WOODY ALLEN: A DOCUMENTARY | Woody Allen: A Documentary
Filmische Qualität:   
Regie: Robert B. Weide
Darsteller: Mitwirkende) Letty Aronson, Jack Rollins, Diane Keaton, Dianne Wiest, Martin Scorsese, Leonard Maltin, Larry David, Penélope Cruz, Sean Penn, Scarlett Johansson
Land, Jahr: USA 2011
Laufzeit: 113 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2012
Auf DVD: 10/2012


José García
Foto: NFP

Der Vorspann könnte zu einem Woody-Allen-Film gehören: Die mit Jazzmusik unterlegten Schrifttafeln weisen sowohl das von New Yorker Regisseur seit vier Jahrzehnten verwendete Schwarzbild mit weißen Buchstaben als auch die gleiche Schriftart auf. Dokumentarfilmer Robert B. Weide macht von Anfang an kein Hehl daraus, dass „Woody Allen: A Documentary“ eine Hommage auf einen der eigenwilligsten Filmregisseur der Gegenwart ist. Wie kaum ein zweiter Filmautor besitzt der am 1. Dezember 1935 in Brooklyn als Allan Stewart Koenigsberg geborene Woody Allen von der Themenwahl über das Drehbuch, die Auswahl der Schauspieler und des Filmteams bis zum fertigen Schnitt die uneingeschränkte Kontrolle über seine Filme. Allzu kritische Töne sind allerdings von diesem Dokumentarfilm nicht zu erwarten.

Streng chronologisch geht Robert B. Weide vor: Er beginnt mit Kindheitsfotos und den Aussagen von Allens Schwester Letty Aronson, ergänzt durch den Besuch, den der Filmemacher und Woody Allen in Brooklyn seinem Geburtshaus, seiner Schule und natürlich dem Kino seiner Kindheit abstatten. Es folgt Woody Allens Zeiten als Gag-Schreiber für Komiker und Kolumnisten, ehe er von Charles Joffe und Jack Rollins entdeckt wird. Sie besorgen Allen eine größere Bühne. Mit ihnen schafft der Bühnenkomiker den Sprung ins Fernsehen. Woody Allen wird in den sechziger Jahren Dauergast bei Fernsehshows und in den ganzen Vereinigten Staaten für seine Schlagfertigkeit berühmt. Diese Bekanntheit eröffnet ihm die Möglichkeit, Ende der sechziger Jahre seinen ersten Film „Woody, der Unglücksrabe“ (1969) zu drehen, bei dem Jack Rollins als Produzent fungiert. Eine Zäsur im Filmschaffen Woody Allens stellt „Der Stadtneurotiker“ („Annie Hall“, 1977) dar, der nicht nur vier Oscars (darunter als „Bester Film“) gewann, sondern auch die Filmkomödie neu definierte. Mit den Filmausschnitten aus mehr als vierzig Jahren und den Interviews liefert Robert B. Weide das Porträt eines Filmregisseurs, der den anfänglichen Klamauk von „Bananas“ (1971) und „Der Schläfer“ (1973) überwand, um scharfe Zeitgeistanalysen etwa in „Der Stadtneurotiker“, „Manhattan“ (1979) oder „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) zu liefern, der sich etwa in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) und „Match Point“ (2005) den existentiellen Fragen zuwendet sowie formvollendet in „The Purple Rose of Cairo“ (1985) und „Midnight in Paris“ (2011) über das Verhältnis zwischen Kunst und Leben, zwischen dem nostalgischen Blick auf ein vermeintliches Goldenes Zeitalter und der Realität reflektiert.

Dass „Woody Allen: A Documentary“ über den Skandal, der 1992 für Schlagzeilen sorgte, als das Verhältnis zwischen Woody Allen und Mia Farrows Adoptivtochter Soon-Yi ans Tagelicht kam, und daraufhin seine langjährige private wie berufliche Beziehung zu Mia Farrow zerbrach, lediglich beiläufig hinweggeht, ist verständlich. Schwerer wiegt es jedoch, dass Robert B. Weide nicht der Frage nachgeht, wie sich dieser Bruch auf das künstlerische Schaffen des Regie-Altmeisters auswirkte. Denn die in Weides Dokumentation geäußerten Aussagen des katholischen Priesters und Professors für Philosophie Robert E. Lauder – kaum ein Filmemacher der Gegenwart oder überhaupt im amerikanischen Kino stelle solch tiefgreifende Fragen über Tod, Sterblichkeit und die Gottesfrage – treffen insbesondere für die gemeinsame Zeit (1982–92) mit der Katholikin Mia Farrow zu. Sagte Woody Allen Ende der achtziger Jahre aus: „Die existentiellen Themen sind die einzigen, für die es sich zu arbeiten lohnt. Immer wenn man sich mit anderen auseinander setzt, unterfordert man sich eigentlich“, so kreisen in den letzten zwei Jahrzehnten seine Filme eher ausnahmsweise um diese Themen.

Im Gegensatz etwa zu Stig Björkmans Interviewbuch „Woody über Allen“ (1993) schafft es Robert B. Weide kaum, einen wirklichen Einblick in den Arbeitsprozess des Filmregisseurs zu gewähren – mit Ausnahme von einer Szene, in der Woody Allen auf überaus vergnügliche Weise eine ganze Reihe Ausschnitte und Notizen auf seinem Bett ausbreitet und seine legendäre, uralte deutsche Schreibmaschine zeigt. Für Woody Allens Entwicklung als Filmemacher hätte Weide beispielsweise die Vorgeschichte von Allens erstem eigenständigen Film „Woody – Der Unglücksrabe“ („Take the Money and Run“, 1969) näher beleuchten können. Marion Meade hat in „Woody Allen. Ein Leben gegen alle Regeln“ (2000) ausführlich über den entscheidenden Beitrag berichtet, den Ralph Rosenblum (1925–95) im Schneideraum dazu leistete, als „Woody – Der Unglücksrabe“ eingestampft zu werden drohte. In Weides Film ist darüber genauso wenig zu erfahren wie über den Anteil anderer Filmkünstler – lediglich Kameramann Gordon Willis kommt zu Wort – an Woody Allens Filmen. Stattdessen werden Schauspieler interviewt, die mit Josh Brolins Ausnahme redundant in Lobeshymnen auf die großartige Arbeit mit Woody Allen schwelgen.

Dennoch: „Woody Allen: A Documentary“ liefert nicht nur ein Gesamtporträt des New Yorker Filmemachers. Darüber hinaus lässt er auch die Vielseitigkeit im Werk Woody Allens sowie seinen Einfluss auf vierzig Jahre Filmgeschichte erahnen.


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