100 SCHRITTE | I cento passi
Filmische Qualität:   
Regie: Marco Tullio Giordana
Darsteller: Luigi Lo Cascio, Luigi Maria Burruano, Lucia Sardo
Land, Jahr: Italien 2000
Laufzeit: 114 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S


JOSÉ GARCÍA
Foto: Schwarzweiss

Der gesellschaftspolitisch engagierte Film erlebt zurzeit eine Renaissance – siehe etwa den diesjährigen Gewinner des Oscars für den Besten Dokumentarfilm “Bowling for Columbine” oder den argentinischen “Junta”, der sich mit dem Staatsterror der Militärdiktatur in diesem südamerikanischen Land auseinandersetzt. Nun kommt in die deutschen Kinos ein vielfach ausgezeichneter, politisch nicht weniger brisanter Film über einen Anti-Mafia-Aktivisten: “100 Schritte”.

Genau hundert Schritte misst die Entfernung zwischen dem Elternhaus von Giuseppe “Peppino” Impastato und dem Anwesen des lokalen Mafiabosses Gaetano “Tano” Badalamenti in Cinisi nahe Palermo. Schon als Kind erfuhr Peppino in seiner eigenen Familie, was Omertà – die Mauer des Schweigens in Mafiakreisen – bedeutet, als sein Lieblingsonkel ermordet wurde. Während sich sein Vater Luigi zwischen der Liebe zum eigenen Sohn und der Loyalität gegenüber der Mafia-Familie zerreibt, der er sein finanzielles Auskommen verdankt, findet Peppino seinen eigenen Weg: er nährt sich den Kommunisten an und bricht das traditionelle Schweigen gegenüber der Mafia: Peppino gibt Flugblätter und Zeitungen heraus, und gründet einen lokalen Radiosender, mit dem er mit viel satirischem Witz gegen die Mafiabosse zu Felde zieht.

Basierend auf historischen Ereignissen zeichnet “100 Schritte” das Leben des am 9. Mai 1978 ermordeten Giuseppe Impastato nach. Der Nachspann gibt Auskunft über seinen “Fall”: zunächst als Selbstmord zu den Akten gelegt, wurde Impastatos Tod erst 1996 als Verbrechen erklärt, nachdem eine Fernsehreportage des Journalisten Claudio Fava über ungelöste Mafia-Verbrechen “Cinque delitti imperfetti” (1994) den Fall in ganz Italien bekannt gemacht hatte. Es mussten jedoch sechs weitere Jahre vergehen, ehe im April 2002 Gaetano Badalamenti wegen des Mordauftrags an Giuseppe Impastato zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Regisseur Giordana setzt die spröde Kameraführung des Quasi-Dokumentarischen bis auf den rührseligen Schluss folgerichtig und konsequent ein, um diesen authentischen Fall zu rekonstruieren. Dramaturgisch konzentriert sich “100 Schritte” auf dessen zentralen Konflikt, die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die in einer eindrücklichen Szene gipfelt. Weniger gelungen ist indessen der Versuch des Regisseurs, die Atmosphäre der beginnenden siebziger Jahre durch die Einführung einer Hippiegruppe einzufangen, mit der ein Kontrapunkt zur Dramatik des Themas gesetzt werden soll.

Ohne großen technischen Aufwand lebt “I cento passi” größtenteils von der schauspielerischen Leistung seiner Darsteller, allen voran Luigi Lo Cascio. Sein Peppino Impastato – mit dem der Schauspieler sogar eine gewisse Ähnlichkeit haben soll – begegnet dem Zuschauer als ein Rebell, der mit seinen witzig-satirischen Radiosendungen den offenen Kampf gegen die Mafia riskiert. Die eingeflochtenen Originalmitschnitte und Manuskripte aus Peppinos beliebtester Radiosendung “Onda Pazza” (“Verrückte Welle”) vermitteln einen sehr unmittelbaren Eindruck seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit. Ob die meisten Nichtitaliener allerdings etwa seine witzig-politisch verfremdete Fassung der ersten Verse von Dantes “Göttliche Komödie” zu würdigen wissen?

Heiligengeschichten ist häufig Personenkult vorgeworfen worden. Auch Marco Tullio Giordanas Filmbiografie über Giuseppe Impastato, der zu einer so genannten Ikone des Kampfes gegen die Mafia wurde, haften hagiografische Züge an: “100 Schitte” ist eine Art Heiligengeschichte geworden. Eine größere kritische Distanz zu seinem Protagonisten hätte diesem beeindruckenden Spielfilm gut getan.
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