NACHT ÜBER BERLIN | Nacht über Berlin
Filmische Qualität:   
Regie: Friedemann Fromm
Darsteller: Jan Josef Liefers, Anna Loos, Sven Lehmann, Claudia Eisinger, Franz Dinda, Jürgen Tarrach, Marie Gruber, Johannes Klaußner
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
Auf DVD: 2/2013


José García
Foto: ARD Degeto

Dänemark, Sommer 1932. Auf der Rückfahrt von ihrem Urlaub lernt die lebenslustige Henny Dallgow (Anna Loos) den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Albert Goldmann (Jan Josef Liefers) kennen. Obwohl pazifistisch eingestellt, hat er einen gefährlichen Kurierdienst für seinen Bruder Edwin (Franz Dinda) übernommen, der als Mitglied einer kommunistischen Zelle im Nachbarland Zuflucht gesucht hat. Dank der selbstbewussten, unabhängigen Frau entgeht Goldmann einer Verhaftung. Die Tochter aus reichem Haus ist angetan vom engagierten jüdischen Arzt, der sich in Berlin-Wedding für die sozial Schwachen und im Reichstag für die inzwischen sehr fragile Demokratie einsetzt.

Statt in die Immobiliengeschäfte ihres Onkels einzusteigen, übernimmt Henny das mondäne „Ballhaus“ vom Juden Matze Belzig (Jürgen Tarrach), der rechtzeitig nach Amerika emigriert. Weil sich Gegensätze anziehen, verlieben sich Henny und Albert ineinander. Tanzen im „Ballhaus“ SA-Leute noch zu den später verfemten Swing-Klängen, so werden ihre Präsenz sowie die Gewalt auf der Straße immer gegenwärtiger. Am 27. Februar 1933 erfährt Henny vom künftigen Mann ihrer Cousine Uta (Claudia Eisinger), dem sich den Nazis anbiedernden Erhart von Kühn (Sven Lehmann), dass Albert in Gefahr ist. Als sie ihn warnen will, ist Albert bereits unterwegs zum Reichstag, um einen verwirrten Patienten an der Ausführung seiner Wahnsinnsidee zu hindern.

Bei „Nacht über Berlin“ fällt zunächst einmal die detailgenaue Ausstattung der Produktionsdesigner Lothar Holler und Joris Hamann etwa im nachgebauten Plenarsaal des Reichstags oder im „Ballsaal“ ins Auge. Die Kamera von Jo Heim schwelgt nicht nur in diesen aufwändig hergestellten Räumen, sondern setzt auch die Interieurs und insbesondere die Nachtszenen in ein authentisches Licht. Einen bedeutenden Anteil am Gelingen von „Nacht über Berlin“ hat jedoch die Musik von Florian de Gelmini, die nicht auf eine Verstärkung der Gefühle setzt, sowie die von Anna Loos zusammen mit Jürgen Tarrach und – in einer Gastrolle – mit Max Raabe gesungenen Jazzsongs.

Angesichts des Leidens, das diese Zeit über so viele Menschen brachte, stellt sich allerdings die Frage, ob man einen in dieser Zeit spielenden Liebesfilm überhaupt drehen darf. Darauf antwortete ARD-Programmdirektor Volker Herres bei der Premiere des Fernseh-Spielfilmes in Berlin: „Wir wissen inzwischen so viel über die politischen Zusammenhänge, dass der Alltag der Menschen zu verschwinden droht.“ Auch diese Sicht helfe uns Heutigen, „das Unvorstellbare verständlich zu machen“. Ohne erhobenen Zeigefinger wird dem Zuschauer der Aufstieg des Nationalsozialismus verdeutlicht. So spiegelt sich die Bedrohung für die Juden in der Fassungslosigkeit eines von der SA verprügelten, ehemaligen Weltkriegssoldaten und Eisernes-Kreuz-Trägers wider. Die Nebenhandlung um das Kind, das Henny erwartet, hat eher allgemeingültigen Charakter. „Wie soll man in dieser Zeit Kinder in die Welt setzten?“, fragt sie zunächst. Als sie sich jedoch der Abtreibungsklinik nähert, sieht Henny blasse, verstörte Frauen herauskommen ... und nimmt von ihrem Vorhaben Abstand.

Offen bleibt in „Nacht über Berlin“ die Frage, wer den Reichtagsbrand verursachte. Der Film zeigt Marinus van der Lubbe (Johannes Klaußner), aber auch eine Gruppe SA-Leute im Keller. Im Gespräch mit dem Autor dieser Besprechung am Rande der Premiere sagte Regisseur Friedemann Fromm dazu: Allein zum 80. Jahrestag seien drei Bücher erschienen, die jeweils eine andere Meinung vertreten. Deshalb habe er sich in seinem Film für keine Seite entschieden. „Letzten Endes ist es für den Film irrelevant. Wichtig ist vielmehr, dass die Nazis den Brand ausnutzten, um die politischen Gegner zu zerschlagen. Dem Film ging es nicht um die Klärung dieser Frage. Es hätte ein anderer Film werden müssen.“
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