KADDISCH FÜR EINEN FREUND | Kaddisch für einen Freund
Filmische Qualität:   
Regie: Leo Khasin
Darsteller: Ryszard Ronczewski, Neil Belakhdar, Neil Malik Abdullah, Sanam Afrashteh, Kida Khodr Ramadan, Younes Hussein Ramadan, Heinz W. Krückeberg
Land, Jahr: Deutschland 2011
Laufzeit: 94 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 3/2012
Auf DVD: 9/2012


José García
Foto: farbfilm

Das Spielfilmdebüt von Leo Khasin „Kaddisch für einen Freund“ handelt von der langsamen Annährung zwischen zwei Menschen über Alters-, Kultur- und Religionsunterschiede hinweg: In Berlin Kreuzberg wohnen Tür an Tür der vierzehnjährige Ali Messalam (Neil Belakhdar), der mit seiner Familie aus dem Libanon fliehen musste, und der 84-jährige, jüdisch-russische Alexander (Ryszard Ronczewski). Um in eine arabische Gang aufgenommen zu werden, soll Ali als Mutprobe in Alexanders Wohnung einbrechen, was zu deren Verwüstung durch die Jugendlichen führt. Ali wird jedoch von Alexander erkannt und bei der Polizei angezeigt. Sollte der Junge verurteilt werden, droht ihm die Abschiebung. Seine einzige Chance, ihr zu entgehen: Ali muss seine Vorurteile über „die Juden“ ablegen, und Alexander bei der Renovierung der Wohnung helfen – in der Hoffnung, dass der alte Mann dann die Anzeige zurückzieht.


Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Leo Khasin

Ist die Geschichte von „Kaddisch für einen Freund“ rein fiktional oder basiert sie auf wahren Begebenheiten?
Es handelt sich um eine fiktionale Geschichte. Ich bin von einem surrealen Bild ausgegangen: Ein arabischer Junge spricht das Kaddisch, das wichtigste Gebet der Juden. Daraus hat sich dann die Geschichte fast von alleine entwickelt. Natürlich habe ich nachrecherchiert, mit Menschen gesprochen, so dass im Film reale Begebenheiten oder Gruppen wie der Veteranenclub vorkommen. Aber mein Film ist keine dokumentarische Arbeit.

Kann man Versöhnung als das Thema Ihres Filmes bezeichnen?
Als Thema würde ich nicht unbedingt als Erstes Versöhnung nennen, sondern zunächst einmal eine Konfrontation oder einen Dialog. Die Aussage „Ein arabischer Junge spricht das Kaddisch“ löst bei vielen Unbehagen und eine Diskussion aus. Deshalb geht es nicht darum, auf eine seichte Art Versöhnung darzustellen, sondern darum, diese Diskussion neu aufzurollen. Der Film zeigt, wie eine Annährung funktionieren könnte. Er liefert kein Rezept, sondern eine Möglichkeit.

Sie verschweigen im Film nicht, dass eine solche Annährung wegen der Biografien der Beteiligten so schwierig ist. So muss zu Beginn Alis Familie ihr Land verlassen. Am Ende erfährt der Zuschauer, dass Alexander auch einen großen Verlust zu verkraften hatte.
Es war mir wichtig zu erzählen, dass beide Seiten ein Päckchen zu tragen haben. Deswegen fällt es den beiden nicht so leicht, aufeinander zuzugehen. Zwar sind die Biografien der beiden Hauptfiguren erfunden, aber gleichzeitig auch authentisch. Die Story und die Figuren sind sozusagen von alleine gereift, aber die Färbung, die Backgrounds, sie kamen nach den Recherchen. Damit kam auch die Authentizität, weil diese Figuren in ähnlicher Form in der Realität immer wieder zu finden sind.

Könnte Berlin sozusagen als neutraler Boden angesehen werden, auf dem sich eine solche Begegnung leichter abspielt?
Diese universelle Geschichte könnte sich überall abspielen. Ich wollte etwas erzählen, dass aus meiner Umgebung herauswächst, deshalb Berlin. Übrigens finde ich besonders spannend, dass dieses Aufeinanderprallen von Kulturen in diesem Land mit seiner Vergangenheit spielt, in einem Land, das mittlerweile ein Einwanderungsland geworden ist. Das fand ich auch reizvoll: Einen Film zu zeigen, der in Deutschland spielt, in dem aber kaum Deutsche vorkommen.

Sie kommen ja selbst aus Russland, weshalb Sie einen ähnlichen Hintergrund wie Alexander haben...
Ja, ich bin mit acht Jahren nach Deutschland gekommen. Ich bin hier aufgewachsen, aber ich kenne die russische Kultur, ihre Mentalität. Und ich liebe sie. Mit dem Film wollte ich dieses Lebensgefühl mit seinem Humor und seiner Tragik weitergeben. Beispielsweise bin ich auf diesen Veteranenclub frühzeitig bei meinen Recherchen gestoßen. Ich finde es faszinierend, dass die Menschen in einem solchen Club innerhalb der jüdischen Gemeinde ihr altes Leben zelebrieren. Das tut fast jeder, der entwurzelt wurde: Er erinnert sich gerne an seine Vergangenheit, an Begegnungen mit gleichen Menschen.

Wie ist Ihre Erfahrung im Hinblick auf diese Kulturen: Leben sie miteinander oder eher aneinander vorbei?
Auch deshalb wollte ich diesen Film drehen, weil ich glaube, dass sie aneinander vorbeileben. Migranten leben in Kreuzberg, in Neukölln, in Wedding Tür an Tür, aber sie ignorieren sich. Sie haben keine Berührungspunkte. Mit „Kaddisch für einen Freund“ wollte ich zeigen, wie es anders gehen kann.

Eine Frage zu filmischen Vorbildern: Alexander erinnert bei allen Unterschieden an den von Clint Eastwood dargestellten alten Mann in „Grand Torino“, der ja auch einen Jungen aus einer ganz anderen Kultur zu akzeptieren lernt. War dieser Film für Sie ein Vorbild?
Nein. Für mein Spielfilmdebüt habe ich sehr lange gebraucht, so dass das Drehbuch bereits fertig war, bevor „Grand Torino“ in die Kinos kam. Später wurde mir in der Tat gesagt: „Schau’ Dir den Film an. Es ist genau Deine Geschichte“. „Grand Torino“ finde ich grandios, aber trotz ihrer ähnlichen Botschaft unterscheidet sich die Lösung: In „Grand Torino“ ist sie sehr amerikanisch, in meinem Film sehr europäisch. Weil ich die Unterschiede gesehen habe, hatte ich keine Angst, dass mein Projekt gefährdet sein könnte. „Grand Torino“ hat mich sehr berührt, was mich wiederum in meinem Vorhaben bestärkte, etwas zu erzählen, was aus mir herauskommt.
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