DIPLOMATIE | Diplomatie
Filmische Qualität:   
Regie: Volker Schlöndorff
Darsteller: Niels Arestrup, André Dussolier, Robert Stadlober, Burghart Klaußner
Land, Jahr: Frankreich /Deutschland 2013
Laufzeit: 84 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2014
Auf DVD: 2/2015


José García
Foto: Koch Media

„Brennt Paris?“ schallt es aus einem umgestürzten Telefon in einem offenkundig eilig verlassenen Raum. Die Einstellung gehört zu den letzten Szenen im gleichnamigen Film von René Clement („Paris Brule–t–il?“, 1965), während die berühmte Filmmusik von Maurice Jarre ertönt, die Mireille Mathieu unter dem Titel „Paris en colère“ zu einem Welterfolg verhalf. Paris brannte trotz Hitlers „Trümmerfeldbefehls“ nicht. Der deutsche Befehlshaber von Paris General Dietrich von Choltitz hatte sich dem ihm bei einem Treffen in der Wolfsschanze Anfang August 1944 erteilten Befehl widersetzt, Paris, „nicht oder nur als Trümmerfeld“ in die Hand des Feindes fallen zu lassen.

Erzählte René Clement „Brennt Paris?“ als epischen Film mit großem Staraufgebot (Alain Delon, Jean-Paul Belmondo, Kirk Douglas, Gert Fröbe), so inszeniert Volker Schlöndorff seinen Spielfilm „Diplomatie“ als Kammerspiel. Denn „Diplomatie“ blendet sowohl das Vordringen der französischen Truppen unter General Leclerc und der Alliierten unter General Patton als auch die Streitigkeiten innerhalb der Résistance aus, die René Clement behandelt hatte. Schlöndorffs Film konzentriert sich vielmehr auf die Wortgefechte zwischen General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) und dem schwedischen Konsul Raoul Nordling (André Dussollier), der den deutschen Befehlshaber auf jeden Preis davon abhalten möchte, den „Trümmerfeldbefehl“ auszuführen. Auch Ort und Zeit der Handlung sind auf ein Minimum reduziert. Die Hotelsuite, in der von Choltitz residiert und die mit fiktiven, dramaturgisch äußerst wirksamen Elementen – einem durchsichtigen Spiegel, einer Tapetentür mit dazugehöriger geheimer Treppe – ausgestattet ist, verlässt die Kamera von Michel Amathieu recht selten, etwa um die Vorbereitungen für die Sprengungen zu zeigen, die Hauptmann Ebernach (Burghart Klaußner) mit einem französischen Architekten plant und Oberleutnant Hegger (Thomas Arnold) vor Ort trifft. Die Haupthandlung spielt in der Nacht vom 24. auf den 25. August 1944.

Die Gespräche zwischen dem schwedischen Diplomaten und dem deutschen General sind fiktiv. Das Drehbuch von Volker Schlöndorff und Cyril Gély basiert auf Gélys gleichnamigem Theaterstück. Bekannt ist jedoch, dass sich Raoul Nordling und Dietrich von Choltitz im August 1944 mehrmals trafen, um den Austausch deutscher Gefangener und französischer Widerstandskämpfer sowie eine Art Waffenstillstand auszuhandeln. Dazu erklärt Volker Schlöndorff: „Historisch richtig und von Cyril Gély als Ausgangspunkt verwendet ist, dass die beiden Männer sich kannten und über das Schicksal von Paris sprachen. Aus diesem Grund zogen die Alliierten den Konsul Nordling ins Vertrauen, um dem General einen Brief zukommen zu lassen, der den Vorschlag beinhaltete, durch Kapitulation die Stadt unbeschädigt zu übergeben. Wie im Film dargestellt, verweigerte von Choltitz dieses Ultimatum.“

„Diplomatie“ beginnt mit einem nächtlichen Spaziergang Nordlings durch Paris. Zu den Klängen des zweiten Satzes von Beethovens siebter Symphonie sieht der Zuschauer die Bilder der Zerstörung Warschaus Anfang August 1944. Diese Bilder vor Augen, überlegt der schwedische Generalkonsul, wie er verhindern kann, dass Paris das gleiche Schicksal wie die polnische Hauptstadt trifft. Denn General von Choltitz gilt als linientreuer Soldat – nicht umsonst wurde er persönlich von Hitler nach dem 20. Juli von der Ostfront nach Paris abkommandiert. Der 1894 geborene von Choltitz stammte aus einer preußischen Adelsfamilie und Offiziersdynastie. Er hatte 1940 an der Zerstörung Rotterdams sowie 1942 an der Eroberung von Sebastopol teilgenommen, in deren Folge SS und SD 30 000 Juden auf der Krim ermordeten. Für ihn galt das Prinzip: „Ich habe noch nie einen Befehl in Frage gestellt.“

Das lange nächtliche Gespräch teilt sich laut Volker Schlöndorff wie Musik in mehrere Sätze auf: „Zunächst das Andante, bei dem sich die beiden Figuren abschätzen und herausfinden, wie der Gegner reagiert, danach geht es über ins Furioso, das Tempo entwickelt sich hier zu atemberaubender Geschwindigkeit, gefolgt von ruhigeren Momenten.“ Von Choltitz beruft sich auf seine „Pflicht“ als Soldat. Dies lässt unwillkürlich an das Erinnerungsbuch Alexander von Stahlbergs, des Ordonnanz-Offiziers von Generalfeldmarschall Erich von Manstein „Die verdammte Pflicht“ denken – die „verdammte Pflicht“, die dazu führte, dass sich der Wehrmachtsgeneral mit den besten Aussichten auf einen Staatsstreich gegen Hitler letztlich dem militärischen Widerstand nicht anzuschließen vermochte. „Preußische Generäle meutern nicht“, hieß Mansteins Begründung. Der preußische General Dietrich von Choltitz meuterte doch, indem er den Befehl verweigerte. Ungeachtet seiner Motivation – Schlöndorffs Version erhebt nicht den Anspruch auf Authentizität – ist ihm zu verdanken, dass Denkmäler von unschätzbarem Wert der Zerstörung entgingen.

„Diplomatie“ startet im Kino fast auf den Tag genau 70 Jahre nach den Ereignissen, von denen er handelt: Nachdem General von Choltitz am 25. August den Waffenstillstand unterzeichnet und die Stadt kampflos übergeben hatte, zog General de Gaulle am 26. August 1944 unter dem Jubel der Pariser Bevölkerung in die befreite Stadt ein. Schlöndorff zeigt dies zwar nicht. Sein Film endet jedoch mit Dokumentaraufnahmen des Einzugs der alliierten Truppen in die französische Hauptstadt und der Verhaftung deutscher Soldaten.
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