KOHLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL | Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel
Filmische Qualität:   
Regie: Aron Lehmann
Darsteller: Robert Gwisdek, Jan Messutat, Thorsten Merten, Rosalie Thomass, Heiko Pinkowski, Michael Fuith
Land, Jahr: Deutschland 2012
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2013
Auf DVD: 4/2014


José García
Foto: missingFILms

Das dem Spielfilm „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ gleichsam als Motto vorangestellte Zitat Heinrich von Kleists „Was hier geschehen ist, berichten wir zwar, die Freiheit aber daran zu zweifeln, müssen wir demjenigen dem es wohl gefällt, zugestehen“, gibt den selbstironischen Ton für diese freie Adaption der Novelle „Michael Kohlhaas“ vor. Unterlegt von „Alter Musik“ sind zunächst Bilder aus dem 16. Jahrhundert zu sehen. Rauch steigt auf und durch den Rauch reitet auf einem Pferd Michael Kohlhaas (Jan Messutat). Es sind die Aufnahmen des ersten Drehtags eines ehrgeizigen Projekts: Der junge, leidenschaftliche Regisseur Lehmann (Robert Gwisdek) verfilmt die klassische Novelle Heinrich von Kleists in der schwäbischen Provinz.

Es soll ein großes Historienepos mit beeindruckenden Kulissen und Requisiten werden. Dann aber entziehen die Produzenten überraschend dem Filmteam die Geldmittel. Der Regisseur und sein Team stehen wortwörtlich auf der Straße, nachdem selbst der Busfahrer weggefahren ist und mit ihm die letzten Requisiten, die Rüstung des Michael Kohlhaas. Hoch zu Ross verkündet ein selbstbewusster Lehmann seinen Schauspielern und dem Filmteam, dass der Film auf jeden Fall weitergedreht werden soll, ehe ihm auch das Pferd weggenommen wird. Lehmann lässt sich nicht unterkriegen: Wenn keine Pferde zur Verfügung stehen, dann nehmen Kühe ihren Platz ein – auch wenn sich der Kohlhaas-Darsteller nicht so wohl auf dem Rücken einer Kuh oder eines Ochsens fühlt. In schwäbischen Kuhdorf Speckbrodi wird ihnen jede Unterstützung gewährt. Schließlich ist der Bürgermeister auch Laienschauspieler. Und weil so gut wie die gesamte Dorfbevölkerung ebenfalls im Dorftheater mitmacht, braucht sich Lehmann vorerst keine Sorge um Statisten zu machen. Nur die Unterkunft lässt einiges zu wünschen übrig: Sie müssen mit dem Boden im Festsaal der Dorfwirtschaft vorliebnehmen. Aber auch auf das Murren der Schauspieler hat der enthusiastische Regisseur Lehmann eine Antwort: Wer in schönen Hotels wohnen wolle, solle lieber in einem Film von Tom Tykwer spielen. Die Dreharbeiten gehen zunächst weiter. Allerdings ecken Lehmanns eigenwillige Ideen und seine verbissene Kompromisslosigkeit bei der Umsetzung des Films sowohl bei den Teammitgliedern als auch bei den Honoratioren von Speckbrodi an. Auch sie entziehen ihm ihre Unterstützung. Lehmann gibt jedoch nicht auf. Wie seine Hauptfigur Kohlhaas ist der Regisseur bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um seinen Film zu beenden.

In seinem ersten Langspielfilm „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ erzählt Aron Lehmann zwei Geschichten oder auch eine Geschichte auf zwei Ebenen: Auf der einen Seite den fiktiven Stoff des Filmes, also die Kleist-Novelle, in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Pferdehändler Michael Kohlhaas zur Selbstjustiz greift gegen ein Unrecht, das ihm angetan wurde. Obwohl das Filmteam nur wenige Szenen aus „Michael Kohlhaas“ tatsächlich „dreht“, erweisen sie sich als recht getreue Adaption der Kleist-Novelle. Auf der anderen Seite das „dokumentarische“ Dreh-Tagebuch von Regisseur Lehmann. Ähnlich Michael Kohlhaas kämpft auch Lehmann allen Widerständen zum Trotz für seine Vision. Nicht nur Kohlhaas ist Ungerechtes widerfahren – auch Lehmann empfindet das Entziehen der Geldmittel für seinen Film als Ungerechtigkeit, gegen die er kämpfen muss.

Im Laufe der Handlung gehen Fiktion und Wirklichkeit immer mehr ineinander über. Durch die Verknüpfung der zwei Ebenen unterstreicht Regisseur Aron Lehmann die Kraft der Fantasie in der (Erzähl-)Kunst. Dazu führt er selbst aus: „Mein Film lebt von der Vorstellung des Zuschauers und der Überzeugungskraft der Selbstverständlichkeit. Bäume sind Riesen, Kühe, Pferde und ein paar Komparsen bilden ein Heer von fünftausend Mann. Wichtig ist mir die Glaubwürdigkeit der Charaktere und die Selbstverständlichkeit, mit welcher sie agieren. Realismus spielt dabei keine Rolle. Die oberste Regel: keine Zweifel.“

Die von Ernst Bloch auf Michael Kohlhaas gemünzte Bezeichnung „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität“ könnte ebenfalls auf den von Robert Gwisdek dargestellten Regisseur des Films im Film „Lehmann“, aber selbstverständlich auch auf den Regisseur von „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ Aaron Lehmann angewandt werden – die Übereinstimmung im Namen ist natürlich kein Zufall. Dass Film-im-Film-Regisseur Lehmann gegen Windmühlen und allerlei Widrigkeiten kämpfen muss, sieht der Zuschauer. Ob Aron Lehmann selbst ebenso solche Hürden nehmen musste, um sein Konzept von „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ zu finanzieren, kann er nur vermuten. Sowohl die Worte Lehmanns zu einem Schauspieler – „Wenn du das fühlst, ist es nicht lächerlich“ – als auch die Inbrunst, mit der Lehmann als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion mit unsichtbaren Waffen gegen unsichtbare Gegner kämpft und dabei die anderen Darsteller mitreißt, zeugen von der Leidenschaft, die das Spielen auf der Bühne oder vor (und hinter) der Kamera ausmacht. Mit seinem Alter ego „Lehmann“ hat Aron Lehmann der Schauspiel- und Regieleidenschaft ein Denkmal gesetzt.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren