MEINE SCHWESTERN | Meine Schwestern
Filmische Qualität:   
Regie: Lars Kraume
Darsteller: Jördis Triebel, Nina Kunzendorf, Lisa Hagmeister, Stephan Grossmann, Ernst Stötzner, Angela Winkler, Béatrice Dalle
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 88 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 2/2014
Auf DVD: 6/2014


José García
Foto: Alamode

Die 30-jährige Linda (Jördis Triebel) leidet an einem schweren angeborenen Herzfehler, der zu ihrem Tod nach einer komplizierten Operation führt. So beginnt Lars Kraumes „Meine Schwestern“. In Rückblenden erzählt der Film vom letzten Wochenende, das Linda mit ihren beiden Schwestern verbringt, mit Katharina (Nina Kunzendorf), die als Älteste schon immer gegenüber Linda die Beschützerrolle übernahm, und Clara (Lisa Hagmeister), die sich als Jüngste häufig von den beiden Älteren ausgeschlossen fühlt. Gemeinsam fahren sie von Hamburg nach dem Ort ihrer Kindheit an der Nordsee und weiter nach Paris. Sie entdecken ihre trotz allem Streit tiefe Vertrautheit neu. Über alle Unterschiede hinweg eint sie ein festes Band.

Eine ausgewogene Mischung aus hintergründigem Humor und einer gewissen Rauheit in der Beziehung zwischen den Schwestern sowie drei hervorragend spielende Darstellerinnen verhindern, dass Kraumes Film zu einem Rührstück wird. „Meine Schwestern“ versprüht keine Sentimentalität, sondern ein unbändiges Gefühl, das Leben mit geliebten Menschen zu teilen. Die Einfachheit, mit der über die wichtigen Dinge des Lebens geredet wird, und die authentische Geschwister-Beziehung berühren zutiefst. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Filmen, die sich mit dem Sterben beschäftigt, zeigt „Meine Schwestern“ eine deutliche Öffnung zur Transzendenz. Lars Kraumes Film weicht der Frage „Was kommt nach dem Tod“ nicht aus.


Interview mit Regisseur Lars Kraume und Hauptdarstellerin Jördis Triebel

Wie kamen Sie auf dieses Thema einer jungen Frau, die weiß, dass die nicht lange leben wird?

Lars Kraume: Die Krankheit „Transposition der großen Gefäße“ kannte ich von einem Cousin, der mit 25 Jahren gestorben ist. Bei diesem angeborenen Herzfehler sind die Venen und Arterien vertauscht, so dass eine Zirkulation nicht möglich ist. Heute allerdings ist die Krankheit relativ leicht zu behandeln, so dass die Kinder ein relativ normales Leben führen können.

Jördis Triebel: Lars (Kraume) erzählte uns von dieser Filmidee auf der Berlinale 2008. Es geschieht leider sehr selten, dass wir Schauspieler in der Drehbucharbeit involviert sind. Das konnten wir hier tun: Wir haben uns 2008 zum ersten Mal getroffen. In München haben wir Schauspielerinnen mit der Drehbuchautorin und dem Regisseur zwei Tage lang ganz intensiv an der Figurenentwicklung gearbeitet. Zum Beispiel wollte Lars nicht, dass wir nach Paris fahren, weil es ihm zu klischeehaft vorkam. Aber wir haben darauf bestanden, einen Höhepunkt für den Film zu finden – in Paris.


Wie haben Sie sich in eine junge Frau hineinversetzt, die wenig Zeit zu leben hat?

Jördis Triebel: Lars erzählte uns von seinem Cousin, der mit dieser Krankheit geboren wurde. Ich fand es sehr interessant, dass er trotz seiner begrenzten Möglichkeiten immer wieder aus seinem behüteten Leben ausbrach, einfach leben und Dinge tun wollte, die er eigentlich nicht durfte. Er war ein lebenslustiger und starker Mensch. Durch einen befreundeten Arzt habe ich außerdem die Möglichkeit gehabt, mit drei Betroffenen Kontakt aufzunehmen, die bereit waren, mit mir darüber zu sprechen. Ich war dabei sehr nervös, weil ich sehr persönliche Fragen stellen wollte: Wie ist es, wenn man weiß, dass man nicht viel Zeit hat? Wie ist es, eine Familie zu gründen, Zukunftsträume zu haben? Mich interessierte auch zu erfahren, wie der körperliche Zustand ist. Wie lebt sich das? Ich habe mit einem Mann und zwei Frauen gesprochen. Erstaunlicherweise waren sie sehr froh, darüber zu sprechen, weil in der eigenen Familie das Reden darüber sehr belastet ist. Ich durfte alles fragen. Das hat mich sehr berührt.


Als Regisseur lassen Sie allerdings den Zuschauer nicht im Unklaren, dass Linda sterben wird. Warum haben Sie den Film als Rückblende erzählt?

