|
||||||||||||||||||||
José García Foto: farbfilm ![]() Zwar handelt Pierre-Henry Salfatis Spielfilm von der Auseinandersetzung des alten Menahem Teitelbaum, der sich jahrzehntelang Marcus Schwartz nannte, mit der eigenen Vergangenheit und seinen Wurzeln. Der letzte Mentsch lebt jedoch eigentlich vom Gegensatz zwischen den beiden Hauptfiguren: Der alte Jude und die junge Deutschtürkin entdecken im Laufe ihrer Reise mehr Gemeinsamkeiten, als sie zunächst vermuten könnten. Denn die beiden sind Grenzgänger zwischen den Kulturen. Obwohl sich auf den ersten Blick die zwei Figuren wie schablonenhafte Charaktere ausnehmen, füllen sie die zwei hervorragenden Schauspieler der inzwischen 83-jährige Mario Adorf und die in ihrer Eigenwilligkeit beeindruckende Neuentdeckung Katharina Derr mit Leben, sodass sie dem Zuschauer ans Herz wachsen. Interview mit Drehbuch-Mitautorin Almut Getto Inwieweit ist die Figur des Marcus Schwartz/Menahem Teitelbaum von der Wirklichkeit inspiriert? Haben Sie beim Schreiben an konkrete Menschen gedacht? Marcus Schwartz steht stellvertretend und beispielhaft für viele Schicksale dieser Art, ist in dieser Geschichte aber natürlich ein rein fiktiver Charakter. Nichtsdestotrotz versucht man ja immer eine Figur zu zeichnen, die es genau so auch im richtigen Leben geben könnte (und wer weiß, vielleicht sogar irgendwo auf dieser Welt auch so gibt). Dabei lässt man sich natürlich auch gerne von konkreten, realen Personen inspirieren. Am Ende soll und will man auf der Leinwand ja einen möglichst authentischen Menschen aus Fleisch und Blut erleben. Einfach Jemanden, den man genauso gut zufällig gerade beim Einkaufen, auf einer Party oder sonst wo getroffen hat. Eine Person, von der man zunächst zwar nicht viel weiß, die man aber durch das, was sie sagt, wie sie handelt und wie sie sich gibt, langsam kennenlernt und schließlich immer besser verstehen und einschätzen kann. Dabei schöpft man als Autor natürlich auch aus dem eigenen Umfeld und Erfahrungsschatz. Am Ende vermischen sich also immer reale und fiktive Aspekte zu etwas ganz Neuem in diesem Fall eben zu Marcus Schwartz alias Menahem Teitelbaum. Zurzeit überwiegen im fiktionalen Bereich Holocaust-Geschichten aus der Sicht der dritten oder sogar vierten Generation. Was bewog Sie, aus der Perspektive eines Überlebenden zu erzählen? Ich finde es sehr schade, dass Geschichten über diese Zeit fast ausschließlich in der Vergangenheit spielen, oder, wenn sie dann mal im Hier und Jetzt angesiedelt sind, aus der Sicht nachfolgender Generationen erzählen werden. Es wundert mich auch. Noch gibt es doch glücklicherweise Menschen, die aus erster Hand berichten können. Wieso erfährt man so wenig darüber, wie sie heute leben und wie beziehungsweise ob sie das Grauen jemals verarbeitet konnten? Mich interessiert das jedenfalls sehr. Es ist doch nicht nur wichtig zu wissen, was damals passiert ist, sondern auch bedeutend zu verstehen, was das aus und mit den Menschen gemacht hat. Tatsache ist, es wird nicht mehr lange dauern, da ist niemand mehr da, den man fragen kann. Wir sollten also die Gelegenheit nutzen, solange sie da ist. Wenn der letzte Überlebende diese Welt dann irgendwann verlassen hat, bleibt noch genug Zeit, aus Sicht der dritten oder vierten Generation zu erzählen. Menahem Teitelbaum verdrängte jahrzehntelang seine Vergangenheit. Nun, da er den Tod nahen sieht, besinnt er sich seiner Wurzeln. Meinen Sie, dass dies typisch für Holocaust-Überlebende ist? Solch ein Akt der Verdrängung hat zunächst ganz grundsätzlich etwas mit der Unfähigkeit einer Seele zu tun, derart traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Vor allem für junge Seelen ist das extrem schwierig bis geradezu unmöglich, und auch Marcus war ja noch ein Kind. Seine Seele musste also regelrecht vergessen, um nicht an dem Erlebten zugrunde zu gehen. Eine Art Selbstschutzfunktion sozusagen, die in der menschlichen Psyche verankert ist und die sich auch bei Kindern findet, die auf die eine oder andere Art schwer missbraucht wurden. Frei nach dem Motto was mir nicht passiert ist, kann mich nicht zerbrechen. Irgendwann kommt allerdings bei den meisten dann doch die Erinnerung zurück, ob sie wollen oder nicht. Und sehr oft passiert das erst viele Jahrzehnte später. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass bei allen Menschen die Erinnerung an die Vergangenheit im Verhältnis zur Gegenwart mit zunehmendem Alter an Realität zunimmt. Da ist ein Ereignis aus der Jugend plötzlich präsenter als das, was gestern war. Auch gemein haben wohl fast alle Menschen diese gewisse, oft schwer zu definierende, Sehnsucht nach Heimat beziehungsweise nach einem Ort, an dem alles gut ist oder wieder gut wird. Egal ob in diesem oder in einem anderen Leben. Diese tiefsitzende Sehnsucht hat auch Marcus, und so bleibt ihm aus verschiedensten Gründen am Ende seines irdischen Lebens gar nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zurück zu seinen Wurzel zu begeben; im wahrsten Sinne des Wortes. Und er muss sich erinnern, um anzukommen. An einer Stelle heißt es, die Aufnahmen von Spielbergs Shoah-Stiftung seien inszeniert. Ist dies eine private Meinung von Menahem Teitelbaum? Wie stehen die Drehbuchautoren zu dieser Aussage? Es heißt nicht, die Szenen seien inszeniert. Marcus befürchtet lediglich, dass aufgrund der Tatsache, dass Spielberg jemand ist, der mit fiktiven Stoffen berühmt wurde, irgendwann, wenn keiner mehr da ist, der das Gegenteil bezeugt, Menschen behaupten könnten, dass auch das dokumentarische Material am Ende nur eine inszenierte Wahrheit ist. Ich denke, Marcus hat einfach Angst, dass dann seine persönliche Geschichte und die Würde der Opfer auf eine gewisse Art entweiht werden könnten. Er will sie also nur nicht erzählen, um sie zu schützen. Vor allem vor den Ewig Gestrigen, die ja leider nach wie vor behaupten, dass der ganze Holocaust eine Lüge sei. |
||||||||||||||||||||
|