LUDWIG II. | Ludwig II.
Filmische Qualität:   
Regie: Peter Sehr, Marie Noëlle
Darsteller: Sabin Tambrea, Sebastian Schipper, Hannah Herzsprung, Edgar Selge, Friedrich Mücke, Justus von Dohnányi, Samuel Finzi
Land, Jahr: Deutschland / Österreich 2012
Laufzeit: 136 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2012
Auf DVD: 9/2013


José García
Foto: Warner Bros.

Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Maximilian am 10. März 1864 besteigt Ludwig (Sabin Tambrea, später: Sebastian Schipper) im Alter von 18 Jahren den bayerischen Thron. Sein Reich soll zum Mittelpunkt der Schönheit werden. Statt in Waffen möchte Ludwig in Theater, Musik und Bildung investieren. Ludwigs Leidenschaft und Bewunderung für die Opern Richard Wagners sind so groß, dass er den umstrittenen Komponisten (Edgar Selge) an seinen Hof holt. Seine schon fest geplante, vom Volk ersehnte Hochzeit sagt er wieder ab, weil er sich eingestehen muss, dass ihn mit seiner Verlobten (Paula Beer) nicht mehr verbindet als innige Freundschaft. In der Politik überfordert und von Bismarck überrumpelt, zieht sich Ludwig desillusioniert zurück und flüchtet sich mit seinen Schlössern in ein Traumreich der Phantasie, während seine Gegner seine Absetzung betreiben. Bis zu seinem tragischen Tod, der wie Ludwig selbst bis heute „ein ewig Rätsel“ bleibt.

Mit schwelgerischer Ausstattung, einer bemerkenswerten Kameraführung und an Originalschauplätzen gedreht, liefert der Spielfilm „Ludwig II.“ von Marie Noëlle und Peter Sehr ein sehr persönliches Porträt des wohl bekanntesten bayerischen Königs. Für ihren Film konnten sich Noëlle und Sehr, die auch gemeinsam das Drehbuch verfassten, auf neueste Erkenntnisse und bislang öffentlich nicht zugängliche Dokumente stützten. Von den früheren Filmen über Ludwig II. unterscheidet sich Noëlles und Sehrs Spielfilm insbesondere in drei Aspekten: in der Darstellung von Ludwigs homosexuellen Neigungen und seines daraus entstandenen Gewissenskonflikts, in Ludwigs Zerbrechen an den Zwängen seines Amtes und in der Beschäftigung mit den noch immer umstrittenen Umständen von Ludwigs Tod.

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Interview mit dem Regieduo Marie Noëlle und Peter Sehr sowie mit Hauptdarsteller Sabin Tambrea

Was macht Ludwig II. von Bayern zu einer modernen Figur?

Marie Noëlle: Dass er seinen Sehnsüchten gefolgt ist und versucht hat, das Korsett des Königtums zu sprengen. Er wollte seine Idee verwirklichen, dass die Musik und die Kultur aus uns bessere Menschen machen.

Peter Sehr: Er wollte erreichen, dass es in der Welt keine Aggressionen, keine Kriege mehr gibt. Ludwig wollte, dass die damals als völlig normal empfundenen kriegerischen Auseinandersetzungen endlich aufhören. Denn er war der Auffassung, Gott habe ihn auf die Erde geschickt, um Gottes Willen des Friedens zu verwirklichen. Daher war er seiner Welt um 150 Jahre voraus.


Und wie würden Sie ihn charakterisieren?

Sabin Tambrea: Ich würde ihn als hochsensiblen jungen Mann charakterisieren, der noch nicht gefestigt ist. Der daran zugrunde geht, dass das innere Bild, das er von sich hat, nicht mit der äußeren Funktion übereinstimmt, die er zu erfüllen hat. Daran zerbricht er Stück für Stück.


Was unterscheidet Ihren Film von den früheren Ludwig-Filmen?

Peter Sehr: Es gab vor unserem bereits vier Filme über Ludwig II. Allerdings konnten sie auf viele Dokumente nicht zurückgreifen, die von den Wittelsbachern zurückgehalten wurden. Daher hatten diese Filme mit dem wirklichen Ludwig nicht viel zu tun. Gerhard Immler, der Leiter des Geheimen Hausarchivs der Wittelsbacher, hat uns viele Informationen über Ludwig zur Verfügung gestellt, die ins Drehbuch hineingeflossen sind. Übrigens: Die heutigen Wittelsbacher, darunter der Chef des Hauses Franz Herzog von Bayern, haben sich den Film angeschaut, und waren begeistert: Endlich könne man dem damaligen Ludwig näher kommen, und verstehen, was er schaffen wollte.


Herr Tambrea: War es für Sie eine besondere Belastung, jemand zu spielen, der bereits von bekannten Schauspielern verkörpert wurde und außerdem so bekannt ist?

