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JOSÉ GARCÍA Foto: Concorde ![]() Zu Bess und Selma gesellt sich nun eine dritte Leidensfrau: Grace, die Hauptfigur in Lars von Triers neuem Spielfilm Dogville, der beim diesjährigen Filmfestival Cannes seine Uraufführung erlebte und nun im regulären deutschen Kinoprogramm startet. Wie Bess und Selma ist Grace verletzlich, was in Dogville durch ihre Alabasterhände angedeutet wird. Ein Element, das bereits in Dancer in the Dark eine Rolle spielte, zeichnet von Trier in Dogville noch viel deutlicher: die guten Menschen von der typisch amerikanischen Kleinstadt, die überaus menschenfreundlich wirken ... solange ihre gesicherte Existenz nicht in Gefahr gerät. Dogville heißt der abgelegene Ort in den Rocky Mountains, in den sich etwa in den 1930er Jahren die schöne Grace (Nicole Kidman) vor Gangstern flüchtet. Die fünfzehn erwachsenen Einwohner des Städtchens nehmen sie nach einer von Möchtegern-Schriftsteller Tom Edison (Paul Bettany) einberufenen Versammlung auf. Als Gegenleistung erklärt sich Grace bereit, jedem Einzelnen in der Stadt bei der Arbeit zu helfen. Nachdem aber die Polizei in Dogville nach Grace fahndet, fürchten die braven Bürger um ihre Sicherheit nun verlangen sie von Grace zunächst mehr Arbeit und dann immer mehr. Für Grace beginnt eine stufenweise Erniedrigung, die in sexuellen Übergriffen und einer Kette mit einer Glocke gipfelt, die um ihren Hals gelegt wird. Im Gegensatz zu Bess und Selma verharrt Grace jedoch nicht in der Rolle des geduldigen Opfers. Die Inspiration zu Graces furchtbarer Rache entnahm Regisseur von Trier nach eigenem Bekunden dem Lied Die Seeräuber-Jenny aus Bertolt Brechts Die Dreigroschenoper. Brechts Lied wird sogar in einem Augenblick der Ruhe vor dem Sturm denn auch wörtlich zitiert: Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht. Für die Inszenierung seines neuen Filmwerkes lehnt sich Lars von Trier ebenfalls an Brechts Theater an: dessen Verfremdungseffekt dienen die auf dem grauen Boden mit Kreide markierten Umrisse der Häuser, Straßen und Büsche, die das Städtchen Dogville ausmachen; ein paar Möbelstücke vervollständigen das Bühnenbild, das auf einer großen Halle in Schweden errichtet wurde. Obwohl die Kamerabewegungen und deren Kadrierungen sowie die Schnitte auf der vermeintlichen Theaterbühne ein kinematografisches Werk entstehen lassen, erweckt Dogville den Eindruck, gefilmtes Theater zu sein. Die spröden Bilder, die in dieser kargen Szenerie durch die unruhige Handkamera aufgenommen werden, unterbinden etwa sexuelle Konnotationen bei den Vergewaltigungsszenen. Bei seiner Uraufführung in Cannes wurden Dogville anti-amerikanische Ressentiments vorgeworfen. Sicher geißelt der Film noch stärker als Dancer in the Dark die Vereinigten Staaten, aber Lars von Trier erhebt hier einen universaleren Anspruch: Es geht um die Vereinigten Staaten, aber es könnte auch jede andere Kleinstadt auf dieser Welt sein, erklärt der Regisseur dazu. Dogville ist eine Parabel, die moralische Fragen stellt. Deren Verständnis liegt im Schlussdialog über Vergebung und Rache zwischen Grace und dem Gangsterboss. Im Zusammenhang mit dem Diskurs über Barmherzigkeit führt Konvertit Lars von Trier das Argument der Rechtfertigung und die Frage nach der moralischen Verantwortung der eigenen Handlungen an. In diesem Licht wird die lange Diskussion um Arroganz verständlich: den Menschen, die Grace/Gnade missbraucht haben, die gerechte Strafe zu untersagen, sei nicht barmherzig, sondern arrogant. Die Bestrafung der Bewohner von Dogville nimmt wahrhaft eschatologische Züge an. |
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