ZWISCHEN WELTEN | Zwischen Welten
Filmische Qualität:   
Regie: Feo Aladag
Darsteller: Ronald Zehrfeld, Mohsin Ahmady, Saida Barmaki, Abdul Salam Yosofzai, Felix Kramer, Burghart Klaußner
Land, Jahr: Deutschland 2013
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 3/2014
Auf DVD: 9/2014


José García
Foto: Majestic

Bundeswehr-Offizier Jesper (Ronald Zehrfeld) kehrt nach dem Tod seines Bruders nach Afghanistan zurück. Von Oberst Haar (Burghart Klaußner) erhält er den Auftrag, mit seiner Truppe einen Außenposten nahe einem kleinen Dorf vor den Taliban zu schützen. Mit Hilfe des Dolmetschers Tarik (Mohsin Ahmady) versucht Jesper, das Vertrauen der verbündeten afghanischen Milizen und der Dorfgemeinschaft zu gewinnen. Immer wieder stellt es sich aber heraus, dass die Unterschiede zwischen beiden Welten einfach zu groß sind. Irgendwann einmal gerät Hauptmann Jasper in einen Konflikt zwischen seinem Gewissen und seinen Befehlen – mit verheerenden Folgen.

Neben Jespers Schwierigkeiten, zu einer Verständigung mit der afghanischen Bevölkerung zu kommen, handelt „Zwischen Welten“ insbesondere auch von den Gefahren, denen die für die ausländischen Streitkräfte arbeitenden Afghanen ausgesetzt sind. Regisseurin Feo Aladag bestand darauf, vor Ort in Afghanistan zu drehen. Über die wunderbaren Bilder von Kamerafrau und Mit-Drehbuchautorin Judith Kaufmann hinaus sorgt diese Entscheidung für eine besondere Authentizität. „Zwischen Welten“ stellt dringende Fragen im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan, aber auch mit dem bereits beschlossenen Abzug der deutschen Truppen sowie mit dem Schicksal der für die Deutschen arbeitenden Einheimischen, die von den Taliban als Verräter angesehen werden.


Interview mit Regisseurin Feo Aladag und Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld


Wie sind Sie auf den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als Thema für Ihren Film gekommen?

Feo Aladag: Es gab mehrere Auslöser. 2002 sah ich in der Tagespresse ein Foto mit einem deutschen Soldaten in Kampfuniform. Durch seine Haltung und seine Ausrüstung wirkte er auf mich irritierend. Ich fragte mich, wo wir in Deutschland auf einer Skala des Selbstverständnisses einer kämpfenden Armee, eines sterbenden oder tötenden Soldaten, stehen. In meinem Freundeskreis war der Einsatz damals natürlich Gesprächsthema. Viele waren gegen ihn. Ich habe versucht, mich hineinzudenken: Wie fühlt sich der einzelne Mensch? Fühlt er sich als Randgruppe, nicht gesehen in dem, was er leistet? Wie fühlt es sich, wenn ich die Familie zurücklasse und für etwas kämpfe, wofür ich vielleicht politisch nicht dahinterstehe, aber wohin mich die Armee schickt? Als ich im Zuge der Recherchen für „Die Fremde“ die Scharia las, stieß ich sehr schnell auf Afghanistan.


Herr Zehrfeld: Was hat Sie bewogen, die Rolle des Offiziers Jesper zu übernehmen?

Ronald Zehrfeld: In der Behandlung dieses Bundeswehreinsatzes gibt es ein spürbares Defizit in unserer Gesellschaft. Unsere Aufgabengebiete im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen sind in den letzten Jahren andere geworden. Als stärkste Exportnation hat die Bundesrepublik politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten, aber auch Verpflichtungen, die sich verändert und verschoben haben. Meine Motivation war, dass ich kaum etwas über Afghanistan wusste. Hätte ich Feo Aladag nicht getroffen, wusste ich genauso wenig wie vorher.


Wie haben Sie sich bei der Komplexität der Lage in Afghanistan auf den Film vorbereitet?

Feo Aladag: Ich bin sehr früh nach Afghanistan gefahren. Ich wollte mich nicht auf eine journalistische Tour beschränken, sondern auch sehen, wie die Bundeswehr afghanische Einsatzkräfte ausbildet, wie sie mit den Belgiern und den Amerikanern kooperiert. Für die Recherche habe ich viele Gespräche geführt. Ich habe es parteiübergreifend getan, um weder als Einzelperson noch als Filmemacherin instrumentalisiert werden zu können. In Afghanistan tut sich eine andere Welt auf. Wenn ich den Grad der Zerstörung, der Traumatisierung der Menschen nach so vielen Jahrzehnten, aber auf der anderen Seite deren Lebensfreude und Neugierde sehe, frage ich mich: Wie können deutsche Soldaten mit ihnen interagieren, wenn beide Systeme zulassen, dass man sich aufeinander einlässt?