Sabin Tambrea: Das war die Herausforderung, weil Ludwig ein so universaler Charakter ist, dass jeder Mensch etwas auf ihn projiziert. Jeder weiß, wie Ludwig war: So und nicht anders. Für mich bestand die Herausforderung darin, all diese Bilder zu bedienen, aber gleichzeitig etwas Neues zu zeigen. Zu dem von Helmut Berger dargestellten Ludwig habe ich als Zuschauer Distanz empfunden. Wir haben versucht, ihn als Liebenden, als Menschen darzustellen und so diese Distanz aufzuheben.


Sie stellen Ludwig II. etwa drei Viertel der Filmzeit dar. Dann werden Sie durch Sebastian Schipper ausgewechselt. Wie sah Ihre Zusammenarbeit aus?

Sabin Tambrea: Wir haben sehr viel über Körpersprache gesprochen und dabei festgestellt, dass Ludwig für unendlich viele Schauspieler eine Spielweise hätte. Deshalb haben wir auf unseren Instinkt verlassen, den wir beide hatten. Um den Übergang für den Zuschauer zu erleichtern, habe ich Sebastian Schipper bis zum Ende synchronisiert.


Sie zeigen Ludwig als Mensch mit homosexuellen Neigungen. Welche waren Ihre Leitlinien bei der Darstellung dieses Aspektes?

Marie Noëlle: Was uns interessierte, war seine Sehnsucht nach Liebe. Seinen Tagebüchern kann man entnehmen, wie sehr er darunter gelitten hat. Er schreibt häufig „Nie wieder küssen“. Es hat uns zutiefst berührt, weswegen wir diesen Satz im Film zitieren wollten. Wir haben diese Sehnsucht nach Liebe zwar in einer Person gebündelt, damit es klarer wird. Uns ging es aber vor allem um die Emotionalität: Wenn wir Menschen keine Liebe empfangen dürfen, dann vertrocknen wir.

Peter Sehr: Ludwig wusste, dass seine Homosexualität von Gott nicht akzeptiert wurde. Allerdings ging es nicht um Sexualität, sondern um Gefühle, beispielsweise um die Empfindungen, die Wagner bei ihm ausgelöst hat. Er liebte ihn wie einen Vater. Natürlich hat er auch Sophie (Herzogin in Bayern) geliebt. Es war eine wunderbare Freundschaft, aber heiraten wollte er sie nicht. Es wäre ihm wie eine Lüge vorgekommen. Deshalb hat er die Verlobung gelöst. In dem Brief, den wir im Film im Original zitieren, heißt es: „Ich mag Dich, ich schätze Dich. Aber wenn wir heiraten, wirst Du unglücklich werden.“


Wie stehen Sie zur Frage der Zurechnungsfähigkeit? Bleibt sie im Film nicht eher offen?

Peter Sehr: Eine offene Diskussion, die wir geschlossen haben, ist eine Frage, die in Bayern immer wieder diskutiert wird: Wie ist Ludwig gestorben? Der Frage sind wir viel näher gekommen.

Marie Noëlle: Wir sind schon der Meinung, dass er zurechnungsfähig war, obwohl ihm die vierzehn Jahre Einsamkeit sehr zugesetzt haben. Wenn man sieht, mit welcher Genauigkeit er die Bauarbeiten überwacht und alle Einzelheiten bis zu den Türknäufen bestimmt hat, kann man sich nicht vorstellen, dass er verrückt war. Er war sicher depressiv, war sich aber auch bewusst, dass er abgesetzt werden sollte.
Sabin Tambrea: Nach heutigem wissenschaftlichem Stand war Ludwig nicht verrückt. Was mit ihm passiert ist, ist rational erklärbar. Wenn man die äußeren Umstände anschaut, die ihn zur Isolierung geführt haben, hat dies mit Pathologie nichts zu tun.


Ludwig lebte sehr luxuriös. Was ist für Sie Luxus?

Sabin Tambrea: Bei Ludwig war Luxus eine Art der Inszenierung, um das zu kompensieren, was er in der Kindheit nicht hatte. Was ich seit meiner frühesten Kindheit habe, ist die Liebe und die Geborgenheit meiner Eltern. Dies ist für mich der größte Luxus, wenn ich mich umschaue, unter welchen Umständen Freunde von mir aufwachsen müssen. Meine Familie ist mein unbezahlbarer Luxus.


Welche Relevanz hat heute Ludwig für ein junges Publikum?

Sabin Tambrea: Unser Film ist eine Metapher fürs Erwachsenwerden, fürs Sich-Orientieren in einer Welt und in einer Gesellschaft, die Erwartungen hat: sich beruflich zu etablieren, die perfekte Liebe zu finden, Familie und Kinder zu haben... Wir leben in einer Gesellschaft, die irgendwelchen Werten nachjagt, die sie nicht definieren kann. Heute hat man die komplette Freiheit und ist dadurch so orientierungslos, weil man in jeden Bereich gehen kann. Diese totale Freiheit ist auch die größtmögliche Gefangenschaft. Und das ist auch Ludwig: Ein Mensch, von dem viel erwartet wird, was er nicht erfüllen kann.
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