NIGHT MOVES | Night Moves
Filmische Qualität:   
Regie: Kelly Reichardt
Darsteller: Jesse Eisenberg, Dakota Fanning, Peter Sarsgaard, Alia Shawkat, Logan Miller, Kai Lennox, Katherine Waterston, James Le Gros
Land, Jahr: USA 2013
Laufzeit: 112 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 8/2014


José García
Foto: MFA +

Der Mittzwanziger Josh (Jesse Eisenberg) arbeitet auf einem Bio-Bauernhof in Oregon. Der Zuschauer erlebt ihn, als der junge Mann etwa die Vorführung eines Ökofilms und die sich daran anschließende Diskussion besucht. Doch Diskussionen über den Zustand der Umwelt sind Josh und seiner Freundin Dena (Dakota Fanning), der Tochter aus reichem Haus mit kritischer Haltung zur etablierten Gesellschaft, längst nicht genug. Sie wollen ein Zeichen gegen die Umweltzerstörung setzen, und entwerfen den Plan, einen Staudamm in der Nähe eines Naturparks zu sprengen. Den dazu nötigen Sprengstoff soll der Ex-Marine Harmon (Peter Sarsgaard) besorgen. Um den Sprengsatz in die Nähe der Staumauer zu platzieren, benötigen sie ein Wasserfahrzeug. Dena kommt für den Kauf sowohl eines Bootes namens „Night Moves“ als auch des für die Sprengung benötigten Ammoniumnitratdüngers auf. Als sie in aller Ruhe gefälschte Papiere vorlegt, um den Dünger in genehmigungspflichtiger Menge zu kaufen, zerstreut sie die anfänglichen Zweifel, die Harmon an ihrem Einsatz hegte. Weitere Probleme entstehen innerhalb der Gruppe, als Harmon und Dena eine Affäre beginnen, was Josh ziemlich eifersüchtig macht.

Dies reißen Regisseurin Kelly Reichardt und ihr Drehbuch-Mitautor Jon Raymond allerdings genauso wie eine weitere Charakterisierung der Figuren oder auch ihrer politischen Ideen lediglich an. Der Zuschauer erfährt wenig von ihnen – außer dass sie sich mit diesem symbolischen Anschlag in Richtung Terrorismus radikalisieren. Untertauchen wollen sie jedoch nicht: Die Tat soll am Wochenende geschehen – am Montag soll für jeden der drei Attentäter das Leben in den gewohnten Bahnen weitergehen. Untereinander wollen sie auch keinen Kontakt mehr halten. Trotz der sorgfältigen Vorbereitungen geht der Plan jedoch schief. Es geschieht ein nicht einkalkuliertes Unglück, das die Aktivisten psychisch und moralisch belastet. Sie müssen sich den Folgen ihrer Tat stellen, was die Rückkehr in den normalen Alltag außerordentlich erschwert.

Die erste Hälfte von „Night Moves“ nimmt sich als Öko-Thriller aus. Regisseurin Kelly Reichardt baut eine genretypische Spannung mittels etwa einer tickenden Zeitbombe oder einer Polizeikontrolle auf, die von einer immer intensiver werdenden Musik bestens unterstützt wird. Dies konterkariert allerdings die Kamera von Christopher Blauvelt, die unheilverheißende Landschaftsaufnahmen einfängt, vor allem aber ein elliptischer Schnitt, der eine der Haupthandlung entgegengesetzte Unaufgeregtheit einführt. Der Film bleibt konsequent bei den drei Figuren. Denn „Night Moves“ stellt sich als ein Drei-Personen-Stück heraus.

Dies wird in der zweiten Filmhälfte noch deutlicher. Was beispielsweise Ermittlungsbeamte unternehmen, interessiert Kelly Reichardt offenkundig nicht. Ihr Film wandelt sich zu einem Psycho-Thriller, der Josh und Dena aus nächster Nähe folgt. Die Kamera fängt vor allem Joshs Reaktionen ein, als er mit den Nachrichten über die Tat und insbesondere mit den Fragen der anderen Bewohner des Bio-Bauernhofs konfrontiert wird. Sie erkundet seine durch die Folgen seines Handels eingetretenen inneren Veränderungen. Josh stellt sich denn auch als der am komplexesten gezeichnete Charakter heraus. Laut der Regisseurin war die Inspiration für diese Figur sehr weitreichend, wozu etwa reale amerikanische Aktivisten bis Terroristen, aber auch der fiktionale Charakter des Raskolnikow aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“ gehören. So erlebt der Zuschauer Joshs Unruhe, seine Gewissensbisse, die ihn in eine Art Schock-Zustand versetzen. Um diesen Zustand zu versinnbildlichen, setzt Kameramann Aufnahmen in Zeitlupe ohne Ton ein. Jesse Eisenberg verstärkt den gebückten Gang und zeigt Anzeichen von Paranoia. „Night Moves“ ist beim Psychodrama angekommen.

Kelly Reichardt und Jon Raymond geht es nicht so sehr um die äußere Handlung, sondern vorwiegend um die psychologischen Folgen des Anschlags. Dafür benötigen Reichardt und Raymond keine langen Dialoge. Sie setzen vielmehr auf eine beobachtende Kamera, die den Protagonisten stets nahe rückt. So kann „Night Moves“ als ein Schauspielerfilm bezeichnet werden: Dakota Fanning und insbesondere Jesse Eisenberg erlauben mit ihren Gesten und ihrer Mimik, dass sich der Zuschauer in ihre Charaktere einfühlt.

Regisseurin Kelly Reichardt widmet sich in ihrem Film der Frage, wie weit Aktivisten – hier: Umwelt-Aktivisten – gehen dürfen, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Zwar liefern Kelly Reichardt und Jon Raymond keine fertigen Antworten auf die Fragen, die ihr Film aufwirft. Dass aber die Radikalisierung von Joss, Dena und Harmon in eine Sackgasse führt, weil sie durch die Vertuschung ihrer Tat zu gewöhnlichen Kriminellen werden, scheint jedoch eine gewisse Richtung vorzugeben. Dazu passt einerseits, dass das Leben auf dem Bio-Bauernhof idealisiert wiedergegeben wird, andererseits aber auch, dass sich „Night Moves“ für die politischen Beweggründe der Umwelt-Aktivisten kaum interessiert. Die darin verhandelten Fragen und der ruhige Erzählrhythmus von „Night Moves“ entfachen eine beträchtliche Wirkung beim Zuschauer – sofern er sich auf dessen langsam dahinfließende Erzählweise einlässt.

„Night Moves“ nahm am Wettbewerb der Filmfestivals von Venedig und Toronto 2013 teil. Beim Festival des Amerikanischen Films in Deauville gewann er den Hauptpreis.
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