WAND, DIE | Die Wand
Filmische Qualität:   
Regie: Julian Roman Pölsler
Darsteller: Martina Gedeck, Karl Heinz Hackl, Ulrike Beimpold, Hans-Michael Rehberg, Julia Gschnitzer, Wolfgang Maria Bauer
Land, Jahr: Österreich / Deutschland 2011
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2012
Auf DVD: 5/2013


José García
Foto: StudioCanal

„Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will“. Eine Frau (Martina Gedeck) sitzt in einer spartanisch eingerichteten Jagdhütte an einem Tisch, während draußen das Krächzen der Krähen zu hören ist. Auf dem Tisch liegen aufgestapelt alte Kalenderblätter, auf deren Rückseite sie ihre Geschichte aufgeschrieben hat. Irgendwann einmal wird das letzte Blatt verbraucht und damit ihr Bericht zu Ende sein. Dann folgt, wie ihre Geschichte begann: An einem sehr hellen Tag fährt sie mit dem befreundeten Ehepaar Hugo und Luise und deren Hund Luchs in einem Cabrio mit Wiener Autokennzeichen durch eine Gebirgslandschaft zu deren Jagdhütte.

Kaum dort angekommen, unternimmt das Ehepaar einen Sparziergang ins Dorf. Zurück bleiben die Frau und der Hund. Als es spät wird und ihre Freunde noch nicht zurück sind, beschließt die Frau, schlafen zu gehen. Ziemlich überrascht stellt sie am Morgen fest, dass das Ehepaar immer noch nicht zurück ist. Sie macht sich selbst auf den Weg ins Dorf. Luchs trottet vor ihr her, aber plötzlich kommt der Hund jaulend zurück. Den Grund: Mitten auf dem Weg stößt die Frau auf eine unsichtbare Wand. Ein paar Mal betastet sie diese „Scheibe“, bis sie Gewissheit erlangt: Die Erzählerin ist alleine auf sich gestellt, getrennt von der Welt außerhalb der Wand. Auf einem Weg entdeckt sie einen alten Mann und eine alte Frau außerhalb ihrer Reichweite. Doch sie sind erstarrt. Zusammen mit dem Hund, einer trächtigen Kuh, die sie im Stall entdeckt, sowie zwei Katzen, lebt sie von nun an in völliger Abgeschiedenheit. Ein einziges Mal unternimmt sie einen Versuch zu erfahren, was passiert sein kann: Sie fährt im Wagen mit vollem Tempo gegen die Wand. Das Ergebnis: Der Wagen erleidet einen Totalschaden, ohne dass sich an der Wand irgendetwas getan hat.

Drehbuchautor und Regisseur Julian Roman Pölsler adaptiert den gleichnamigen, bereits 1963 erschienenen Roman von Marlen Haushofer. Ober besser gesagt: Er bebildert ihn, lässt Darstellerin Martina Gedeck aus dem Buch vorlesen. Dies scheint bei dieser Romanverfilmung die einzige Möglichkeit zu sein, die Gedanken der Frau in Szene zu setzen. Allerdings wird die Off-Stimme teilweise arg strapaziert, nämlich dann, wenn sie Dinge vorträgt, die der Zuschauer ohnehin sieht, so etwa: „Ich stand auf und ging erneut auf die Wand zu“. Dank der schön unaufgeregten Stimme Martina Gedecks ist dies jedoch noch erträglich. In langen Einstellungen zeigt der Film, wie sie ihre neue Welt erkundet. Nach und nach verwandelt sich die Städterin, die ihren ersten Gang in Stadtkleidung und -schuhen gemacht hatte, in eine naturverbundene Frau, wobei sie irgendwann einmal anfangen muss, Tiere zu jagen, will sie in der Natur überleben.

Bei der Verwandlung der Erzählerin fällt es nicht nur auf, dass sie die Veränderung mit Gleichmut erträgt, so dass sie keinen Gedanken an einer Erklärung für das Unerklärbare verschwendet. Darüber hinaus macht sie sich ebenso wenig Gedanken, was aus den anderen Menschen, etwa aus dem befreundeten Ehepaar geworden sein könnte. Im Gegensatz dazu trauert sie, als sie zwei ihrer Tiere verliert: „Da waren wir nur noch zu zweit“, heißt es. Als sie unerwartet einem Mann begegnet, sieht sie in ihm, wahrscheinlich zu Recht, nur eine Gefahr, auf die die Frau mit Gewalt reagiert.

Marlen Haushofers Roman wurde seit seinem Erscheinen auf verschiedene Art und Weise gedeutet. Handelt es sich um einen postapokalyptischen Roman oder einfach um Weltflucht, da die Frau zur unfreiwilligen Einsiedlerin wird? Dadurch, dass alle männlichen Wesen sterben und die weiblichen überleben, wurde „Die Wand“ auch als feministischer Roman interpretiert. Manche Literaturkritiker bemängelten die fehlende religiöse Perspektive, die nun auch im Film auffällt. Auf die Frage, wie sie ihre Rolle deutet, antwortet Hauptdarstellerin Martina Gedeck: „Ich habe die Wand immer als Rettung gesehen. Die Wand ist kein schönes Ereignis, aber es hilft der Frau, zum Leben zurück zu kommen und das ist notwendig, weil sie vorher nicht glücklich war. Die Wand steht für mich für eine tiefe Krise, eine Depression, eine Krankheit oder ähnliches – also auch für die Chance, sich auf das Wesentliche zu besinnen, neue Prioritäten zu setzen und eine neue Lebendigkeit zu finden. Dann wird die eigentliche Berufung sichtbar, die man zuvor vielleicht nicht wahrgenommen hat.“

In der Frage der Deutung spielt eine Aussage des Regisseurs eine ebenso wichtige Rolle. Denn Julian Roman Pölsler bedauert, die Stille nicht angemessen inszeniert zu haben: „Die Demut vor der Schöpfung geht heutzutage leider völlig verloren. Daher spielt die Natur für mich im Film eigentlich noch viel zu wenig die Hauptrolle. Am liebsten hätte ich neben dem Off-Kommentar und den Bach-Partiten noch einer dritten Form der Sprache des Films mehr Raum gegeben: Der Stille in der Natur.“ Durch seine getragene (Film-)Sprache eröffnet „Die Wand“ dem Zuschauer indes die Chance, sich mit der Erzählerin die Grundfragen des Lebens zu stellen.
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