EIN RUHIGES LEBEN | Una vita tranquilla
Filmische Qualität:   
Regie: Claudio Cupellini
Darsteller: Toni Servillo, Marco D'Amore, Francesco Di Leva, Juliane Köhler, Leonardo Sprengler, Alice Dwyer, Maurizio Donadoni
Land, Jahr: Italien / Frankreich / Deutschland 2010
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, X
im Kino: 5/2012


José García
Foto: farbfilm

Spätestens mit dem brutalen Mord an sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant 2007 in Duisburg wurde es deutlich, dass italienische Mafia-Organisationen auch in Deutschland aktiv sind. In Claudio Cupellinis nun anlaufendem Spielfilm „Ein ruhiges Leben“ („Una vita tranquilla“) reisen im Auftrag der Mafia die zwei jungen Italiener Diego (Marco D'Amore) und Edoardo (Francesco di Leva) nach Deutschland, um den Direktor einer Müllverbrennungs-Anlage zu ermorden, der kurz vor dem Abschluss eines Vertrages mit der Regierung der italienischen Region Kampanien steht. Das sollen die Mafiosi verhindern, damit sich die Camorra ihre illegalen Geschäfte mit der Müllentsorgung weiterhin sichern kann. Allerdings stellen die Machenschaften der neapolitanischen Camorra in Cupellinis Film jedoch lediglich die Folie dar, auf der sich ein Familiendrama abspielt. Denn als die zwei Auftragsmörder für ein paar Tage untertauchen müssen, suchen sie ein Hotelrestaurant in der Nähe von Wiesbaden auf.

Der Eigentümer des Hotels ist Rosario Russo (Toni Servillo), der vor Jahren in Rheinhessen auftauchte und hier eine Familie gründete. Heute verbringt der leidenschaftliche Koch „ein ruhiges Leben“ in der Provinz zusammen mit seiner deutschen Frau Renate (Juliane Köhler) und dem gemeinsamen Sohn Matthias. Das plötzliche Erscheinen der zwei Mafia-Mitglieder bringt indes dieses ruhige Leben ins Schwanken. Denn bald stellt es sich heraus, dass Diego Rosarios Sohn ist, den er als Kind 15 Jahre zuvor zusammen mit dessen Mutter verließ, als dem ehemaligen Mafiaboss der italienische Boden zu heiß wurde. In Italien wurde er für tot erklärt – und das soll auch so bleiben. Ein schwieriges Unterfangen, zumal der mit Diego eng befreundete Edoardo der Sohn des jetzigen Mafiabosses ist. Als Edoardo den Müllverbrennungsanlagen-Chef ermordet, wird Rosario ungewollt Zeuge. Nun überschlagen sich die Ereignisse: Zwischen Rosario und Edoardo kommt es zu einer Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang für den Jüngeren. Als es in Italien bekannt wird, dass Rosario noch lebt, reisen zwecks Begleichung einer alten offenen Rechnung zwei Mafiosi nach Deutschland. Im selben Augenblick wird außerdem Rosarios kleiner Sohn Matthias entführt. Rosario muss eine Entscheidung auf Leben und Tod treffen.

Regisseur Claudio Cupellini konterkariert über weite Strecken die Genrekonventionen eines Mafiafilmes insbesondere durch die gemächlichen Einstellungen von Kameramann Gergely Pohárnok. Gewinnen die Bilder erst im letzten Viertel von „Ein ruhiges Leben“ an Fahrt, so verrät die Tonspur bereits zu Beginn etwa durch eine zu diesen Bildern kaum passende Filmmusik den Thriller-Charakter des Filmes. Erst nach und nach kommen zum Genre gehörige symbolhafte Handlungen wie das Händewaschen oder Sprüche („Trau keinem, besonders keinem Italiener“) hinzu. Die teilweise mangelnde Spannung einiger dramatischer Wendungen hängt wohl eher mit einer unbefriedigenden, die eigentliche Zweisprachlichkeit des Filmes aufhebenden Synchronisierung zusammen. Denn die dramaturgisch gelungene Wandlung in der Tonart des Filmes korrespondiert mit der Entwicklung seiner Hauptfigur. Regisseur Cupellini und seine Drehbuch-Mitautoren Filippo Gravino und Guido Iuculano stellen denn auch Rosarios Wandlung in den Mittelpunkt. Weder der Nebenstrang mit Diego und Edoardo, und erst recht nicht die als ziemlich überflüssig wirkende stürmische Beziehung Edoardos zur Kellnerin Doris (Alice Dwyer), noch die Mafia-Geschäfte mit der Müllentsorgung lenken vom eigentlichen Protagonisten von „Ein ruhiges Leben“ ab.

Toni Servillo, der in Deutschland insbesondere mit „Gomorrha... Reise in das Reich der Camorra“ (siehe Filmarchiv) bekannt wurde, gestaltet seinen Rosario Russo mit vielen Nuancen, wofür er als bester Schauspieler im Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals Rom 2010 ausgezeichnet wurde. Erscheint er zunächst als der Inbegriff des zufriedenen Bürgers, der sich in der ländlichen Gegend eingerichtet hat und dessen Leidenschaft immer neue Menükreationen sind, mit denen er seinen Küchenchef in den Wahnsinn treibt, so schleichen sich in diese Idylle bald Misstöne ein, so etwa als Rosario vergisst, seinen Sohn zum Schwimmen zu fahren oder aber als der Hotelbesitzer in Bäume rostige Nägel treibt – gesunde Bäume dürfe er nicht fällen, und er möchte die Terrasse seines Restaurants doch gerne erweitern, erklärt er dazu. Diese andere, aus seiner Vergangenheit stammende Seite seiner Persönlichkeit, die zu seiner anfänglichen Heiterkeit kontrastiert, gewinnt immer mehr die Oberhand, je größer und unmittelbarer Rosario die Gefahr wahrnimmt, die sein hart erarbeitetes, „ruhiges Leben“ zum Einstürzen bringen kann. Mehr als die ihn einholende Vergangenheit ist es ein existenzialistischer Pessimismus („Gott interessiert sich nicht für die Menschen“), der Rosario zu einem Getriebenen macht, der das unheilvolle Schicksal nicht abwenden zu können glaubt. Dadurch stellt „Ein ruhiges Leben“ seine Hauptfigur, ohne jedoch den moralischen Zeigefinger zu erheben, vor grundlegende Entscheidungen. „Ein ruhiges Leben“ erhielt beim Brüsseler Filmfest 2011 den „Cineuropa“-Preis.
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