VIERTE MACHT, DIE | Die vierte Macht
Filmische Qualität:   
Regie: Dennis Gansel
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Kasia Smutniak, Max Riemelt, Rade Serbedzija, Stipe Erceg, Mark Ivanir, Reiner Schöne, Charlotte Albrecht
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 115 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G, X -
im Kino: 3/2012
Auf DVD: 9/2012


José García
Foto: Universal

„Die vierte Macht“ handelt von einem Berliner Klatschspalten-Journalisten, der in Russland in einen undurchsichtigen Terrorismusfall verwickelt wird: Um einer Lebenskrise zu entfliehen, fährt Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) nach Moskau, wo er beim Boulevard-Magazin von Alexej Onjegin (Rade Serbedzija), einem Freund seines Vaters, eine Stelle bekommt. Paul verliebt sich in die schöne Katja (Kasia Smutniak), die ihn dazu bringt, einen politischen Nachruf zu veröffentlichen. Als Katja bei einem Bombenanschlag ums Leben kommt, wird Paul der Beihilfe zum Terrorismus beschuldigt und in ein berüchtigtes Gefängnis gesteckt. Nachdem Onjegin seine Auslieferung bewirkt hat, kann Paul das politische Komplott nur auflösen, indem er sich seiner eigenen Vergangenheit stellt. Basierend auf wahren Ereignissen entwickelt sich Dennis Gansels „Die vierte Macht“ zu einem actiongeladenen Verschwörungsthriller über die Beteiligung der russischen Regierung an Bombenattentaten, für die tschetschenische Freiheitskämpfer verantwortlich gemacht wurden. Dank einer immer am Geschehen nahen Kamera und einer mitreißenden Musik wird der Zuschauer trotz der künstlich wirkenden Nachsynchronisierung (der Film wurde auf Englisch gedreht) in die Handlung regelrecht hineingezogen.


Interview mit Regisseur Dennis Gansel

Nach „Napola“ (2004) und „Die Welle“ (2007) haben Sie erneut einen Spielfilm gedreht, der im Unterschied zu den meisten deutschen Produktionen nicht nur Unterhaltung bietet. Wie kamen Sie auf die Idee?
Die Idee geht auf mein Spielfilmdebüt „Das Phantom“ (2000) zurück, der von der dritten Generation der R.A.F. handelt, sowie von einem jungen Mann, der in eine Verschwörung gerät. Die These des Films ist, dass es dritte Generation in der uns bekannten Form nicht gegeben hat und dass das Schreckgespenst des Terrorismus in der Bevölkerung die Angst schüren sollte, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Als ich dann in Russland „Napola“ vorstellte, lernte ich die Schriften von Anna Politoskaia kennen. Ich habe mich mit Tschetschenien auseinandergesetzt und erfuhr, dass der Anschlag von 1999, auf den „Die vierte Macht“ Bezug nimmt, nach der Meinung vieler Russen eigentlich auf das Konto des Geheimdienstes ging, der so einen Krieg entfachen wollte. Ich fand, Russland biete eine Blaupause, wie weltweit mit Terrorismus umgegangen wird.

Auch wenn sich die Grundaussage Ihres Filmes nicht allein auf Russland beschränkt, kommt es dabei nicht besonders gut weg. Wie waren die Drehbedingungen dort?
Wir haben relativ wenig in Russland, dafür mehr in der Ukraine gedreht, wobei die Innenszenen komplett in Berlin entstanden sind. So waren wir lediglich drei Tage in Moskau. Allerdings hatten wir dort eigentlich gute Drehbedingungen. Der Film ist in Russland noch nicht gezeigt worden, so dass wir sehr gespannt sind, wie „Die vierte Macht“ dort aufgenommen wird. Was in Russland zurzeit geschieht, ist ohnehin sehr spannend. Als wir in Moskau drehten, war von Opposition gar nicht die Rede – mittlerweile fanden dort ernstzunehmende Demonstrationen statt.

„Die vierte Macht“ erzählt bewusst eine Verschwörungstheorie. Einige Momente, etwa dieses „Finde Wahrheit in Deiner Familie“ lassen fast an Dan Brown denken…
Das ist dem Spannungsbogen geschuldet. Polit-Thriller werden sehr schnell trocken. Und weil das Publikum eigentlich an politischen Filmen kaum interessiert ist, versucht man, den Prozess der Aufklärung, der Wahrheitsfindung spannend zu gestalten, etwa für einen Fünfzehnjährigen in der Kleinstadt.

