THE WOLF OF WALL STREET | The Wolf of Wall Street
Filmische Qualität:   
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Rob Reiner, Jean Dujardin, Kenneth Choi
Land, Jahr: USA 2013
Laufzeit: 180 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X++, D++
im Kino: 1/2014
Auf DVD: 6/2014


José García
Foto: Universal

Martin Scorsese verdeutlicht gleich zu Beginn seines Filmes „The Wolf of Wall Street“ die menschenverachtende Haltung der jungen Börsenmakler, die er porträtiert: In einem Großraumbüro werfen krakeelende Männer einen Zwerg mit Helm als lebenden Dartpfeil auf eine große Zielscheibe, in deren Mitte das Dollar-Zeichen prangt. Die solche „Späße“ veranstaltende Firma gehört dem charismatischen Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) und handelt offenbar mit Wertpapieren. Regisseur Scorsese interessiert sich jedoch kaum dafür, womit Belfort und seine Firma Geld verdienen. Wichtig ist es ihm offensichtlich lediglich, dass Belfort Geld, sehr viel Geld verdient. Im Mittelpunkt seines Filmes steht, wofür er diese Unmengen Geld ausgibt: ein riesiges Haus, ein Ferrari („weiß wie der von Don Johnson in Miami Vice“), eine überdimensionierte Yacht ... vor allem aber Drogen- und Sexorgien. In ebenso menschenverachtender Manier stuft Jordan Belfort aus dem Off bezüglich ihres „Warenpreises“ die Prostituierten ein, die nach dem Zwergenwerfen massenweise in den fabrikartigen Büroraum strömen.

Basierend auf den Memoiren des 1962 geborenen Jordan Belfort (jordanbelfort.com/about-jordan/), die er nach dem Verbüßen einer 22-monatigen Gefängnisstrafe verfasste, erzählt „The Wolf of Wall Street“ vom Aufstieg und Fall eines New Yorker Börsenmaklers Mitte/Ende der achtziger Jahre. Der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Belfort macht schnell Karriere. Seine Börsenmakler-Lizenz erhält der junge Mann jedoch ausgerechnet am Tag des schlimmsten Börsenkrachs nach 1929, dem 19. Oktober 1987 („Schwarzer Montag“). Eher zufällig entdeckt er sein „Geschäftsmodell“: Einfachen Menschen Illusionspapiere zu verkaufen – Aktien, deren Wert zuerst künstlich nach oben getrieben und dann ins Bodenlose fallen gelassen wird. Durch die horrend hohe Provision verdienen Belfort und seine Kumpane, darunter sein ehemaliger Nachbar und inzwischen bester Freund Donnie (Jonah Hill), sehr schnell sehr viel Geld. Seine Firma „Stratton Oakmont“ entwickelt sich ebenso rapide mit mehr als tausend beschäftigten Börsenmaklern zu einem der größten Brokerunternehmen der Vereinigten Staaten. Bald aber beginnen Beamte des FBI und der Börsenaufsichtsbehörde SEC („Securities and Exchange Commission“), gegen Belforts Firma zu ermitteln.

Was sich in dieser kurzen Zusammenfassung wie eine klassische Drei-Akt-Handlung liest, inszeniert Martin Scorsese jedoch als ein Reigen von immer wiederkehrenden Orgien, in dem eine herkömmliche Handlung kaum auszumachen ist. Das Drehbuch von Terence Winter, der sich als Autor der Mafia-Fernsehserie „Die Sopranos“ (1999–2007) einen Namen machte, erinnert darüber hinaus eher an eine Mafia- als an eine Börsenmakler-Geschichte. Die Aufnahmen von Kameramann Rodrigo Prieto werden von Thelma Schoonmaker zu einem Bilderfeuerwerk zusammengeschnitten, bei dem es eigentlich keinen Höhepunkt gibt – der ganze Film ist ein einziger dreistündiger Bilderrausch, der deshalb auch bald ermüdet. Und der vor allem den für einen so langen Film erstaunlich dünnen Inhalt zu kaschieren versucht.
Denn die Quintessenz des Belfort-Systems bietet „The Wolf of Wall Street“ in einem frühen Dialog, in dem der junge Börsenmakler von seinem erfahrenen Mentor Mark Hanna (Matthew McConnaughey) aufgeklärt wird: Ziel des Börsenmaklers sei es nicht, am Gewinn seiner Kunden teilzunehmen. Sein einziges Bestreben bestehe darin, möglichst viel Geld aus dem Konto seiner Kunden in die eigene Tasche wandern zu lassen. Wie das möglich sei? Indem er sich der Gier bediene, die allen Menschen eigen sei. Damit ist auch das Stichwort gefallen, das in Oliver Stones „Wall Street“ (1987) eine zentrale Rolle spielte. Das Credo der Hauptfigur in Stones Film, des von Michael Douglas verkörperten Gordon Gecko, lautete: „Die Gier ist gut“. Weiter geht Martin Scorsese in seinem Film allerdings nicht. Denn er zeigt lediglich, was sich derjenige alles leisten kann, der sich die Gier seiner Kunden zunutze machen kann. Dass es bei Belforts Geschäfte nicht mit rechten Dingen zugeht, deutet Scorsese hier und da an: Eine Firma, deren Aktien Jordan Belfort als Geheimtipp anpreist, sitzt in einer baufälligen Baracke. Der junge Mann besitzt Unsummen von Bargeld, die er in die Schweiz verschiebt. In „The Wolf of Wall Street“ ist aber in keinem Augenblick die Rede vom Schaden in Höhe von mehr als 200 Millionen US-Dollar, die Anlegern entstand. Für die geschädigten Menschen zeigt Scorseses Film überhaupt kein Interesse. Darüber hinaus kann „The Wolf of Wall Street“ als sexistischer Film bezeichnet werden, der in ermüdenden Wiederholungen immer wieder weibliche Körper zur Schau stellt. Denn an der Handlung haben Frauen überhaupt keinen Anteil. Sie sind nur dazu da, um meistens für Geld männliche Triebe zu befriedigen.
Nachdem sich „The Wolf of Wall Street“ drei Stunden lang in der Sex- und Drogen-Kloake gesuhlt hat, lässt der Film in den letzten Minuten einen offensichtlich geläuterten Jordan Belfort erscheinen. Eine Antwort auf die Frage, was im Laufe der 22 Monate langen Gefängnisstrafe im Innern dieses Menschen passiert ist, bleibt jedoch Martin Scorsese dem Zuschauer schuldig. Das ist sehr schade: Sein Film hätte eine Läuterungsgeschichte erzählen können und ist in der Jauchegrube stecken geblieben.
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