45 MINUTEN BIS RAMALLAH | 45 Minutes To Ramallah
Filmische Qualität:   
Regie: Ali Samadi Ahadi
Darsteller: Navid Akhavan, Julie Engelbrecht, Karim Saleh, Jackie Sawiris, Eyas Younis, Ed Ward
Land, Jahr: Deutschland, Jordanien, Israel 2013
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2013
Auf DVD: 6/2014


José García
Foto: Zorro Film

Der aus einem Zeichentrickfilm im Stil des „rosaroten Panthers“ mit beschwingter Musik bestehende Vorspann kündigt den Erzählton von „45 Minuten bis Ramallah“ an. Nachdem vor etwa einem Jahrzehnt mehrere Filme wie „Rana’s Wedding“ (2002) und „Paradise Now“ (2005) von Hany Abu-Assad sowie Eran Riklis’ „Die syrische Braut“ (2004) mit beinah dokumentarischer Strenge den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Zerrissenheit in Israel verdeutlicht hatten, zeigt nun Ali Samadi Ahadis Spielfilm auf grotesk-satirische Art den ganz alltäglichen Wahnsinn im Nahen Osten.

Nach einer kurzen Szene mit einer lebensbedrohlichen Situation für die Brüder Rafik (Karim Saleh) und Jamal (Navid Akhavan) macht Ahadis Film einen Sprung zurück nach Hamburg. In der Hansestadt versucht Rafik, ein Palästinenser aus Ostjerusalem, weit weg von seinem herrschsüchtigen Vater sein Glück zu finden. Durch einen Anruf der Mutter erfährt er von der Hochzeit seines jüngeren Bruders Jamal. Trotz des zerrütteten Verhältnisses zu seinem Bruder sagt er der Mutter zuliebe zu. Kaum in Ostjerusalem angekommen, reißen alte Wunden wieder auf. Bei einem heftigen Streit mit dem Vater, der Rafik unbedingt verheiraten will, erleidet Rafiks Vater eine tödliche Herzattacke. Nach seinem Tod stellt es sich heraus, dass sein letzter Wunsch darin besteht, in seinem Heimatdorf nahe Ramallah begraben zu werden. Nun machen sich Rafik und Jamal mit der Leiche des Vaters im Lieferwagen des Klimaanlagen-Familienbetriebs auf den Weg zum nur 45 Minuten entfernt liegenden Ramallah. Die vermeintlich einfache Fahrt entwickelt sich zu einer regelrechten Odyssee nicht nur wegen der strengen Kontrollen am Checkpoint zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, sondern auch weil ihnen die verführerische Russin Olga (Julie Engelbrecht) den Lieferwagen mit der Leiche des Vaters und außerdem ihre Ausweisen stiehlt. Bei dem Versuch, Leiche und Lieferwagen wieder sowie neue Ausweise zu beschaffen, machen Rafik und Jamal mit dem israelischen Geheimdienst, verschiedenen palästinensischen Terrororganisationen wie dem Islamischen Dschihad, der russischen Mafia und einer Autoschieberbande Bekanntschaft. Während die beiden Brüder zum Spielball der Interessenskonflikte verschiedener am Nahostkonflikt beteiligten Parteiungen werden, lernen Rafik und Jamal sich besser zu verstehen. Rafik könnte der surreale Trip darüber hinaus die Begegnung mit der großen Liebe bringen.

Bereits in seinem mit dem Preis der deutschen Filmkritik 2009 für das Beste Spielfilmdebüt ausgezeichneten „Salami Aleikum“ (siehe Filmarchiv) gelang es dem deutsch-iranischen Regisseur Ali Samadi Ahadi, die aus Klischees, überzeichneten Figuren und skurrilen Einfällen entstehende Situationskomik mit durchaus ernsten Untertönen zu verknüpfen. Auch in „45 Minuten bis Ramallah“ setzt Ahadi auf eine Überzeichnung der Figuren sowie auf eine Mischung aus klischeehaften und absurden Situationen. Obwohl manchmal solche Einfälle am Klamauk knapp vorbeischrammen – etwa als eine Bombe frühzeitig explodiert: „Er hat vergessen, den Zeitzünder auf die Sommerzeit umzustellen“ – macht die Satire jedoch auch die Absurdität des israelisch-palästinensischen Konfliktes sichtbar. Dazu erklärt Ali Samadi Ahadi: „Der Film reflektiert den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern auf ungewöhnliche Art und Weise und verdeutlicht, dass es bei dieser Auseinandersetzung keine Gewinner geben kann. Er zeigt aber auch sehr anschaulich, wie Menschen sich in diesem Konflikt eingerichtet haben, wie eine Familie versucht, zusammenzuhalten und Wege zu finden, sich zu versöhnen. Und er zeigt die Reise eines Protagonisten, der zu sich selbst findet.“

Wie in „Salami Aleikum“ verwendet Ali Samadi Ahadi auch in „45 Minuten bis Ramallah“ unterschiedliche Genres. So fügt Kameramann Wedigo von Schultzendorff zwischendurch dem Spionagefilm entnommene, mit einer insbesondere an das Subgenre des „Rififi“-Filmes gemahnenden Musik unterlegte Bilder in die Handlung ein. Darüber hinaus werden immer wieder kurze Comiczeichnungen eingeblendet. Insgesamt herrscht in Ahadis Film ein durch eine hohe Schnittfrequenz erreichtes flottes Tempo. „45 Minuten bis Ramallah“ setzt aber ebenso auf die unterschiedlichen Brüder, deren verschiedene Temperamente sich sogar in der Anzugsfarbe ausdrücken: Der westlich orientierte, weltgewandte Rafik trägt die meiste Filmzeit einen weißen Anzug. Der bodenständige, traditionell eingestellte und eher naive Jamal, seinen schwarzen Hochzeitsanzug. Die von der deutschen Schauspielerin Julie Engelbrecht mit blondiertem Haar und starkem Akzent verkörperte Russin Olga spielt ebenfalls gekonnt mit klischeehaften Vorstellungen.

Wählten die eingangs erwähnten Filme von Hany Abu-Assad und Eran Riklis einen realistischen Ton, in dem sich allerdings hin und wieder ein eher unterschwelliger Humor Bahn brachte, so setzt Ahadi auf einen teilweise an die Klamauk-Grenzen gehenden, absurden Humor. Dadurch führt der deutsch-iranische Regisseur dem Zuschauer die alltägliche Absurdität der Situation im Nahen Osten vor Augen. Eine so groteske Situation, dass ihr lediglich mit den Mitteln der Satire beizukommen zu sein scheint.
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