Lars Kraume: „Meine Schwestern“ ist sehr minimalistisch und sehr sachlich. Er baut darauf auf, dass der Zuschauer mit diesen Menschen Zeit verbringt. Dadurch, dass man weiß, dass Linda sterben wird, besitzt jeder Moment ein besonderes Gewicht: Es ist das letzte Mal, dass sie in die Disco geht. Es ist das letzte Mal, dass sie mit ihren Schwestern wirklich reden kann. Hätte der Tod am Ende gestanden, hätte ich es als deprimierendes, tragisches Ende ohne Hoffnung empfunden. Ich habe ihn an den Anfang gesetzt und mit einer Off-Stimme aus dem Jenseits gepaart und dadurch den religiösen Aspekt unterstrichen, den Linda durchaus hat. Denn sie geht mehrfach in Kirchen und setzt sich mit ihrem Glauben auseinander, beispielsweise in der Szene in Sacré-Cœur, oder als sie den Onkel fragt, ob er an Gott glaubt.

Jördis Triebel: Das Verrückte ist, dass Linda im Drehbuch gar nicht gestorben war. Das Ende blieb offen, denn der Film sollte mit der Operation enden, ohne deren Ausgang zu kennen. Am letzten Drehtag meinte jedoch Lars: „Ich wollte Dich fragen, ob wir es so drehen können, dass sie stirbt“. Weil es in der Tat sehr schrecklich gewesen wäre, wenn der Tod am Ende gestanden hätte, wurde diese Szene im Schnitt an den Anfang gesetzt. Dadurch bekam der Film auch eine ganz andere Spannung. Als wir gedreht haben, war das Ende allerdings immer offen.


Sie sprachen vorher von den religiösen Aspekten des Filmes. In den allermeisten heutigen Filmen, die sich mit dem Sterben beschäftigt, wird die Frage des Glaubens, des „Was kommt danach“, einfach ausgeklammert.

Lars Kraume: Ich bin Katholik und ich kann keinen Film über den Tod drehen, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ohne über meinen Glauben nachzudenken. Natürlich ist jeder Filmemacher anders und hat eine andere Beziehung zur Religion. Wenn man nicht an Gott glaubt, fließt dies auch in seine Filme ein. Mir war es wichtig, dass diese Figur glaubt, und dass es dieses Motiv im Film gibt. Es sind nicht nur die Kirchen, die sie besucht. Auch in dem einen Hotelzimmer sind Engel unter den Fresken zu sehen. Es war mir ein wichtiges Element, das sich durch den Film zieht.

Jördis Triebel: Ich glaube, es geht ihr weniger um die Frage, was nach dem Tod kommt. Aber wenn man in diese Kirche kommt, dann spürt man: Es gibt irgendetwas Großes, etwas Heiliges, weil es so beeindruckend ist. Es war ein großes Glück, dass wir überhaupt in der Kirche drehen durften. Wir hatten die Erlaubnis, um fünf Uhr morgens, für eine halbe Stunde flüsternd drehen zu dürfen. Um uns herum wurde gebetet und mit Lars verständigten wir uns nur über Handzeichen.


„Meine Schwestern“ zitiert Tolstois „Anna Karenina“-Anfang: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich“. Die drei Schwestern ist allerdings eher ein Tschechow-Motiv ... Von drei Schwestern handelt außerdem Woody Allens „Hannah und ihre Schwestern“ (1986).

Lars Kraume: Ja, natürlich haben alle daran gedacht, dass der Film mit Tschechow zu tun haben könnte. Aber außer der Parallele, dass es sich um drei Schwestern handelt, hat der Film mit dem russischen Autor nichts gemeinsam. Allerdings war durch Tschechow der Titel „Drei Schwestern“ schon besetzt (lacht). „Hannah und ihre Schwestern“ ist ein toller Film, den ich sehr mag, weil das Verhältnis untereinander großartig gezeigt wird. Auch mein Film verdeutlicht das Verhältnis unter den Schwestern: Jede der drei hat ihre Geschichte, aber diese Geschichten werden überlagert vom Sorgenkind in der Mitte.


Dachten Sie als Hauptdarstellerin bei der Entwicklung Ihrer Rolle an solche frühere fiktionale Geschichte mit einer ähnlichen Schwesternkonstellation?

Jördis Triebel: In dem Fall überhaupt nicht. Aber es ist interessant, dass Sie es sagen, weil es stimmt. Letztendlich ist es in Familien so, dass die Älteste schnell vernünftig werden soll. Bei meinem ältesten Sohn geht es auch so. Ich sage auch zu ihm: „Du bist schon groß. Zeig’ dem Kleinen, dass Du es richtig machst“. Es wirkt wie ein Klischee, aber man kann jeden Fragen: Warst Du Einzelkind, bist Du das mittlere Kind, das Nesthäkchen?


„Meine Schwestern“ hat auch viele lustige Momente.

Lars Kraume: Eine solche Geschichte kann auch wahnsinnig kitschig werden. Ich habe versucht, ihn sehr sachlich und unaufgeregt zu erzählen. Der Humor war ganz wichtig. Letztendlich ist es ein Film über das Leben. Es geht darum, dass man Zeit mit Menschen bewusster lebt, die man liebt. Weil der Film über das Leben geht, muss er auch Spaß machen.
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