LÜGEN UND ANDERE WAHRHEITEN | Lügen und andere Wahrheiten
Filmische Qualität:   
Regie: Vanessa Jopp
Darsteller: Meret Becker, Thomas Heinze, Florian David Fitz, Jeanette Hain, Alina Levshin, Elisabet Trissenaar, Lilith Stangenberg, Iljá Pletner
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: S, X
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 2/2015


José García
Foto: Wild Bunch

Vanessa Jopps Komödie „Lügen und andere Wahrheiten“ beginnt mit einigen Worten von Yoga-Lehrer Andi (Florian David Fitz) über Wahrhaftigkeit. Unsere Taten sollen mit unseren Worten übereinstimmen. Die im Film Handelnden scheinen sich allerdings genau gegen dieses Prinzip zu verhalten. Denn sie belügen sich gegenseitig, machen sich aber auch selbst etwas vor. Im Mittelpunkt des Ensemblefilms steht die Zahnärztin Coco (Meret Becker), die ihre bevorstehende Hochzeit mit dem Immobilienmakler Carlos (Thomas Heinze) akribisch vorbereitet. Je näher jedoch der Termin rückt, desto misstrauischer wird sie gegenüber Carlos. Sie kontrolliert nicht nur dessen Handy, sondern befragt sogar noch einen Psychologen nach Details, wie sie an der Körpersprache einen Lügner entlarven kann. In der Tat verschweigt ihr Carlos so Einiges, beispielsweise nicht nur dass er den Führerschein hat abgeben müssen, sondern auch dass er inzwischen so abgebrannt ist, dass der Immobilienmakler nicht einmal mehr die bestellten Trauringe bezahlen kann.

Mit ihrer besten Freundin Patti (Jeanette Hain) versteht sich Coco auch nicht mehr wie früher, teils weil Patti Cocos künftiger Ehe mit Carlos skeptisch gegenüber steht, teils weil Patti der Zahnärztin ihr Verhältnis zum jüngeren Andi verschweigt. Andi wiederum hat ein Gewaltproblem, das er zu verheimlichen sucht. Deshalb lässt er sich von Cocos Zahnarzthelferin Vera (Alina Levshin) erpressen, die ihn bei einem solchen Gewaltausbruch beobachtet hat. Denn Vera hat Geldprobleme: Ihre in Russland lebende Familie verlangt unter irgendwelchem Vorwand immer mehr Geld von ihr. Eines Tages steht ihr Bruder vor ihrer Tür und bittet sie um eine größere Summe für die angeblich dringende Beinamputation, der sich Veras Vater unterziehen soll. Ihre Lage wird noch kritischer, als ihr Coco wegen gewisser Unregelmäßigkeiten kündigt.

Vanessa Jopp und ihr Co-Autor Stefan Schneider verfassten ein halbfertiges Drehbuch, in dem zwar das Ende der jeweiligen Szenen, nicht aber die Dialoge feststanden. Deshalb mussten die Schauspieler improvisieren. Zu diesem Konzept führt die Regisseurin aus: „Das Drehbuch war sehr penibel ausgefeilt. Weil wir anschließend am Set so viel improvisieren, brauchte ich vorher eine ganz klare, feste Form, die wir dann beim Dreh gefüllt haben. Das gab den Schauspielern beim Drehen natürlich einen sehr großen Freiraum. Trotzdem spielte nicht jeder vor laufender Kamera einfach drauflos. Ich habe die Improvisationen durch vorgegebene Aufgaben der Figuren gesteuert. Alle Szenen hatten ja ein Ziel, sollten auf etwas hinauslaufen, damit der gesamte Film dadurch seine Richtung behält. Eben die, die wir uns vorher im Skript ausgedacht haben.“ Weil jedoch offensichtlich einige Darsteller besser als andere improvisieren können, zeichnet sich ihre Darstellung durch eine gewisse Uneinheitlichkeit aus.

Die lose miteinander verbundenen Geschichten, die Jopps Ensemblefilm enthält, haben eins gemeinsam: alle Charaktere in „Lügen und andere Wahrheiten“ verschweigen ihren Lieben wichtige Dinge. „Wenn man nichts sagt, ist es wie lügen“, heißt es an einer Stelle. Dass Betrug auch immer mit Selbstbetrug zusammenhängt, unterstreicht auch Regisseurin und Mit-Drehbuchautorin Vanessa Jopp: „Mir fiel bei meinen Recherchen auf, wie eng die Lügen und besonders die Selbstlügen mit den jeweiligen Vorstellungswelten und den (selbst) gebauten Identitäten der Menschen verknüpft sind.“

Zwar nimmt sich das Sujet des Filmes interessant aus. Zwar ist es spannend zu sehen, wie die unterschiedlichen Personen mit Betrug und Selbstbetrug umgehen. Weil es dem Zuschauer aber nicht klar wird, in welche Richtung sich dieses Ausloten menschlicher Unvollkommenheiten bewegen soll, entsteht eine Distanz zu diesen Figuren. Darüber hinaus sind sie so wenig sympathisch gezeichnet, dass es dem Zuschauer schwer fällt, Empathie für sie zu empfinden. Dazu kommt, dass sich Vanessa Jopp nicht deutlich zu entscheiden scheint, was für ein Film „ Lügen und andere Wahrheiten“ sein soll. Obwohl vieles leicht und witzig wirkt, bleibt bei der Verstrickung in die verschiedenen Lügengebilde ein dramatischer Grundzug. Denn das Glück, das sie suchen, rückt durch die Unaufrichtigkeiten in immer weitere Ferne.

Obwohl manche Situationen in „Lügen und andere Wahrheiten“ allzu konstruiert wirken, weil einfach vom Drehbuch vorgegeben sind, bietet Vanessa Jopp ein interessantes Sittengemälde einer Gesellschaft, die sich in der Unwahrheit eingerichtet hat. Dass dies zu einer falschen Selbsteinschätzung führt, verdeutlicht der Film ebenfalls. Dennoch lässt „Lügen und andere Wahrheiten“ den Zuschauer ziemlich ratlos zurück. Was für eine tiefe Wahrheit hinter all dem Lug und Trug stecken soll, bleibt ihm verborgen.
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