SOUND OF HEIMAT – DEUTSCHLAND SINGT! | Sound of Heimat – Deutschland singt!
Filmische Qualität:   
Regie: Arne Birkenstock, Jan Tengeler
Darsteller: (Mitwirkende): Hayden Chisholm, Antistadl, BamBam Babylon Bajasch, Bobo, Wladyslaw Kozdon, Loni Kuisle
Land, Jahr: Deutschland 2011
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2012
Auf DVD: 6/2013


José García
Foto: 3Rosen

Der Begriff Volks- oder Heimatmusik weckt bei vielen Menschen zwiespältige Gefühle: Manche denken dabei an einen biederen, verstaubten „Musikantenstadl“, andere verbinden damit eine in der Geschichte häufig instrumentalisierte „Deutschtümelei“. Der Dokumentarfilmer Arne Birkenstock und der Musikjournalist Jan Tengeler waren jedoch der Meinung, dass deutsche Volksmusik vielfältig und innovativ sein kann. Sie schickten deshalb den in Köln lebenden neuseeländischen Musiker Hayden Chisholm auf Spurensuche durch ganz Deutschland. Daraus entstand der Dokumentarfilm „Sound of Heimat – Deutschland singt!“ Crisholm verknüpft als in Deutschland lebender Fremder einen unvorbelasteten Blick auf die deutsche Musikkultur mit einer aufgeschlossenen und ungemein wissbegierigen Haltung gegenüber den unterschiedlichen Bräuchen.

Hayden Chisholm suchte auf seiner Deutschlandreise nach alten und neuen Formen der Volksmusik, die seinen ersten Eindruck widerlegen könnten, den er pointiert ausdrückt: „Dieselben Menschen in Deutschland, die feuchte Augen bekommen, wenn ein alter Indio in den Anden zum tausendsten Male „El cóndor pasa“ in seine Panflöte bläst, kriegen Pickel, wenn man sie auf die Melodien ihrer Heimat anspricht.“ Chisholms Off-Kommentar begleitet zwar den ganzen Film. Der neuseeländische Musiker bleibt jedoch nicht unbeteiligter Beobachter. Ganz im Gegenteil: Er singt und tanzt auch mit. Bereits auf der ersten Station seiner Reise in Köln wird es deutlich, dass Hayden Chisholm und mit ihm auch der Dokumentarfilm von Arne Birkenstock und Jan Tengeler zwei verschiedene Zielgruppen ins Visier nehmen. Denn in seiner Wahlheimat besucht der neuseeländische Musiker einerseits die Kneipe „Weißer Holunder“, in der sonntags mit den Gästen kölsches Liedgut, etwa „En unsrem Veedel“ von den Bläck Föös, gesungen wird. In Köln trifft Chisholm andererseits auch die HipHop-Formation „BamBam Babylon Bajasch“, die Lieder der im Dritten Reich verfolgten „Edelweißpiraten“ neu interpretiert. Es erstaunt indes, dass in einem vom WDR koproduzierten und von einem Wahlkölner kommentierten Dokumentarfilm nicht etwa die „Bläck Föös“ selbst interviewt werden, die heimatverbundene Texte in „kölscher Sproch“ mit modernen Musikrichtungen verknüpfen und Heimat ohne dümmliche Multi-Kulti-Allüren als ein Zusammenwachsen aus verschiedenen Ursprüngen („Ich wor ne stolze Römer, kom met Caesars Legion,/ un ich ben ne Franzus, kom mem Napoleon ... su fing alles aan. Su simmer all he hinjekumme“, heißt es etwa in „Unsere Stammbaum“) definieren. Als Tradition pflegende Gruppen werden der GewandhausChor Leipzig, die Jodelkurse von Loni Kuisle in den Allgäuer Bergen und der plattdeutsche Folk von Rainer Prüß vorgestellt. Unter den eher jungen Musikern, die laut Chisholm insbesondere in Süddeutschland „die Volksmusik aufmischen“ zeigt der Film den Bamberger „Antistadl“, auf dem alternative Volksmusikgruppen auftreten. Chrisholm besucht ebenfalls die Sängerin Bobo in Sachsen-Anhalt, die traditionelles Liedgut („Die Gedanken sind frei“) neu interpretiert beziehungsweise verfremdet. Eine erfrischende Mischung aus Volksmusik und Kabarett bieten die „Wellküren“, die drei Schwestern Moni, Burgi und Bärbi, die der 17-köpfigen Volksmusikantenfamilie Well aus Günzlhofen, einer kleinen Gemeinde zwischen München und Augsburg, entstammen.

Auf dem Besuchsprogramm von Hayden Chisholm stehen darüber hinaus zwei besondere Begegnungen: Im Erzgebirge trifft er den Bandoneonspieler Rudi Vodel, der von den absurden Winkelzügen der DDR-Kulturschützer erzählt. In der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald berichtet der ehemalige Häftling Wladyslaw Ko¿doñ, wie die KZ-Schergen die Häftlinge das Lied „Alle Vöglein sind schon da“ zum Hohn singen ließen, wenn ein KZ-Insasse nach der Flucht geschnappt wurde. Die Instrumentalisierung deutscher Volkslieder erklärt die zwiespältigen Gefühle gegenüber der Heimatmusik: „Nach dem Nationalsozialismus konntest Du kein Volkslied unbefangen anfassen“, heißt es etwa an einer Stelle des Films. Die Filmemacher suchen jedoch nicht nach einer Erklärung, wie es in den letzten Jahren zu den neuen Interpretationen deutscher Volksmusik durch junge Musiker kommen konnte.

Seine Spurensuche fasst Chisholm folgendermaßen zusammen: „Ich habe nur einen Bruchteil von der Musik gehört, die dieses Land zu bieten hat. Ich habe wahnsinnig schöne Melodien gelernt, Lieder, Tänze. Und tief verborgen irgendwo in dieser Musik ist eben das Gefühl von Heimat. Ich habe erlebt, wie viel Freude euch Deutschen diese Musik macht. Auch wenn immer ein Hauch von Melancholie dabei ist. Die gehört wohl dazu hier in Deutschland. Sie macht auch eure Volksmusik zu etwas ganz Besonderem.“ Zwar liefert der Dokumentarfilm „Sound of Heimat – Deutschland singt!“ sicherlich kein umfassendes Bild über den heutigen Zustand der Volksmusik. Die Filmemacher verdeutlichen jedoch, dass in vielen Gegenden Deutschlands sowohl Traditionspflege betrieben als auch nach unterschiedlichen Ansätzen gesucht wird, Volkslieder und -musik neu zu interpretieren.
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