LETZTE SCHÖNE TAG, DER | Der letzte schöne Tag
Filmische Qualität:   
Regie: Johannes Fabrick, nach einem Drehbuch von Dorothee Schön
Darsteller: Julia Koschitz, Wotan Wilke Möhring, Matilda Merkel, Nick Julius Schuck
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 3/2013


José García
Foto: ARD

„Jedes Jahr müssen in Deutschland 10 000 Familien damit fertig werden, dass sich ein Angehöriger das Leben genommen hat.“ So heißt es prägnant auf einer Texttafel im Nachspann des Fernsehfilmes „Der letzte schöne Tag“. Der Film von Dorothee Schön (Drehbuch) und Johannes Fabrick (Regie) setzt anhand einer Familie diese Trauerarbeit filmisch um.

Ein schöner, sonniger Tag, drei scheinbar belanglose, alltägliche Telefonate: Sybille (Julia Koschitz) ruft ihren Mann Lars (Wotan Wilke Möhring) auf der Baustelle an, die er als Landschaftsarchitekt betreut. Dann meldet sie sich bei den Kindern: Die vierzehnjährige Maike (Matilda Merkel) reagiert pubertär-schnippisch: Ihre Mutter wisse schon, dass sie bei ihrer besten Freundin schlafen werde. Der siebenjährige Piet (Nick Julius Schuck) zeigt sich kurz angebunden – schließlich hat die Mutter sein Spiel unterbrochen. Auf den Vorschlag, bei seinem Freund zu übernachten, reagiert er erfreut. Für den Ehemann und die Kinder nehmen sich diese Telefonate nichtssagend aus. Woher sollten sie wissen, dass sie dabei zum letzten Mal Sybilles Stimme gehört haben? Als Lars nach Hause zurückkommt, hat sie sich bereits das Leben genommen. Eine zeitversetzte Email informiert ihn darüber und über den Ort, wo er ihre Leiche finden kann.

Obwohl Lars von Sybilles Depressionen wusste, hatte er den Eindruck, dass es ihr zuletzt besser ging. Erst nach ihrem Tod findet er ihre letzte Tagebucheintragung: „Ich kann nicht mehr“. Kannte er wirklich seine Frau? Zwischen einem Unfalltod und einem Selbstmord, so wird er später sagen, bestehe ein großer Unterschied: Beim Unfalltod stimme das Leben danach nicht. Bei Selbstmord stimmt außerdem das davor auch nicht mehr. Drehbuchautorin Dorothee Schön entwickelt die Dramaturgie konsequent aus der Perspektive der Hinterbliebenen. Dazu führt sie aus: „Ich bin selbst Betroffene. Meine Mutter hat sich das Leben genommen, und einige Jahre später auch meine Schwester. Zunächst war es für mich undenkbar, diese Erfahrungen fiktional zu verarbeiten. Aber ich habe im Lauf der Zeit andere Menschen kennengelernt, die Ähnliches erlebt haben, und so ist die Idee zu diesem Film entstanden; ein Film nicht über diejenigen, die sterben wollen, sondern über die Hinterbliebenen nach einem Suizid.“

Regisseur Johannes Fabrick setzt deshalb lediglich einige wenige Rückblenden ein, um Sybilles Zustand für den Zuschauer verständlich zu machen. Dadurch gehen einerseits die Filmemacher der Versuchung aus dem Weg, zu psychologisieren. Andererseits stellen sie die Familie in den Mittelpunkt, wie Lars und die Kinder mit dem Verlust umgehen. Die Dramaturgie und ihre inszenatorische Umsetzung vermitteln einen Eindruck der dadurch entstandenen Leere, etwa durch das leere Haus, das Lars nicht nur am ersten Abend, sondern auch an anderen Tagen vorfindet. Dorothee Schön und Johannes Fabrick gelingt es darüber hinaus ebenfalls, das veränderte Zeitgefühl bei den Betroffenen zu visualisieren. Die Drehbuchautorin: „Die Grausamkeit einer solchen Situation liegt ja darin, dass es keinen schnellen Vorlauf gibt. Im Gegenteil: Eine Art emotionale Zeitlupe setzt ein.“

Die Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint, wechseln sich mit Augenblicken voller Geschäftigkeit ab: „Bloß nicht herumsitzen und nachdenken“, sagt etwa Lars. Der Sarg, die Beerdigung, die Einladungen, das Essen danach… müssen organisiert werden. Und dann die Rückkehr in den Alltag, die Arbeit, der Haushalt. Denn Lars will auch für seine Kinder stark sein. Dennoch macht er sich auch Vorwürfe: Hätte er Sybilles Selbstmord verhindern können, obwohl sie alles perfekt geplant hatte? Regisseur Johannes Fabrick, ebenfalls selbst Betroffener, inszeniert das sensible Drehbuch kongenial, ohne konventionelle Dramaturgie und ohne unnötige ästhetische Überhöhung. Helmut Pirnats Kamera bleibt deshalb den Figuren, häufig mit Großaufnahmen ihrer Gesichter, stets sehr nah.

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