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José GarcÃa Foto: Concorde Ein neues Schuljahr in einer französischen Schule: Der Französischlehrer Germain (Fabrice Luchini) kehrt sichtlich deprimiert aus dem Urlaub zurück. Seine Stimmung wird nicht gerade besser, als er am Abend am Küchentisch zusammen mit seiner Frau Jeanne (Kristin Scott Thomas) die Aufsätze liest, die seine Schüler in der ersten Stunde über ihr letztes Ferienwochenende geschrieben haben. Beim vierten oder fünften Aufsatz stöÃt er jedoch auf die Arbeit von Claude (Ernst Umhauer) â und ist entzückt: Der Junge schildert stilsicher, ja mit gewisser sprachlicher Eleganz, wie er sich in das Haus seines Mitschülers Rapha jr. Artole (Bastien Ughetto) einschleicht unter dem Vorwand, ihm bei den Mathe-Hausaufgaben zu helfen. Germain ist davon begeistert, wie genau der offenbar aus einfachen Verhältnissen stammende Claude das Haus, aber auch die Stimmung seiner Mittelklasse-Bewohner beschreibt. Obwohl Jeanne Germains voyeuristischen Blick nicht gutheiÃt, erliegt auch sie dem Drang, mehr über diese Familie zu erfahren, die so ganz anders lebt als sie selbst und ihr Mann: ein kinderloses, gut situiertes, in der Kulturszene verwurzeltes Ehepaar. Der Lehrer ermuntert seinen Schüler, weiter zu schreiben. Er trifft sich sogar mit ihm zum Einzelunterricht, um Claude Figurenentwicklung und den Geschichtenaufbau zu erklären. Germain beflügelt zwar der Gedanke, ein literarisches Talent zu fördern. Darin schwingt jedoch auch eine voyeuristische Lust mit. Der Lehrer verschlingt förmlich Claudes Erzählungen, die immer wieder mit âa suivreâ (âFortsetzung folgtâ) enden. Obwohl Jeanne ihren Mann davor warnt, dass er sich auf ein gefährliches Terrain begibt, kann der Lehrer bald nicht genug von Claudes Enthüllungen, seien sie nun real oder fiktiv, bekommen. Claude dringt immer tiefer ins Leben der Familie Artole ein. Ist er längst für Rapha jr. zum besten Freund geworden, so wird Claude von Vater Rapha sen. (Denis Ménochet) schnell akzeptiert. Die drei verbringen viel Zeit beim Sport oder auch vor dem Fernseher zusammen. Raphas Mutter Esther (Emmanuelle Seigner) bleibt zunächst zum Freund ihres Sohnes distanziert. Obwohl sie eigentlich ihre Stellung als Hausfrau und Mutter liebt, fühlt Esther eine diffuse Unzufriedenheit â vielleicht sollte sie als Innenarchitektin arbeiten. Nach und nach gelingt es jedoch Claude, auch ihr Vertrauen zu gewinnen. Damit ändern sich aber auch seine Gefühle zu ihr. Suchte der mutterlose Sohn bei Esther zunächst die Geborgenheit einer Mutter, so verliebt er sich immer mehr in sie. Diese Anziehung wird mit der Zeit zu einer regelrechten Obsession. François Ozons selbstverfasstes, auf dem Theaterstück âDer Junge aus der letzten Reiheâ von Juan Mayorga basierendes Drehbuch nimmt sich zunächst als ein spannendes Spiel um Wirklichkeit und Imagination aus. Ãber die Satire auf das Bildungsbürgertum hinaus thematisiert âIn Ihrem Hausâ auch die Suche nach Geborgenheit in der Familie. Die zentrale Frage von Ozons Film bezieht sich indes auf Germains Motivation: Wird er lediglich von intellektuellem Voyeurismus angetrieben oder spielen in seiner Beziehung zu Claude andere Faktoren eine Rolle? Es liegt zwar nahe, dass der kinderlose Lehrer in seinem talentierten Schüler eine Art Ersatzsohn sieht. In der schriftstellerischen Tätigkeit Claudes erkennt Germain aber auch die Chance, seine mangelnde Begabung als Autor zu kompensieren. Denn der Französischlehrer hatte selbst einmal einen Roman veröffentlicht. Den Durchbruch als Schriftsteller schaffte Germain jedoch nie. Ozon übernimmt von Mayorgas Theaterstück eine Figur, die an die von Dianne Wiest in Woody Allens âHannah und ihre Schwesternâ (1986) verkörperte Holly erinnert. Wie Holly leidet Germain darunter, dass es ihm bei aller künstlerischen Sensibilität am entsprechenden Talent mangelt. Zur Ãhnlichkeit zwischen Ozons und Woody Allens Film trägt ein Gedicht bei, das Claude Esther widmet: âSelbst mit bloÃen FüÃen würde der Regen nicht tanzenâ nimmt sich in der spanischen Urfassung (bei Mayorga heiÃt es âNi siquiera la lluvia baila tan descalzaâ) wie eine Abwandlung des E.E. Cummings-Verses âNiemand, nicht einmal der Regen, hat so kleine Händeâ (ânobody, not even the rain, has such small handsâ) aus, der in Allens âHannah und ihre Schwesternâ eine bedeutende Rolle spielt und in der spanischen Ãbersetzung fast wörtlich mit Mayorgas âGedichtâ übereinstimmt: âNadie, ni siquiera la lluvia tiene unas manos tan pequeñasâ. Was aber als brillante Fingerübung begonnen hatte, wird mit der Zeit nicht nur immer skurriler. Darüber hinaus zeigt âIn Ihrem Hausâ eine morbide Sicht auf die menschliche Sexualität, die zu früheren Filmen von François Ozon passt. Besonders aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist es, dass Ozon, der eigentlich Mayorgas Theaterstück-Vorlage über fast die gesamte Filmdauer hinweg eins zu eins umgesetzt hatte, ausgerechnet das Ende verändert. Dieses verdeutlicht den unter der geistreichen Stilübung von âIn Ihrem Hausâ stets latenten Zynismus. |
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