BERLINALE 2013 - GENERATION KPLUS / 14 PLUS | Berlinale 2013 –- Generation
Filmische Qualität:   
Regie:
Darsteller:
Land, Jahr: 2
Laufzeit: 0 Minuten
Genre:
Publikum:
Einschränkungen:
im Kino: 2013/0


José García
Foto: Berlinale

Innerhalb der heute beginnenden 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin findet erneut eine Sektion für Kinder- und Jugendfilme statt. Unter dem gemeinsamen Namen „Generation“ werden in den zwei voneinander unabhängigen Wettbewerben „Kplus“ und „14plus“ Kurz- und Langfilme präsentiert, die sich an Kinder bis 14 Jahren respektive an 14- bis 18-jährige Jugendliche wenden. Der diesjährige „Kplus“-Wettbewerb besteht aus 13, der „14plus“-Wettbewerb aus zwölf Langfilmen, zu denen Kurzfilme in unterschiedlicher Länge hinzukommen. 2013 fällt die große Anzahl an Filmen auf, die aus dem asiatischen Raum kommen. Von einen „Schwerpunkt Asien“ sprach denn auch Maryanne Redpath, Leiterin der Sektion „Generation“, zu Beginn der Presse-Sichtungswoche.

Obwohl die Filme nicht aus thematischen Gesichtspunkten ausgewählt werden, können einige Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Denn nach eigenem Selbstverständnis zeigt „Generation“ Filmwerke, „die thematisch und formal mit der Erfahrungswelt von Kindern oder Jugendlichen verbunden sind“. Und da sind Familie und Schule sowie die erste Liebe an erster Stelle zu nennen. Meistens handeln diese Filme von Kindern und Jugendlichen, die sich gegen ungewöhnliche Schwierigkeiten behaupten müssen. Besonders erschreckend sind die Lebensumstände der 17-jährigen Kurdin Jîn im gleichnamigen Spielfilm von Reha Erdem, der am Samstagnachmittag den „14plus“-Wettbewerb eröffnet. Sie setzt sich von einer Gruppe kurdischer Aufständischer ab, findet aber keinen Ort, an dem sie ein ruhiges, normales Leben führen kann, und muss schließlich zurück in die Berge fliehen, aus denen sie gekommen war. Vom Verlust handelt ebenfalls Kim Mordaunts Kplus-Film „Die Rakete“ („The Rocket“): Der kleine Ahlo muss mit seiner Familie wegen eines Stauseeprojekts ihr laotisches Dorf verlassen. Unterwegs kommt es darüber hinaus zu einem schrecklichen Unfall und einem noch größeren Verlust.

Ganz so extrem sind die Probleme der meisten Kinder und Jugendlichen zwar nicht, von denen die diesjährigen „Generation“-Filme handeln. Schwierigkeiten im familiären Kontext ziehen sich jedoch wie ein roter Faden durch etliche Filme von „Generation“ 2013. In Eva Pervolovicis „Marussia“ schlendert das kleine russische Mädchen Marussia zusammen mit seiner Mutter Lucia tagelang ziellos durch Paris. Die Kamera bleibt häufig beweglich und nah an Lucia und ihrer Tochter, ein springender Schnitt beeinträchtigt das Zeitgefühl beim Zuschauer, unterstreicht aber dadurch die Rat- und Orientierungslosigkeit Lucias: Nachdem sie die russische Bekannte, bei denen sie wohnen, auf die Straße setzt, macht sich Lucia mit ihrem Rollkoffer und der Tochter im Schlepptau auf die Suche nach einer Bleibe. Der Priester der russisch-orthodoxen Gemeinde lässt sie bei sich übernachten, seine Frau kümmert sich liebevoll um die kleine Marussia. Auf Dauer ist dies allerdings nichts für Lucia, die dann einen Platz in einer Unterkunft für Obdachlose findet, aus der sie und Marussia aber bald ebenso herauskomplimentiert werden. Weil Lucia Männerbekanntschaften nicht abgeneigt ist, kommen sie und ihre Tochter für ein paar Tage oder manchmal auch nur für eine Nacht bei dem einen oder anderen Mann unter. Irgendwann einmal hat Marussia das unstete Leben satt: Trotz der Zuneigung ihrer Mutter möchte sie wie die anderen Kinder auch ein normales Leben führen, und büchst zusammen mit einem gleichaltrigen Jungen aus.

