HINTER DER TÜR | The Door
Filmische Qualität:   
Regie: István Szabó
Darsteller: Helen Mirren, Martina Gedeck, Károly Eperjes, Gábor Koncz, Enikö Börcsök, Mari Nagy, Ági Szirtes, Péter Andorai, Irén Bódis, Ferenc Elek
Land, Jahr: Ungarn 2011
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2012


José García
Foto: Piffl

Die zu den bedeutendsten Autoren Ungarns gehörende Schriftstellerin Magda Szabó (1917–2007) gewann mit ihrem Roman „Hinter der Tür“ („Az ajtö“, 1987) im Jahre 2003 den französischen „Prix Femina Étranger“. In „Hinter der Tür“ erzählt Szabó von der komplexen Beziehung zwischen der Erzählerin und ihrer Haushälterin Emerenc, in deren Leben sich die Geschichte Ungarns im 20. Jahrhundert widerspiegelt – von der Invasion der Nationalsozialisten bis zur stalinistischen Phase der kommunistischen Regierung. Kern der Erzählung ist der rätselhafte Charakter Emerencs, der sich dadurch äußert, dass sie niemandem die Tür ihrer Wohnung öffnet, sowie deren in der Auseinandersetzung gegen grausame Umstände herausgebildeter Überlebensinstinkt. Magda Szabó verarbeitete in „Hinter der Tür“ offensichtlich Autobiographisches. So heißt die als Erzählfigur agierende Schriftstellerin Magda, deren Mann Tibor (Magda Szabó war mit dem Autor und Übersetzer Tibor Szobotka verheiratet). Nun hat der bekannte, mit der Schriftstellerin nicht verwandte, ungarische Regisseur István Szabó den Roman verfilmt.

Im Budapest an der Schwelle von den 1950er in die 1960er Jahre hat sich Magda (Martina Gedeck) zusammen mit ihrem kranken Mann Tibor (Károly Eperjes) in ein Landhaus zurückgezogen. Denn nach Jahren des Publikationsverbots während der stalinistischen Regierungszeit darf sie nun wieder veröffentlichen. Um in Ruhe arbeiten zu können, sucht Magda eine Haushaltshilfe. Ihr wird Emerenc (Helen Mirren) empfohlen, eine verschlossene, verhärmte ältere Frau, die Magda von Anfang an ihren Eigensinn und Selbstbewusstsein spüren lässt: Nicht sie („ich wasche nicht von allen Leuten die Wäsche“) bewirbt sich bei der Schriftstellerin, sondern die Höhergestellte muss sich zu Emerenc auf den Weg machen. Allerdings darf Magda lediglich bis vor die Tür von Emerencs Dienstwohnung. Denn hinter ihre Wohnungstür darf niemand hineinschauen, geschweige denn -kommen.

István Szabó inszeniert „Hinter der Tür“ als psychologisches Kammerspiel zwischen den zwei ungleichen Frauen. Ihr Verhältnis schwankt zwischen an eine Mutter-Tochter-Beziehung erinnernder Nähe und schroffer Zurückweisung. Ein Verhältnis, bei dem Emerenc stets die Bestimmende bleibt. Denn obwohl sie Magdas Mann als „Gebieter“ anspricht, setzt die Dienerin immer wieder ihren Willen durch, beispielsweise durch kitschige Geschenke, mit denen sie die Wohnung ihrer Herrschaften dekoriert, obwohl die Beschenkten die abgeschmackten Porzellanfigürchen am liebsten verstecken würden. Zwar zeigt der Film das Aufeinanderprallen zweier starker Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichem Bildungs- und sozialem Hintergrund. Der Schwerpunkt verlagert sich jedoch immer stärker in Richtung Emerenc, auch deshalb, weil Magda immer neugieriger auf Emerencs Geheimnisse wird. Nach und nach enthüllt die Dienerin ihre Vergangenheit, die Regisseur István Szabó in Rückblenden zeigt, etwa das traumatische Erlebnis als junges Mädchen, als ihre kleinen Zwillingsschwestern von einem Blitz getötet wurden und ihre Mutter daraufhin Selbstmord beging. Oder als die junge Emerenc während der Nazibesatzung ein jüdisches Kind, dessen Eltern das Land verlassen konnten, als ihr eigenes ausgab. In diesen Szenen, aber auch in denen der Rahmenhandlung, findet die ungarische, ja die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts Eingang, womit „Hinter der Tür“ eine weitere Erzählebene erhält.

Obwohl die eigentlich klassische Inszenierung und die ruhig-statischen Bilder von Kameramann Elemér Ragályi in den Rückblenden eine bläuliche, allzu melodramatische Färbung erhalten, obwohl die Klaviermusik manchmal die Handlung dahinplätschern lässt und sich das Ende allzu sehr in die Länge zieht, überzeugt „Hinter der Tür“ insbesondere durch das ausdrucksstarke Spiel der zwei Hauptdarstellerinnen. „Film bedeutet für mich Großaufnahmen“, führt dazu Regisseur István Szabó aus. „Wir können erleben, wie ein Gedanke Film wird und wie aus Liebe in zwei Sekunden Eifersucht entsteht.“ Kameramann Ragályi setzt dies in Bilder um, in denen die Schauspielerinnen Martina Gedeck und vor allem Helen Mirren ihr Können unter Beweis stellen. Elemér Ragályi: Helen Mirren „ist total frei vor der Kamera. Ganz gerade, ohne Eitelkeit. Sie braucht niemanden, der um sie herumschwirrt und sie mit technischen Details versorgt.“

„Hinter der Tür“ stellt nicht nur zwei verschiedene gesellschaftliche Schichten gegenüber, was Emerenc mit den Worten zusammenfasst: „Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt. Die, die fegen, und die, die fegen lassen. Jesus hat gefegt“. Darüber hinaus prallen in Szabós Film ebenso zwei grundverschiedene Anschauungen aufeinander: Im Gegensatz zur gläubigen Magda, die in die Kirche geht, ist Emerenc allerdings nicht religiös im herkömmlichen Sinn, sondern besitzt einen diffusen „Glauben“ an die Natur.
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