WUNDERSAME KATZENFISCH, DER | Los insólitos peces-gato
Filmische Qualität:   
Regie: Claudia Sainte-Luce
Darsteller: Ximena Ayala, Lisa Owen, Sonia Franco, Wendy Guillén, Andrea Baeza, Alejandro Ramirez Muñoz
Land, Jahr: Mexiko 2013
Laufzeit: 89 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2014
Auf DVD: 11/2014


José García
Foto: Arsenal

Ein Zufall kann ein Leben verändern. Davon, dass eine Zufallsbekanntschaft ein Menschenleben in eine ganz neue Richtung lenken kann, handelt der Spielfilm der mexikanischen Regisseurin Claudia Sainte-Luce „Der wundersame Katzenfisch“ („Los insólitos peces gato“), der beim Filmfest Locarno 2013 den Junior Jury Award gewann und nun im regulären Kinoprogramm anläuft. Im Mittelpunkt von Sainte-Luces Film steht die in Guadalajara, Mexiko allein lebende, 22-jährige Claudia (Ximena Ayala). Offenbar ohne Familie, lebt sie in einer verlassenen Garage neben einer Fabrikhalle. Claudia redet wenig und arbeitet in einem Supermarkt, wo sie einen Stand für Sonderverkaufsaktionen betreut.

Eines Tages spürt sie solche Bauchschmerzen, dass sie sich in ein Krankenhaus begibt. Bei ihr wird eine Blinddarmentzündung diagnostiziert. Nach der Operation lernt sie die etwa 40-jährige Martha (Lisa Owen) kennen, die im Bett nebenan liegt. Woran sie leidet, erfährt Claudia zunächst einmal nicht. Bald wird es sich aber herausstellen, dass Martha AIDS hat. Die beiden Frauen werden gleichzeitig aus dem Krankenhaus entlassen. Da Martha inzwischen ahnt, dass die junge Frau trotz anderslautenden Beteuerungen alleine lebt und sie noch ziemlich geschwächt wirkt, lädt sie Claudia kurz entschlossen zu sich nach Hause ein.

Claudia, die seit langem schon alleine lebt, fühlt sich von Marthas Pachtwork-Familie seltsam angezogen. Marthas vier Kinder stammen von drei verschiedenen Vätern. Die ersten zwei hielten es nicht besonders lange bei ihr aus. Der letzte Mann war HIV-infiziert. Er steckte Martha damit an, die ihn bis zu dessen Tod pflegte. Zwischen Marthas Kindern liegen auch etwa 15 Jahre Unterschied. Die Älteste, Ale (Sonia Franco), versucht während der Krankheit der Mutter deren Platz auszufüllen und die Familie zusammenzuhalten. Dies gelingt ihr jedoch nur begrenzt, weil sich Ale mit Liebeskummer herumplagt. Die mittleren Wendy (Wendy Guillén) und Mariana (Andrea Baeza) könnten unterschiedlicher kaum sein: Spricht Wendy dem Essen gerne zu und besitzt deshalb eine gewisse Leibesfülle, so isst Mariana kaum. Der Jüngste, Armando (Alejandro Ramírez) ist noch Bettnässer. Obwohl Claudia mehrfach versucht, von Marthas Familie Abschied zu nehmen, wird die junge Frau immer mehr in die Familie hineingezogen. Claudia übernimmt auch zunehmend Verantwortung. Sie nimmt etwa Mariana und Armando mit in den Supermarkt, wo sie ihr beim Würstchen-Verkauf helfen. Nach einer feucht-fröhlichen Weihnachtsfeier öffnet sich die eigentlich verschlossene Mariana. So erfährt Claudia, wie sehr sie sich vor dem Tod der Mutter fürchtet. Je schlechter es Martha geht, desto mehr Verantwortung übernimmt Claudia für ihre neue Familie.

Die Kamera von Agnès Godard nimmt meistens eine beobachtende Stellung ein. Hin und wieder kommt sie den Figuren sehr nah. In einer langen Kamerafahrt bewegt sich aber auch einmal eine Spur zu sichtlich durch Marthas Wohnung. Regisseurin Sainte-Luce erzählt allerdings etwas elliptisch – vieles bleibt lediglich angerissen, so etwa auch im Zusammenhang mit anderen Figuren. Der Zuschauer erfährt beispielsweise, dass Claudias Chefin eine lesbische Beziehung zu einer Angestellten unterhält. Oder dass der Sicherheitsmann Samuel ein hilfsbereiter Mensch ist.

Diese beobachtende Einstellung führt auch dazu, dass weder Marthas Krankheitsverlauf noch die Art und Weise, wie ihre Kinder damit umgehen, im Mittelpunkt von „Der wundersame Katzenfisch“ steht. Die zentrale Figur ist und bleibt Claudia. Der Film handelt davon, wie sie in ihre Rolle als Spielgefährtin, Kinderbetreuerin und zuletzt auch als Ersatzmutter eher beiläufig hineingezogen wird.

Dass bei der Auswahl der erlebten komischen und dramatischen Augenblicken eine verklärende Sicht eine Rolle spielt, kann sich der Zuschauer denken. Dazu und zum autobiografischen Gehalt von „Der wundersame Katzenfisch“ – nicht umsonst trägt die Protagonistin denselben Vornamen wie die Regisseurin – erzählt die 1982 geborene Claudia Sainte-Luce, dass sie das Drehbuch nach den Erfahrungen mit einer ähnlichen Familie verfasst habe. Sie führt darüber hinaus aus: „Es ist die Geschichte, an die ich zurückdenke, seit ich mit 22 Jahren Martha in Guadalajara kennengelernt habe, die Geschichte, die meine Laune hebt, wann immer es mir schlecht geht. Wenn ich an diesen Abschnitt meines Lebens zurückdenke, erweitere ich die Fakten und Orte mit verschönernden Details – Marthas altes Sofa habe ich bestimmt viel prächtiger in Erinnerung, als es tatsächlich war, und auf diese Weise möchte ich daran zurückdenken. Die Protagonisten tragen maßgebend zu der Konstruktion dieser ‚falschen’ Erinnerung bei. Ich habe es geschafft, die schönsten und bemerkenswertesten Momente aus unserer gemeinsamen Zeit festzuhalten“.

Claudia Saint-Luces Spielfilmdebüt „Der wundersame Katzenfisch“ handelt von ganz normalen Menschen, deren Verhalten in kein Schwarzweißmuster hineinpasst. Sie haben starke und schwache Seiten, aber sie stehen auch zueinander. Die Regisseurin beobachtet, ohne in Sentimentalitäten abzugleiten und ohne zu urteilen, wie eine zufällige Begegnung das Leben der Menschen verändern kann.
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