TURM, DER | Der Turm
Filmische Qualität:   
Regie: Christian Schwochow
Darsteller: Jan Josef Liefers, Sebastian Urzendowsky, Claudia Michelsen, Götz Schubert, Nadja Uhl, Josephin Busch, Valery Tscheplanowa, Hans Uwe Bauer, Steffi Kühnert, Thorsten Merten, Peter Sodann
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 180 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X
Auf DVD: 9/2012


José García
Foto: mdr

Mit „Der Turm“ (2008) gelang dem 1968 geborenen Uwe Tellkamp der wohl meist besprochene Roman der letzten Jahre. Auf 976 Seiten erzählt der Autor aus sieben Jahren DDR vom 4. Dezember 1982 bis zum 9. November 1989. Die Perspektive mag zunächst überraschen: Im Mittelpunkt stehen die Bewohner des östlichen Dresdner Villenviertels Weißer Hirsch oberhalb der Elbe, die allesamt einem bildungsbürgerlichen Milieu entstammen. Durch ihren Sinn für Kultur, für Literatur und Musik versuchen sie, mitten im Arbeiter- und Bauernstaat die Bürgerlichkeit aufrechtzuerhalten. In Tellkamps Roman ist der Verfall der DDR allgegenwärtig, an manchen Stellen ganz ausdrücklich und detailreich beschrieben, an anderen eher atmosphärisch präsent.

Nun haben Drehbuchautor Thomas Kirchner und Regisseur Christoph Schwochow Tellkamps „Der Turm“ in einem Zweiteiler verfilmt, den die ARD zur besten Sendezeit am Mittwoch- und Donnerstagabend ausstrahlt. Um den Roman mit seiner Vielzahl an mit ihren eigenen Geschichten ausgestatteten Figuren umzusetzen, haben die Filmemacher dramaturgische Schwerpunkte gesetzt. Obwohl Figuren und Nebenhandlungen ausgelassen und an manchen Stellen etwa durch schnellgeschnittene Sequenzen die Handlung beschleunigt wird, finden die Filmemacher genügend Ruhe, die Figuren in all ihrer Widersprüchlichkeit zu zeichnen. Dramaturgisch gelingt den Filmemachern das Kunststück, sich konsequent auf drei Hauptcharaktere zu konzentrieren und um sie weitere Figuren herumzugruppieren, die zwar als Nebenrollen bezeichnet werden können, für die Handlung und die Atmosphäre dennoch von großer Bedeutung sind.

Trotz leichter Akzentverschiebung wird sowohl im Roman als auch im Film aus der Perspektive von drei Protagonisten erzählt: Richard Hoffmann (Jan Josef Liefers, leicht sächselnd) hofft als angesehener Chirurg, Klinikchef zu werden. Doch dafür fehlt ihm die „richtige“ politische Einstellung. Obwohl er sich etwa dagegen sträubt, in die Partei einzutreten, schließt er sich nicht der Opposition an. Er versucht vielmehr, sich in ein bürgerliches Milieu zurückzuziehen. Ein außereheliches Verhältnis mit der Sekretärin des Chefarztes und eine vor Jahrzehnten begangene Jugendsünde rücken ihn in den Fokus der Stasi, die Richard unter Druck setzt. Richards Sohn Christian (Sebastian Urzendowsky) möchte Arzt werden wie sein Vater. Dafür ist er bereit, nicht nur seine Gefühle gegenüber der Mitschülerin Reina zu ignorieren, sondern auch den „freiwilligen“ dreijährigen Wehrdienst in der NVA abzuleisten. Der Tod eines Kameraden verändert seine angepasste Haltung: Er verweigert sich seinen Vorgesetzten und wird inhaftiert. Die übergroßen Erwartungen seines Vaters an ihn führen zudem zu einer Entfremdung der beiden zueinander. Christian findet eine Art Ersatzvater in seinem Onkel Meno, Annes älterem Bruder. Meno Rohde (Götz Schubert) versucht wiederum, in der Welt der Literatur eine Nische im DDR-Alltag zu finden. Den Zwang, als Lektor die Vorgaben der Kulturbürokratie umzusetzen, fühlt er besonders schmerzlich, als er sich in die Schriftstellerin Judith Schevola verliebt. Dennoch bezieht er zunächst keine gesellschaftliche Stellung. Erst als Meno Judiths sozialen Abstieg miterlebt, ist er endlich bereit zu handeln.

Weil die Filmemacher es schaffen, aus diesen Figuren lebendige Menschen zu machen, überzeugt die Verfilmung trotz aller Unterschiede zwischen der Buch- und der Filmhandlung. Dazu führt Autor Uwe Tellkamp in einem dpa-Interview selbst aus: Der Film „zeigt weitgehend normale Leben nicht in Schwarz-Weiß, ohne Überhöhungen, dramaturgische Zuspitzungen, Weltuntergangszenarien a la Emmerich. Es freut mich, dass man den Mut zu einer sogenannten weitgehend alltäglichen Geschichte hatte.“ Obwohl in der Verfilmung die Stilunterschiede der Romanvorlage keine Entsprechung finden, erweckt auch der Film etwa anhand der Versorgungsengpässe sowie etwa auch der Veralterung der Geräte in dem Krankenhaus, in dem Richard arbeitet und deshalb auch ein erheblicher Teil der Filmhandlung angesiedelt ist, eine Atmosphäre von Verfall und Resignation: Die DDR bröckelt wortwörtlich aus.

Nach der TV-Ausstrahlung am 3. und 4. Oktober im Ersten erscheint der Fernsehzweiteiler am 5. Oktober als DVD.
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