NATHALIE KÜSST | La délicatesse
Filmische Qualität:   
Regie: David Foenkinos, Stéphane Foenkinos
Darsteller: Audrey Tautou, François Damiens, Bruno Todeschini
Land, Jahr: Frankreich 2011
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2012
Auf DVD: 8/2012


José García
Foto: Concorde

Als naive Träumerin wurde Audrey Tautou vor elf Jahren im mit zahllosen Preisen ausgezeichneten, modernen Märchen „Die fabelhafte Welt der Amelie“ („Le fabuleux destin dAmélie Poulain“) schlagartig weltweit bekannt. Der in einem idealisierten Paris angesiedelte Spielfilm des berühmten französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet erzählte von der großen Liebe einer jungen Frau, die allen Widrigkeiten trotzt. Spielte die französische Darstellerin – etwa in der Verfilmung des unsäglichen Dan-Brown-Romans „The Da Vince Code – Sakrileg“ (2006) oder in der Filmbiografie „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ (2009) – auch einmal ganz andere Rollen, so blieb sie einem breiten Publikum insbesondere in Romanadaptionen in Erinnerung, in denen sie ihr „Amelie“-Image der unschuldigen, verletzlichen jungen Frau mit großen Rehaugen ausspielen durfte, etwa in „Mathilde – Eine große Liebe“ („Un long dimanche de fiançailles“, siehe Filmarchiv) oder in „Zusammen ist man weniger allein“ („Ensemble c est tout“, siehe Filmarchiv).

Eine Art Amelie-Neuauflage liefert die inzwischen 36-jährige Audrey Tautou in der nun anlaufenden Roman-Verfilmung „Nathalie küsst“ („La délicatesse“). Dabei adaptierte David Foenkinos seinen in Frankreich mehr als 800 000 Mal verkauften, mit zehn Literaturpreisen ausgezeichneten und in 21 Sprachen erschienenen gleichnamigen Roman selbst zum Drehbuch. Regie führte er zusammen mit seinem Bruder Stéphane Foenkinos.

„Nathalie küsst“ beginnt mit einem zwanzigminütigen Prolog, in dem dank hervorragender witziger Schnitte der Editorin Virginie Bruant und der romantischen Bilder des Kameramannes Rémy Chevrin eine Liebesgeschichte im Zeitraffer erzählt wird: Als sich Nathalie (Audrey Tautou) und François (Pio Marmai) kennenlernen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie werden schnell ein Paar, heiraten und verleben eine wundervolle Zeit. Doch das Glück ist nicht von Dauer. Denn François kommt bei einem Unfall ums Leben, und Nathalies perfekte Welt bricht zusammen. Erst mit François Beerdigung und mit Nathalies Trauerarbeit beginnt der eigentliche Film. Nach einem erneut großartigen Schnitt ist die Handlungszeit drei Jahre vorangeschritten. Drei Jahre, in denen sich Nathalie ausschließlich in ihre Arbeit gestürzt hat, sodass ihr Chef Charles (Bruno Todeschini) sie zur Abteilungsleiterin befördert. Was allerdings auch damit zu tun hat, dass sich der Verheiratete in die schöne Angestellte verliebt hat.

Nathalie antwortet auf die Avancen ihres Chefs jedoch mit schroffer Zurückweisung. Für die Liebe hat sie keine Kraft mehr – bis eines Tages der unauffälligste Mitarbeiter ihres Teams in ihrem Büro zu einer Dienstbesprechung aufkreuzt. Spontan steht Nathalie auf, geht auf den Schweden Markus (François Damiens) wie in Trance zu und küsst ihn unvermittelt. Darauf folgt zunächst einmal sprachlose Verwirrung: Markus weiß gar nicht, wie es um ihn geschehen ist. Nathalie wiederum kann sich wohl kaum erklären, was in sie gefahren ist. Deshalb entschuldigt sich tags darauf die Chefin bei ihrem Mitarbeiter und bittet ihn, das Geschehene einfach zu ignorieren. So einfach ist es allerdings nicht – eine außergewöhnliche Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang.

Außergewöhnlich nimmt sich die Liebesgeschichte auf den ersten Blick aus, weil die zwei Charaktere äußerlich unterschiedlicher kaum sein könnten. Sie: feenhaft-schön, mit schlichter Eleganz gekleidet. Er: plump, mit Halbglatze und in immer gleich aussehenden, langweiligen Pullovern. Natürlich bekommt Markus Angst, als sich Nathalie mit ihm zu einem Abendessen verabredet, weil er ihre Unterschiede ähnlich empfindet, „als würde Liechtenstein mit den USA ausgehen“. Ähnlich witzige Sätze gibt Markus mehrfach zum Besten. Denn beim näheren Hinsehen stellt sich sein entwaffnender Humor, seine Natürlichkeit und Güte heraus. Nathalie und Markus haben darüber hinaus mehr gemeinsam, als zunächst angenommen werden konnte: Wegen ihrer Trauer und seiner Einsamkeit sind sie im Grunde verwandte Seelen. „Nathalie küsst“ bietet demnach nicht nur eine ausgefallene Liebesgeschichte. Der Film der Brüder Foenkinos handelt darüber hinaus von der Überwindung von Vorurteilen. Er ermutigt, bei den Menschen hinter Äußerlichkeiten, auf das Wesentliche zu schauen.

Mit viel Gespür für Rhythmus, feinem Humor und der Musik von Emilie Simon, die sich weder in den Vordergrund drängt noch Rührseligkeit hervorruft, sowie mit wunderbaren Bildern, die zwischen alltäglichem Realismus und einer teilweise an „Die fabelhafte Welt der Amelie“ erinnernden Traumwelt – so etwa in einer Szene auf einer Seine-Brücke mit einem leuchtenden Eiffelturm im Hintergrund – fließen, gelingt es den Filmemachern, leichtfüßig und auf unverbrauchte Art Komisches und Tragisches miteinander zu verknüpfen. Großen Anteil daran haben die Hauptdarsteller François Damiens und insbesondere Audrey Tautou, die in jeder Szene authentisch wirken.
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