TILT | Tilt
Filmische Qualität:   
Regie: Viktor Chouchkov Jr.
Darsteller: Yavor Baharoff, Radina Kardzhilova, George Staykov, Ovanes Torosyan, Ivaylo Dragiev, Alexander Sano
Land, Jahr: Bulgarien / Deutschland 2011
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, X
im Kino: 5/2013


José García
Foto: Port-au-Prince Pictures

Bulgarien, 1989. Draufgänger Stash (Yavor Baharoff) und seine Freunde Gogo (Ovanes Torosyan), Angel (Ivaylo Dragiev) und B-Gum (Alexander Sano) führen ein Leben am Rande der Legalität. Mit ihren kleinkriminellen Aktivitäten stehen sie auch unter Beobachtung des omnipräsenten Geheimdienstes. Als sich Stash in Becky (Radina Kardjilova) verliebt, ahnt er noch nicht, dass sie die Tochter des verwitweten Geheimdienst-Obersts Katev (George Staykov) ist. Vom bevorstehenden Zusammenbruch des Ostblocks merken Stash, Becky und die anderen so gut wie nichts. Der bulgarische Regisseur und Drehbuch-Mitautor Viktor Chouchkov Jr. erzählt diese Liebesgeschichte auf dem Hintergrund des politischen Wandels in seinem Spielfilmdebüt „TILT“ mittels einer klassischen Drei-Akte-Dramaturgie: Das erste Filmdrittel ist in Sofia, das zweite in einer kleinen westdeutschen Stadt und das dritte wieder in Sofia angesiedelt.

Als die vier Freunde zusammen mit Becky in ihrem Versteck von der Staatssicherheit verhaftet werden, steht es für sie fest: Irgendjemand muss sie verraten haben. Katev verbietet Stash unter Androhung lebenslanger Haft jeden Umgang mit Becky. Für den jungen Rebellen gibt es nur einen Ausweg: ins Ausland zu gehen. Weil die Mauer gerade gefallen ist, entscheidet er sich, zusammen mit Gogo und Angel über die DDR nach Westdeutschland zu reisen. Dort wollen sie genug Geld verdienen, um nach ihrer Rückkehr in Sofia eine eigene Bar mit dem Namen „TILT“ („Game over“ / „Das Spiel ist aus“) zu eröffnen. Becky muss die schwierige Entscheidung fällen, ob sie mitkommen soll. So tauschen Stash, Gogo und Angel die verwahrlosten Straßen und das schmuddelige Heldendenkmal, bei dem sie sich in Sofia zum Skaten trafen, gegen die schmucke Friedhofsruhe in der westdeutschen Provinz. Statt das große Geld zu verdienen, bekommen sie Arbeit auf dem Friedhof und landen in einer WG mit ein paar Landsleuten, in der sich der Müll nur so auftürmt. Es vergehen zwei Jahre, bis Stash 1991 die Veränderungen in der politischen Situation Bulgariens als Signal auffasst, nach Hause zurückzukehren. In Sofia muss er anerkennen, dass sich zwar die Verhältnisse verändert haben, das Sagen jedoch weiterhin dieselben Leute haben, so auch Katev. Verändert haben sich aber auch alte Freunde und selbst Becky, um deren Liebe er neu zu kämpfen bereit ist.

In „Tilt“ zeichnet Viktor Chouchkov Jr. eine Jugend-Subkultur, die zunächst einmal im realen Sozialismus Nischen und später nach den Umwälzungen von 1989/1990 einen neuen Platz in einer Gesellschaft sucht, in der sich die Strukturen, aber nicht die Menschen geändert haben. Vor diesem Hintergrund erzählt der Regisseur und Drehbuch-Mitautor darüber hinaus eine Liebesgeschichte, die ungewöhnlichen Schwierigkeiten begegnet. Dazu führt Viktor Chouchkov Jr. aus: „TILT ist die leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen Stash und Becky, die lernen, sich ihr Recht auf Liebe und Freiheit zu erkämpfen. Es ist ein Film über junge Menschen innerhalb einer Gesellschaft, in der politischer und ökonomischer Wandel die Menschen in absurde persönliche Beziehungen drängt, Kriminalität die einzige Option ist und die im Widerspruch zu dem Leben stehen, was generell als Norm verstanden wird. Und nicht zuletzt ist es ein Film über die Jahre des Umbruchs in Bulgarien. Für mich hat diese Geschichte eine große Bedeutung, da es auch für mich eine Zeit des Wandels, der eigenen Revolte, eine Zeit der Angst, eine Zeit wichtige Entscheidungen zu fällen und aber auch eine romantische Zeit bedeutet. Einige Episoden des Films basieren daher auf wahren Begebenheiten. Die Entwicklung unserer Figuren verläuft parallel zu der Entwicklung ihres Heimatlandes, das nach 45 Jahren totalitärem Sozialismus, sein Weg zur Demokratie findet. In Bulgarien war Demokratie damals Neuland und unbegreiflich. Es ist an der Zeit diesen politischen Umbruch mit all seinen Auswirkungen zu thematisieren. Mit diesem Film wollte ich einen Schritt in diese Richtung tun.“

Zwar findet „Tilt“ nicht immer seinen Rhythmus. So braucht es etwas zu lange, bis die eigentliche Geschichte voranschreitet, und das Ende nimmt sich etwas zu unvermittelt aus. Dennoch gelingen Kameramann Rali Raltchev und Produktionsdesignerin Vanina Geleva – die beiden wurden für ihre Arbeit von der bulgarischen Filmakademie ausgezeichnet – aussagekräftige Bilder. Regisseur Chouchkov trifft offensichtlich den Nerv einer Generation, was sich im Erfolg seines Filmes ausdrückt: Mit 140.000 Zuschauern wurde „TILT“ einer der erfolgreichsten Filme der letzten Jahre in Bulgarien. Nach der Welturaufführung auf dem Santa Barbara Film Festival in den Vereinigten Staaten gewann der Film außerdem mehrere Preise auf einer Reihe Filmfestivals auf der ganzen Welt. Chouchkovs Film wurde darüber hinaus offiziell als bulgarischer Vertreter für die 84. Oscarverleihung auf der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ vorgeschlagen. Trotz der tristen Wirklichkeit in der postkommunistischen Gesellschaft verliert das Liebespaar seine Zuversicht nicht. Gemäß dem Filmuntertitel „Das Spiel ist aus, wenn Du aufgibst“ entlässt die Geschichte um Liebe, Freundschaft und Verrat in Zeiten des politischen Umbruchs den Zuschauer letztlich nicht ohne Hoffnung.
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