Ronald Zehrfeld: Ich habe versucht, alles wie ein Schwamm aufzusaugen. Uns standen Matthias Kock als interkultureller Berater und Hauptmann a.D. Martin Lang als Bundeswehrberater zur Verfügung. Wir haben uns zunächst die grundlegenden Fragen erarbeitet: die geostrategische Bedeutung Afghanistans, die Geschichte der letzten Jahrzehnte mit den Engländern und mit den Russen. Die Grenzen, wie wir sie in Europa verstehen, sind nicht übertragbar auf Afghanistan. Dort gibt es andere Ebenen. Seit Jahrzehnten sind verschiedene politische Systeme am Werk, die sich positionieren und ihren Einfluss gewahrt wissen wollen.


An einigen Szenen verdeutlicht „Zwischen Welten“, dass dem Offizier die Hände gebunden sind. Wie reagiert man in einer solchen Situation?

Ronald Zehrfeld: Wie Sie es beschreiben, entsteht das Gefühl, dass man handeln möchte, aber nicht weiß, wie. Genau dieser Konflikt spiegelt wider, wie komplex die Situation dort ist. Deswegen braucht man Zeit. Auch wenn die Armee abzieht, darf man das Land jetzt nicht hängen lassen. Es geht darum, dem Land zu helfen, in der Wirtschaft, in Bildung und Kultur eine Perspektive zu haben. In unserem Film kann man etwa Frauen sehen, die studieren oder als Erzieherinnen arbeiten. Sie sind vielleicht die Architekten der Zukunft, die dieses Land wieder aufzubauen werden. Die junge Generation ist bereit, dafür ihr Leben aufs Spiel zu setzen.


Der Film bringt in der Figur des Dolmetschers Tarik eine kaum bekannte Problematik zum Ausdruck: Menschen, die dem Westen helfen, und deshalb ihr Leben riskieren. War das auch für Sie etwas Neues?

Ronald Zehrfeld: Während der Vorbereitung hatte ich davon gehört, aber ich wusste nicht, wie akut diese Gefahr ist. Die Amerikaner, die Norweger... holen ihre Dolmetscher aus dem Land; bei den Deutschen gestaltet sich das ganze etwas komplexer. Allerdings besteht das Ziel des Auftrags nicht darin, alle aus diesem Land herauszuholen. Das eigentliche Ziel sollte es sein, dass sich der Dolmetscher sicher fühlt. In unserem Film sagt Tarik: „Wenn ich mich sicher fühlen würde, ich würde niemals weggehen wollen“. Damit geraten wir in eine andere Betrachtungsweise und sehen, dass unser Auftrag nicht erfüllt ist, weil das Land nicht stabilisiert ist.


Im Film gerät Hauptmann Jesper in einen Gewissenskonflikt. Zeigt der Film nicht auf eine subtile Art und Weise genügend alltägliche Konflikte? Ist eine solch radikale Entscheidung nötig?

Feo Aladag: Es geht um eine universelle Frage. Wo liegt meine finale Entscheidungsinstanz – bin ich in meinem Verantwortunsgempfinden letztlich dem System, aus dem heraus ich agiere und dessen Regeln verpflichtet oder aber meinem eigenen Gewissen? Das ist auch eine sehr deutsche Frage: Seit 1945 leisten deutsche Soldaten ihren Eid nicht ausschließlich auf den Befehl, sondern auch auf das eigene Gewissen als letzte Entscheidungsinstanz. Ich finde es einen beachtlichen Ansatz für eine Armee, dass das eigene Gewissen der letzte Entscheidungsträger ist. Es ist eben auch eine Aussage auf der politischen oder menschlichen Metaebene: Wenn man sich in derart komplexen Gefilden bewegt, kommt man nicht umhin, in solche Konflikte zu geraten.

Ronald Zehrfeld: Hauptmann Jesper merkt, dass er in Grenzbereiche kommt, wo es zwischen der Befehlsstruktur und seinem eigenen Gewissen eine Diskrepanz gibt. Manchmal braucht man sofort eine Entscheidung. Die Menschen brauchen das Krankenhaus, die Schule usw. Wenn wir alle möglichen Gremien fragen müssen, wohnt keiner mehr dort, der auf die Schule gehen könnte, wenn die Entscheidung getroffen ist.


Wäre schon ein wichtiger Schritt, den Film in Afghanistan zu zeigen und die Reaktion vor Ort zu sehen?

Ronald Zehrfeld: Absolut. Dann erst wäre der Film ein kleiner Beitrag. Wir haben einen kleinen Samen gesetzt, aber in den ersten Jahren kann diese Pflanze zertreten werden, ehe der Baum Schatten spendet und Früchte trägt. Dazu braucht man Zeit. Im Film wird ein afghanisches Sprichwort zitiert: „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit“. Wir müssten uns auch Zeit nehmen.

Feo Aladag: Ich möchte den Film auf jeden Fall in Kabul sowie in Mazar-i-Sharif zeigen, wo uns viele Menschen geholfen haben. So haben sie auch die Möglichkeit, sich auf der Leinwand zu sehen. Beim Ökumenischen Filmfestival Recklinghausen lief „Zwischen Welten“ als Eröffnungsfilm. Dort haben ihn einige Afghanen gesehen, die nach dem Film sehr glücklich waren, dass wir diese Fragen stellen und ihre Geschichte erzählen.
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