Aber ist Ihr Zielpublikum ein 15-Jähriger in der Kleinstadt oder nicht doch ein Student in der Großstadt?
Da haben Sie Recht. Aber es wäre schön, wenn der Film ein größeres Publikum finden würde. Außerdem will auch der 22-jährige Student unterhalten werden.

Auch wenn der Film eindeutig in der Jetztzeit spielt, erinnert seine Bildsprache an den Kalten Krieg. Welche waren Ihre Vorbilder bei der Inszenierung?
Alles aus den Siebzigern. Ich bin ein großer Fan von „New Hollywood“ und insbesondere von „Die drei Tage des Condor“ bis „All the President’s Men“, auch von „French Connection – Brennpunkt Brooklyn“. Das waren in etwa die Bilder, die mir vorschwebten.

In der Tat sind Polit-Thriller im deutschen Kino nicht sehr verbreitet.
In Deutschland gibt es viele Stoffe, die ursprünglich fürs Kino gedacht waren und dann als Fernsehfilme realisiert werden, darunter Thriller. Eigentlich sind zurzeit im deutschen Kino nur die Komödien erfolgreich. Es sind gute Komödien dabei, keine Frage. Aber ein bisschen einseitig wirkt es schon.

Sie haben zum ersten Mal auf Englisch gedreht. Wie war diese Erfahrung mit Schauspielern aus verschiedenen Ländern?
Die englische Original- unterscheidet sich schon von der deutschen Fassung. Man muss ja die Texte neu schreiben. Natürlich kommt dann eine gewisse Verwirrung, wenn deutsche Schauspieler sich selbst synchronisieren. Sie haben es ja prima gemacht, aber der deutsche Zuschauer spürt, dass die Lippenbewegungen nicht immer hundertprozentig stimmen. Allerdings steht die Qualität der Synchronisierung außer Frage: Es wurde in denselben Studios und mit demselben Synchron-Regisseur gearbeitet, der die großen amerikanischen Spielfilme synchronisiert.


Interview mit Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu

Im Film spielen Sie einen deutschen Journalisten, der in einer Moskauer „Regenbogen-Zeitschrift einen Neuanfang macht. Wie haben Sie Ihre Figur entwickelt?
Ich habe mich zunächst in Zeitungsredaktionen umgeschaut. Dort habe ich nach jemand gesucht, der ganz anders ist, und deshalb eine gewisse Narrenfreiheit besitzt. Meine Figur sollte am Anfang etwas verlogen sein, auf den ersten Blick nicht wie ein „Yellow Press“- Journalist wirken, sondern wie jemand, der ambitionierten Journalismus macht. Denn er schiebt eine Lüge vor sich her. Er erweckt den Eindruck, ein aufgeschlossener, intelligenter Journalist zu sein, hat aber eigentlich seine Seele schon lange an den Teufel verkauft.

Wie haben Sie die Dreharbeiten in Moskau empfunden?
Wir haben nur kurz dort gedreht. Denn in Moskau zu drehen, ist wahnsinnig schwer – und auch sehr teuer. Ich wäre ohnehin froh gewesen, wenn wir den Film ganz in Deutschland gedreht hätten.

Ist „Die vierte Macht“ in seiner Bildersprache ein typischer Siebziger–Jahre-Film?
In den Siebzigern gab es zwar viele Filme, die so aussahen. Aber es ist vor allem ein Thriller, was im deutschen Kino sehr selten vorkommt. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, in diesem Film mitzuspielen.

Warum werden Ihrer Meinung nach in Deutschland so wenige Thriller fürs Kino produziert?
Vielleicht liegt es daran, dass ein Thriller über diese erste Ebene hinausgeht, die sich an die Emotionen des Zuschauers richtet. Bei einem Thriller ist so wichtig wie die erste Ebene eine zweite, wo es etwa politisch wird. An der Kinokasse haben Thriller es schwer, weil der normale Zuschauer ins Kino geht, um sich unterhalten zu lassen. Vor allem haben wir jedoch ein Abwerbe-Problem: Deutsche Regisseure, die erfolgreiche Filme machen, drehen mit ziemlicher Sicherheit den zweiten Film in Hollywood. Ich hätte gerne den zweiten Thriller von Florian Henckel von Donnersmarck in Deutschland gesehen, aber ich kann es ihm nicht übelnehmen, dass er mit Angelina Jolie und Johnny Depp einen Film macht. Es gibt eine Reihe Regisseure wie Robert Schwentke, Mennan Yapo und andere, die hier das Genrekino hätten definieren können und nach Hollywood ausgewandert sind.

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