MOHNBLUMENBERG, DER | Kokuriko-zaka kara
Filmische Qualität:   
Regie: Goro Miyazaki
Darsteller:
Land, Jahr: Japan 2011
Laufzeit: 91 Minuten
Genre: Animation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 11/2013
Auf DVD: 4/2014


José García
Foto: universum

Die 16-jährige Umi lebt im Jahre 1963 in einem Haus auf dem Mohnblumenberg in Yokohama, im Ballungsgebiet Tokio. Da ihr Vater seit dem Koreakrieg vermisst wird und die Mutter als Ärztin weitestgehend außer Landes weilt, kümmert sich das pflichtbewusste Schulmädchen um den Haushalt mit ihrer Großmutter, ihren jüngeren Geschwistern und einigen Untermieterinnen. Für sie alle kocht Umi das Frühstück, nachdem sie ritualmäßig die Signalfahne im Vorgarten gehisst hat – für ihren Vater, dessen Rückkehr sie noch immer sehnsüchtig erwartet. Als eines Tages in der Schülerzeitung darauf Bezug genommen wird, nimmt Umi Kontakt zum Verfasser des Artikels auf. Es handelt sich um den etwas älteren Shun, der als Chefredakteur im „Quartier Latin“, dem Clubhaus der Schule, residiert. In dem alten, ziemlich schmuddeligen Gebäude finden die Zusammenkünfte der verschiedenen selbstverwalteten Clubs – von Philosophie über Literatur bis zur Astronomie – statt. Im Zuge der Modernisierung im Vorfeld der Olympischen Spiele Tokio 1964 soll das „Quartier Latin“ jedoch abgerissen werden. Umi unterstützt Shun beim Kampf um die Erhaltung des alten Clubhauses, das sie zunächst einmal mit Hilfe einer größeren Anzahl Schulmädchen gründlich säubert.

Der Kampf gegen den drohenden Abriss des alten Clubhauses stellt einen Hauptstrang in der Handlung von „Der Mohnblumenberg“ dar. Die Haupthandlung besteht aber in der zarten Liebesgeschichte zwischen Umi und Shun, die sich beim gemeinsamen Arbeiten an der Schülerzeitung entwickelt. Als jedoch Shun Umis Vater auf einem alten Foto sieht, kommt er ihm sehr bekannt vor. Irgendein dunkles Geheimnis verbindet die Familienvergangenheit der zwei Jugendlichen, das sich nun ihnen in den Weg stellt.

Das Drehbuch zu „Der Monhblumenberg“ stammt von weltberühmten, fast 73-jährigen Animations-Regisseur Hayao Miyazaki, der mit seinem Studio Ghibli und mit Filmen wie „Mein Nachbar Totoro“ (1988), „Prinzessin Mononoke“ (1997) und „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) ganz neue Maßstäbe im Animationsfach setzte und außerdem durch seinen Einfluss auf die Pixar-Animatoren eine enorme Wirkung entfachte. Regie führt sein Sohn Goro Miyazaki. Im Gegensatz zu den meisten Filmen seines Vaters, die in einer fantastischen Welt angesiedelt sind, spielt die Handlung von „Der Mohnblumenberg“ in einer sehr konkreten, realen Welt: Im Japan des Jahres 1963. Dies sei, so Goro Miyazaki, ein wichtiges Datum für Japan, weil die Olympischen Spiele 1964 einen Umbruch darstellen: „Das Chaos, das nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte, hatte sich gelegt, die Armut wich allmählich einem wirtschaftlichen Aufschwung.“

In der Zeichnung bleibt der neue Film von Hayao und Goro Miyazaki jedoch den Maßstäben des Ghibli-Studios treu. Entstehen amerikanische Animationsfilme inzwischen ausschließlich im Computer, so setzt Goro Miyazaki die altbewährte Zeichnung mit deutlichen Konturen ein, die einen großen Detailreichtum erlauben, die aber in den Landschaften eine aquarellierte Anmutung aufweisen. Dass diese Zeichnung große Möglichkeiten für Nuancen zulässt, stellt Goro Miyazaki etwa in den Sequenzen von Umis Traum unter Beweis. Hier herrschen sehr helle Farben bis hin zu einer zurückgenommenen Farbigkeit. Sie erzeugen eine überaus traurige Stimmung, die Umis Erinnerungen an ihren Vater entspricht. Durch diese klassische Zeichnung sowie durch die 60er Jahre-Musik, die von Anfang an zu hören ist, und die Lieder, die eher an Musicals aus dieser Zeit erinnern, strahlt „Der Mohnblumenberg“ eine nostalgische Stimmung aus. Ebenso klassisch nimmt sich die universelle Haupthandlung der Liebesgeschichte sowie die Dramaturgie aus, mit der beide Erzählstränge entwickelt werden, die einerseits ohne dramatisierende Elemente auskommt und andererseits viel Platz für liebevoll gestaltete Details in der Darstellung zulässt.

„Der Mohnblumenberg“ siedelt seine Handlung nicht zufällig im Jahre 1963 an. Zu diesem für Japan wichtigen Datum führt Hayao Miyazaki aus: „Damals gab es noch keine Stadtautobahnen in Tokyo, die Straßen füllten sich täglich mit immer mehr Autos und Menschen, es herrschte ein höllischer Verkehr. Die Umweltverschmutzung färbte zum ersten Mal das Meer und die Flüsse grau, die blauen Eisvögel verschwanden aus der Stadt. Die Menschen hatten wenig Geld, aber sie waren voller Hoffnung. Es war der Beginn einer neuen Ära, es war genau jener Moment, in dem unser althergebrachter Lebensstil vom technischen Fortschritt erfasst wurde. Aber noch gab es einen kurzen Zeitraum, in dem wir eine traditionelle Kultur bewahrten, auch wenn sie bald verlorengehen würde.“ Der Film von Hayao und Goro Miyazaki steht an der Schwelle von der Nachkriegszeit zu einer neuen, modernen und von der Technik beherrschten Ära. „Der Mohnblumenberg“ erzählt aus dieser längst vergangenen Zeit mit einer ausgesprochenen Wehmut, die den ganzen Film prägt. In früheren Filmen von Hayao Miyakazi prallte die moderne kapitalistische Welt und das traditionelle Japan aufeinander. Wie in diesen Filmen plädieren Drehbuchautor Hayao Miyazaki und Regisseur Goro Miyazaki auch in „Der Mohnblumenberg“ gegen den Werteverfall und den Verlust von Traditionen.
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