I, ANNA | I, Anna
Filmische Qualität:   
Regie: Barnaby Southcombe
Darsteller: Charlotte Rampling, Gabriel Byrne, Eddie Marsan, Jodhi May, Hayley Atwell
Land, Jahr: Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2012
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, X
im Kino: 5/2013
Auf DVD: 11/2013


José García
Foto: NFP

Anna (Charlotte Rampling), eine attraktive, etwas enigmatische, geschiedene Frau jenseits der Fünfzig, lässt sich in London widerwillig auf eine Partnersuche-Veranstaltung ein, weil ihre Tochter Emmy (Hayley Atwell) sie dazu ermuntert hat. Dort lernt sie den charmanten George Stone (Ralph Brown) kennen, mit dem sie den Veranstaltungsort am späten Abend verlässt. Am nächsten Morgen ist dieser George tot. Der übermüdete Detektiv Bernie Reid (Gabriel Byrne) begibt sich zum Tatort in einem Hochhaus. Im Foyer des Gebäudes begegnet er Anna flüchtig, aber er muss immer wieder an die geheimnisvolle Frau denken. In den Blick der Ermittler kommt der sichtlich verstörte, sechzehnjährige Sohn des Toten Stevie (Max Deacon), der im Morgengrauen mit Schürfwunden und blauen Flecken nach Hause kommt. Da er sich weigert, seiner Mutter Janet (Jodhi May) zu erzählen, woher diese Wunden stammen, fürchtet sie, dass Stevie mit dem Tod ihres entfremdeten Ehemanns George zu tun hat, und flüchtet mit Stevie aus London. Bernie Reid beginnt, Anna zu folgen, nachdem er ihre Adresse herausgefunden hat. Bei einem Single-Treff kommt er mir ihr ins Gespräch. Bernie verschweigt ihr nicht, dass er bei der Polizei ist. Als er sie an die flüchtige Begegnung im Hochhausfoyer erinnern möchte, leugnet Anna, in letzter Zeit überhaupt einen Fuß in dieses Stadtviertel gesetzt zu haben. Die beiden gehen irritiert auseinander. Dennoch kommt es zu einem weiteren Treffen zwischen Anna und Bernie, der seine beruflichen Verpflichtungen zu vernachlässigen beginnt, zumal Bernies Kollege Franks (Eddie Marsan) einige Indizien findet, die zu Anna führen. Bernie sieht sich gezwungen, Anna zur Rede zu stellen.

In seinem Spielfilmdebüt setzt Barnaby Southcombe, Charlotte Ramplings Sohn, eine etwas elliptische Erzählweise und insbesondere auch Rückblenden ein, die Stück für Stück das wirkliche Geschehen zu Tage fördern. Wie im Thriller-Genre üblich, irritieren zunächst einmal einige Details in Annas Verhalten – beispielsweise sucht sie immer wieder eine Telefonzelle auf –, die sich erst im Nachhinein erschließen. Jedenfalls liefert Drehbuchautor und Regisseur Southcombe immer wieder Hinweise, die auf irgendein Geheimnis im Leben Annas anspielen.

Im Zusammenwirken mit dem Produktionsdesign von Tom Burton gelingt es Kameramann Ben Smithard, eine extrem anonyme Stadt voller Betonblöcke in betont kalten Farben einzufangen. Obwohl die Kriminalhandlung und die verstreuten Hinweise auf Annas mysteriösen Lebenswandel durchaus Spannung erzeugen, konzentriert sich „I, Ana“ eher auf die Charaktere. Nach dem Vorbild des „Film noir“ steht in Southcombes Film nicht so sehr die Handlung als vielmehr die Psychologie der Figuren im Vordergrund, zumal die Ermittlungen der Polizisten zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt in eine eindeutige Richtung führen. Das Kunstmittel, nach und nach Annas Erinnerungsfetzen ins Bild zu setzen, die immer wieder in nicht chronologischer Abfolge aufleuchten, weist außerdem auf das Genre des Psychothrillers hin. Dazu konnte Barnaby Southcombe auf zwei hervorragende Charakterdarsteller setzen: Charlotte Ramplings Eleganz und ihre minimalistischen Gefühlsregungen, ihre Blicke und kleine Gesten ziehen sich durch den ganzen Film. Gabriel Byrne kann den Erwartungen an eine solche Rolle, die etwa an Humphrey Bogarts Detektiv in „Die Spur des Falken“ (John Huston, 1941) erinnern soll, jedoch in keinem Augenblick erfüllen. Sein erratischer Blick reicht kaum, um die Unentschiedenheit seiner Figur auszudrücken.

Trotz der hervorragenden Bilder und der exzellenten Bildkompositionen sowie der guten Schauspieler, die ihm zur Verfügung standen, die er aber offenkundig nicht richtig führen kann, gelingt Drehbuchautor und Regisseur Southcombe die Mischung aus Kriminalhandlung und Psychothriller kaum. Obwohl der Kriminalfall durch die frühzeitige Auflösung in den Hintergrund tritt, richtet sich die Dramaturgie teilweise nach den Regeln des Krimis. Mit „I, Anna“ möchte Barnaby Southcombe offenbar gleichzeitig einen Psychothriller, einen Krimi und darüber hinaus auch noch ein Melodram liefern. Southcombes Film krankt an der Unentschiedenheit, welche Richtung nun „I, Anna“ einschlagen soll. Dass kurz vor Filmschluss der Drehbuchautor und Regisseur einen ganz neuen Handlungsstrang aus dem Hut zaubert, der mit der restlichen Handlung kaum im Zusammenhang steht, kann diese Unentschiedenheit zwischen den Genres nur noch deutlicher hervortreten lassen.

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