ZWEI LEBEN | Zwei Leben
Filmische Qualität:   
Regie: Georg Maas
Darsteller: Juliane Köhler, Liv Ullmann, Ken Duken, Sven Nordin, Julia Bache-Wiig, Rainer Bock, Thomas Lawinky
Land, Jahr: Deutschland / Norwegen 2012
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2013


José García
Foto: farbfilm

„Der Film ‚Zwei Leben’ überzeugt durch die Beleuchtung eines weitgehend unbekannten Strangs der deutschen Geschichte: der norwegischen Lebensborn-Kinder... Das Erbe des Dritten Reichs verzahnt sich auf schuldige Weise mit den Machenschaften des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Beeindruckend sind das intensive Zusammenspiel von Juliane Köhler mit Liv Ullmann und die ausdrucksstarke Kinematographie.“ Mit diesen Worten begründete die mit Vertretern von Berufsverbänden und Institutionen besetzte „German Films“-Jury kürzlich ihre Entscheidung, den Spielfilm „Zwei Leben“ als den deutschen Beitrag in der nationalen Vorentscheidung für den Oscar als „Bester nicht-englischsprachiger Film“ auszuwählen.

Katrine (Juliane Köhler) führt mit ihrem Mann Bjarte (Sven Nordin), einem Marine-Offizier, ein erfülltes Leben am Rande der norwegischen Stadt Bergen. Die einzige Tochter Anne (Julia Bache-Wiig) ist vor kurzem Mutter geworden. Weil Anne noch studiert und Katrine als Fotografin arbeitet, hilft häufig und gerne Katrines Mutter, die rüstige Mittsiebzigerin Åse (Liv Ullmann), bei der Betreuung von Annes Baby Turid. Das Familienidyll gerät aber ins Wanken, als im November 1990 der deutsche Rechtsanwalt Sven Solbach (Ken Duken) plötzlich bei ihnen auftaucht. Die von Solbach vertretene deutsche Kanzlei strengt vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage auf Wiedergutmachung zugunsten der von den Nazis entführten Kriegskinder und deren norwegischen Mütter an. Weil die meisten Heime, in denen diese Kinder untergebracht wurden, in der DDR lagen, ermöglicht erst der Fall der Mauer eine Reihe solcher Schicksale genauer unter die Lupe zu nehmen.

Für Solbachs Klage sind Katrine und Åse die perfekten Zeugen. Denn Katrine wurde als „Lebensborn“-Kind in Norwegen geboren. Entsprechend der Nazi-Rassenideologie sollten auch in von Deutschland besetzten Gebieten die Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und einheimischer Frauen gefördert werden, um die Geburtenrate „arischer“ Kinder zu steigern. Wie viele andere Lebensborn-Kinder auch wurde Katrine nach der Geburt ihrer Mutter entzogen und in einem Lebensborn-Heim in Ostdeutschland untergebracht, wo später die Stasi verstärkt inoffizielle Mitarbeiter anwarb. Katrine gelang allerdings im Alter von Mitte 20 die Flucht aus dem Heim und aus der DDR. So lernte sie ihre Mutter in Norwegen kennen, wo sie blieb und eine Familie gründete. Als sie nun durch Solbachs Klage von ihrer Vergangenheit überholt wird, sperrt sich Katrine völlig dagegen. Nachdem der Anwalt angefangen hat, in ihrer Biografie Ungereimtheiten zu finden, täuscht Katrine eine Reise nach Oslo vor, um nach Berlin zu fliegen. Dort tauscht sie ihre moderne Erscheinung gegen unscheinbare Kleider, setzt sich eine dunkle Perücke auf, und begibt sich selbst auf Spurensuche in ihrer eigenen Vergangenheit.

Auf der Grundlage des Romans „Eiszeiten“ von Hannelore Hippe, die zudem für den Film weitere Recherchen über das Schicksal der Lebensborn-Kinder übernahm, verfasste Regisseur Georg Maas zusammen mit Judith Kaufmann, Christoph Tölle und Ståle Stein Berg ein hervorragendes Drehbuch, das nicht nur kluge Dialoge, sondern auch immer wieder neue Wendungen beinhaltet. Regisseur Georg Maas inszeniert es mit unaufdringlicher Spannung. So vermag er die grobkörnigen Rückblenden in richtigem Rhythmus einzusetzen, die dank des geschickten Schnitts von Hansjörg Weissbrich die Handlung vorantreiben. Zur Spannung tragen sowohl die Kameraarbeit von Judith Kaufmann mit einer Verknüpfung aus wunderbaren Landschaftsbildern, aussagekräftigen Nahaufnahmen und den verfremdeten Rückblenden als auch die atmosphärische Musik von Christoph M. Kaiser und Julian Maas in besonderem Maße bei. Dazu kommt die exzellente schauspielerische Leistung von Juliane Köhler und der einstigen Ingmar Bergman-Charakterdarstellerin Liv Ullmann, die mit kleinen Gesten und vor allem mit ihren Blicken Schmerz und Enttäuschung auszudrücken vermag.

Regisseur Georg Maas verknüpft einen Thriller mit dem Drama einer Frau, die sich auf der Suche nach ihrer Identität immer mehr in ein Lügennetz verstrickt. Dabei gelingt es Regisseur Georg Maas und seinen Mitautoren, ohne in ein oberflächliches Gut-Böse-Schema zu verfallen, mit jeder neuen Wendung in der Handlung auch eine neue Seite in den überaus komplexen Figuren zu beleuchten. Dazu führt Georg Maas aus: „Die Vielschichtigkeit der Charaktere und die Komplexität dieser Geschichte begeistern mich schon seit vielen Jahren. Die Hauptfiguren in diesem Film sind gleichermaßen schuldig und unschuldig, sie sind quasi Täter und Opfer zugleich, und befinden sich nicht aus freiem Willen in diesem Dilemma. Sie leben und suchen ihr Glück in ihrer Gegenwart, aber sie können dem Schatten ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Das ist das Drama ihres Daseins.“

„Zwei Leben“ wirkt lange nach, weil der Film das spannend und bewegend inszenierte Familiendrama mit der Aufarbeitung eines langen Schattens der Vergangenheit verknüpft, der sich wiederum durch beide Diktaturen auf deutschem Boden zieht. Ob „Zwei Leben“ es unter die fünf Nominierten für den Oscar als „Bester nicht englischsprachiger Film“ schafft, wird am 16. Januar 2014 bekanntgegeben. Die Oscar-Verleihung findet am 2. März statt.
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