Der unstete Lebenswandel der Eltern bestimmt ebenso den Tagesablauf der elfjährigen Claudia und ihrer jüngeren Schwester in Laura Astorgas „Princesas Rojas“ („Red Princesses“) in den 1980er Jahren. Ihre Eltern sind sandinistische Aktivisten, die von Nicaragua ins benachbarte Costa Rica flüchten. Aber ihr Kampf geht weiter. Ebenso wie Eva Pervolovici in „Marussia“ gelingt es Regisseurin Astorga in „Princesas Rojas“, die Sicht der Kinder einzunehmen. Ihre Erzählweise ist deshalb fragmentarisch, weil Claudia die Tätigkeit ihrer Eltern im Einzelnen verborgen bleibt. Dass sie in Costa Rica nicht allzu viel von den „Pionieren“ und von ihren Zeltlagern auf Kuba erzählen, ihre revolutionären Abzeichen nicht offen tragen soll, versteht Claudia immerhin. Wofür sie jedoch kein Verständnis hat: Warum kann sie nicht regelmäßig zur Schule gehen, mit im Schulchor singen, obwohl sie offensichtlich willkommen ist?

Im japanischen „14plus“-Film „Capturing Dad“ stehen zwei Schwestern, 20 und 17 Jahre alt, im Mittelpunkt. Ihr Vater hat wegen einer anderen Frau die Familie vor etlichen Jahren verlassen, weshalb sich die Töchter kaum an ihn erinnern können. Nun sollen sie zu ihm, da er schwer erkrankt ist. Als sie aber ankommen, ist der unbekannte Vater bereits gestorben. Dafür lernen sie einen bezaubernden kleinen Halbbruder kennen, von dessen Existenz sie nicht wussten. Schnörkellos erzählt Regisseur Ryota Nakano in sonnendurchfluteten, im Kontrast zur Gemütsverfassung der Protagonisten stehenden Bildern eine Geschichte, die den Zuschauer rührt. Insbesondere die zärtliche Geste des kleinen Halbbruders, der seinem verstorbenen Vater, dem starken Raucher, zum Abschied eine brennende Zigarette in den Mund steckt, bleibt in Erinnerung aus diesem Film über Abschied und Versöhnung.

Wenig Verständnis für ihre Eltern hat auch die kleine rothaarige Anina Yatay Salas, die ihren Namen gar nicht mag. Denn jeder Teil davon ist ein Palindrom, lässt sich also vorwärts und rückwärts gleich lesen. Warum sie ausgerechnet Anina genannt werden sollte? In „AninA“ erzählt der uruguayische Regisseur Alfredo Soderguit eine Geschichte um Freundschaft und erste Liebe in klassisch und liebevoll gestalteten Zeichentrickbildern, begleitet von Aninas innerer Stimme, die ihre Gefühle und Tagträume offenbart.

Mit einer herkömmlicheren Inszenierung als Kinderfilm handelt der schwedische Film „Eskil & Trinidad“ von einem Jungen, der mit seinem als Wartungsingenieur für Kraftwerke tätigen Vater von Ort zu Ort zieht. Die Mutter ist nach Dänemark zurückgegangen, weil sie nicht mehr in Schweden leben möchte. Als ehemaliger Eishockey-Profi stellt Eskils Vater hohe Erwartungen an seinen Sohn. Doch Eskil interessiert sich wenig für Eishockey. Ihn faszinieren eher Schiffe und die Seefahrt. Als Eskil die eigenbrötlerische Trinidad kennenlernt, könnte sein Traum wahr werden. Die schmerzlich vermisste Mutter, die skurrile und deshalb in Kinderaugen mysteriös wirkende ältere Frau sind geradezu klassische Kinderfilm-Figuren, die Regisseur Stephan Apelgren mit schönen Landschafts- und Traumbildern („Dänemark ist ein warmes Land im Süden“) stilsicher verknüpft.

Alles andere als harmlos: Der koreanische 14plus-Film „Pluto“ beginnt mit einem brutalen Mord an einem Schüler. Die Polizei verdächtigt seinen Zimmergenossen June, muss ihn aber mangels Beweise freilassen. Zusammen mit einer Freundin ermittelt June auf eigene Faust, wobei er auch zu drastischen Mitteln greift. Auf den ersten Blick ist „Pluto“ ein Thriller, der mit allen genretypischen Stilmitteln wie Rückblenden und spannungsgeladener Musik der Frage nach dem Mörder nachgeht. Auch wenn er wegen logischer Fehler und unnötiger Längen hier nicht ganz überzeugen mag, macht Shin Su-wons Film in seiner Kritik gegen ein inhumanes Schulsystem nachdenklich, das Schüler zu unerbittlichen Konkurrenten werden lässt.

Der „14plus“-Wettbewerb zeigt darüber hinaus einen ganz besonderen Film. Nicht nur, weil der von der Produktionsfirma des berühmten Regisseurs Won Kar Wai gedrehte „Touch of the Light“ von Taiwan für den nicht-englischsprachigen Oscar vorgeschlagen wurde. Darüber hinaus gelingt Regisseur Chang Jung-Chi eine überragende, selten gesehene Verknüpfung ausgesuchter Bilder mit dem vielschichtigen Tondesign und insbesondere mit der Filmmusik. Diese formalästhetischen Elemente stimmen mit einer romantischen, feinfühlig erzählten Liebesgeschichte zwischen dem blinden Pianisten Siang (Huang Yu-Siang) und der Imbissverkäuferin Jie (Sandrine Pinna) überein, die Tänzerin werden will. Eine Liebesgeschichte, die an den sensiblen irischen Film „Once“ erinnert – nicht nur wegen der Szenen ausgelassener Freude am Strand. Die großartigen Hauptdarsteller werden von einer Riege herrlicher Nebenfiguren unterstützt – von Siangs Mutter über dessen Zimmergenossen im Studentenheim bis zu Jies Chef in der Imbissbude.

Auch der Eröffnungsfilm des „Kplus“-Wettbewerbs „Zickzackkind“ („Nono, Het Zigzag Kind“) besticht durch die geglückte Verknüpfung zwischen der Formal- und der Handlungsebene. Das auf dem Buch „The Zigzag Kid“ von David Grossman basierende Drehbuch vom flämischen Regisseur Vincent Bal und seinem Mitautor Jon Gilbert erzählt vom fast dreizehnjährigen Nono, dessen Bar Mitzwa unmittelbar bevorsteht. Nonos Vater ist der beste Polizeiinspektor der Niederlande, von dem Nono sehr viel lernt. Das größte Rätsel, das der Junge entdecken will, hat allerdings mit einem Familiengeheimnis zu tun: Seine Mutter starb, als Nono ganz klein war, und hinterließ ihm nur ein Foto, auf dem ihr Gesicht gar nicht zu sehen ist. Auf dem Weg zu einem Verwandten wird er vom geheimnisvollen Felix (Burghart Klaußner) entführt. Als sie auf die ehemalige Sängerin Lola (Isabella Rossellini) treffen, kommt Nono seiner „Mission“ näher. Passend zum Genre werden typische Stilmittel der 60er-Jahre-Krimis wie die geteilte Leinwand (Splitscreen) und Agenten-Musik eingesetzt. Die erwachsenen Weltstars spielen mit sichtlichem Spaß und öffnen den Film auch für ein erwachsenes Publikum.

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