderbricht, weil die Mutter (Corinna Harfouch) spurlos verschwindet. Trotz der groÃartigen Kameraführung und eines meisterhaften Schnitts kann diesmal Schmid nicht ganz überzeugen, zu blutleer nehmen sich doch seine Figuren aus. Matthias Glasners âGnadeâ handelt von einer auseinanderdriftenden Familie, die in Norwegen nach einem Neuanfang sucht, den sie erst nach einem schweren Schicksalsschlag findet. Dank der stark spielenden Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr und der anregenden Kameraführung von Jakub Bejnarowicz gelingt Regisseur Glasner eine bemerkenswerte Balance aus kammerspielartigem Melodram und gewaltigen Naturbildern.
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Goldener Bär für den Besten Film
âCesare deve morireâ (âCeaser must dieâ)
von Paolo & Vittorio Taviani
GroÃer Preis der Jury â Silberner Bär
âCsak a szél â Just the Windâ
von Bence Fliegauf
Silberner Bär für die Beste Regie
Christian Petzold für âBarbaraâ
Silberner Bär für das Beste Drehbuch
Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg für
âDie Königin und der Leibarztâ
Silberner Bär für die Beste Darstellerin
Rachel Mwanza
in âRebelleâ von Kim Nguyen
Silberner Bär für den Besten Darsteller
Mikkel Boe Følsgaard
in âDie Königin und der Leibarztâ von Nikolaj Arcel
Sonderpreis â Silberner Bär
âLâenfant dâen haut â Sisterâ
von Ursula Meier
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