DEINE SCHÖNHEIT IST NICHTS WERT | Deine Schönheit ist nichts wert
Filmische Qualität:   
Regie: Hüseyin Tabak
Darsteller: Abdukkadir Tuncer, Nazmi Kirik, Lale Yavas, Orhan Yildirim, Milica Paucic, Yüsa Durak, Susi Stach, Mustafa Tekeli, Magdalena Kronschläger
Land, Jahr: Österreich 2012
Laufzeit: 85 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2014


José García
Foto: barnsteiner-film

Der zwölfjährige Veysel (Abdukkadir Tuncer) lebt mit seiner türkisch-kurdischen Familie seit einem halben Jahr in Wien. Weil der introvertierte Junge noch kein Wort Deutsch gelernt hat, fühlt er sich in der Schule isoliert. Die Lehrerin (Susi Stach) betrachtet ihn nur noch als einen Problemschüler und würde ihn am liebsten in eine Sonderschule schicken. Zuhause ist die Lage auch nicht gerade rosig: Der Vater (Nazmi Kirik) verbrachte als kurdischer Freiheitskämpfer mehrere Jahre in den türkischen Bergen und saß dann einige Zeit im Gefängnis – was auch der Grund dafür ist, dass er in Österreich um politisches Asyl gebeten hat. Die lange Abwesenheit des Vaters führte zu einer Entfremdung des älteren Bruders Veysels, des 18-jährigen Mazlum (Yüsa Durak), der von zuhause weggelaufen ist und sich mit Halbkriminellen herumtreibt. Als der Konflikt zwischen dem Vater und Mazlum zu Handgreiflichkeiten eskaliert, kommt es auch zum Streit zwischen Veysels Vater und Mutter (Lale Yavas).

All diese Probleme und Konflikte drohen den 12-Jährigen zu erdrücken, wären da nicht seine hoffnungsvollen Tagträume, in denen er zu seiner Klassenkameradin Ana (Milica Paucic) flüchtet – die von Veysels Liebe jedoch zunächst keine Notiz nimmt. Als die Lehrerin den Schülern aufträgt, ein Gedicht vor der Klasse vorzutragen, entscheidet sich der Junge für das Liebesgedicht „Deine Schönheit ist nichts wert“ des berühmten türkischen Dichters Asik Veysel, nach dem er selbst benannt wurde. Um das Gedicht ins Deutsche zu übersetzen, bittet er seinen kratzbürstigen Nachbarn Cem (Orhan Yildirim), einen in Wien geborenen und aufgewachsenen Türken, um Hilfe. Unter größten Anstrengungen lernt Veysel das Gedicht auf Deutsch. Schließlich möchte er damit vor allem Ana beeindrucken. Doch es kommt alles anders: Plötzlich wird Veysels Bruder wegen Drogenhandels zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Mit dem Asylgesuch von Veysels Vater steht auch nicht besonders gut. Wenn der 12-Jährige gut in der Schule sei, könnte das eine Hilfe sein, erklärt dazu die Sozialarbeiterin (Magdalena Kronschläger). Andernfalls droht die Abschiebung. Dass dies keine leere Warnung ist, erfährt auch Veysel, als in der Nachbarschaft mitten in der Nacht eine Familie von der Polizei abgeholt wird, und damit auch Veysels Träume zu zerplatzen drohen.

Drehbuchautor und Regisseur Yüseyin Tabak setzt in seiner an der Wiener Filmakademie entstandenen Abschlussarbeit „Deine Schönheit ist nichts wert“ auf den Kontrast zwischen den Tagträumen des 12-Jährigen und seiner harten Wirklichkeit. Bereits in der ersten Szene des Films zeigt er einen dieser ins helle Sonnenlicht getauchten Träume, in dem Veysel Ana eine rote Rosa schenkt, und gar nicht mitbekommt, wie Anas Vater auf ihn einredet. Später werden ähnliche Träume wiederkehren. Dazu führt Yüseyin Tabak aus: „Kinder träumen sehr viel. Ich meine damit, dass sie sich als Tagträumer sehr viele Sachen vorstellen. Nach ein paar Wochen wissen sie dann nicht mehr, ob sie sich etwas vorgestellt haben oder ob es wirklich so war. Ihre Wünsche und Vorstellungen sind sehr stark. Deshalb beginnt der Film mit der Erfüllung seines innigsten Wunsches. Dann folgt die Wirklichkeit, er muss nachts allein auf offener Straße und bei Kälte seinen Bruder suchen. Mit diesem Kontrast wollte ich gleich zu Beginn die Situation des Jungen erzählen, sodass die Zuschauer von Anfang an bei ihm bleiben. Dies wäre mit einem rein realistischen Einstieg für einen Film, in dem die Poesie eine große Rolle spielt, schwieriger gewesen.“

Der Film erzählt konsequent aus der Sicht der 12-jährigen Hauptfigur. Obwohl der Film auch über die Schwierigkeiten der Migranten erzählt – besonders erschütternd wirkt dabei etwa die Szene, in der Veysel die Verantwortung für die Entscheidung über den Asylantrag seines Vaters aufgebürdet wird, weil sie von seinen Schulzensuren abhängen soll –, steht dies nicht im Mittelpunkt von „Deine Schönheit ist nichts wert“. Dazu der kurdischstämmige Wiener Regisseur: „Ich wollte weder einen Flüchtlings- noch einen Immigrationsfilm machen. Für mich ist es ein österreichischer Liebesfilm, wie er durch die Verhältnisse in diesem Land zustande kommen kann. Ich wollte so viel Normalität wie möglich reinbringen, ohne mit dem Finger auf Missstände zeigen zu wollen“.

Zwar spielt die Identitätsfrage naturgemäß eine bedeutende Rolle. Der Film richtet jedoch sein Hauptaugenmerk auf die Entwicklung und die ganz „normalen“ Konflikte eines 12-Jährigen, etwa auf seine erste Liebe und die Probleme innerhalb der Familie. „Deine Schönheit ist nichts wert“ lebt vor allem von seinem jungen Darsteller. Der Film erzählt nicht nur aus seiner Sicht. Darüber hinaus ist Abdulkadir Tuncer als Veysel in so gut wie jeder Szene zu sehen. Er trägt den ganzen Film auf wunderbare Weise. Mit großen Augen nimmt er eine beobachtende Haltung ein, die zu seiner Sprachlosigkeit passt. Wenn er sich aber ein Ziel gesetzt hat, dann zeigt er auch seine ganze Entschlossenheit. Die Sprachlosigkeit teilt Veysel mit seinem von Nazmi Kirik verkörperten Vater. Dass er am Ende endlich mit seinem Sohn sprechen kann, wirkt als große Befreiung und als Hoffnungsschimmer in einem Film ohne herkömmliches Happy End.
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