IM KRIEG – DER 1. WELTKRIEG IN 3D | Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D
Filmische Qualität:   
Regie: Nikolai Vialkowitsch
Darsteller:
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 104 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 3/2015


José García
Foto: Neue Visionen

Über den ersten Weltkrieg ist im Laufe des Jahres ausführlich berichtet worden. Der Film „Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D“ bringt jedoch eine ganz neue Sicht auf die Geschehnisse. Denn „der erste historische Dokumentarfilm in 3D und Farbe“ verwendet die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg sehr verbreitete Stereoskopie, die erste 3D-Technik der Geschichte. Die dreidimensionalen, teils handkolorierten Bilder werden mit Texten von Schriftstellern, aber auch mit Auszügen aus Briefen und Tagebüchern sowie mit Filmausschnitten aus der Zeit und mit der symphonischen Musik von Henrik Albrecht verknüpft.

Die Dreidimensionalität lässt den Zuschauer in die Geschehnisse regelrecht eintauchen: Vom Frieden im Sommer 1914 über die erste Kriegsbegeisterung, die Enge der Schützengräben und die Schrecknisse des Stellungskriegs bis zum Frieden mit den Siegesfeiern in Großbritannien und den Vereinigten Staaten sowie mit der Ausrufung der Weimarer Republik. Ein visuelles Erlebnis, das durch die Verbindung zu den Schauplätzen, so wie sie heute sind, eine Reflexionsebene einführt.


Interview mit Drehbuchautor und Regisseur Nikolai

Woran liegt es, dass bislang kein Film historische Stereoskopien verwendet hat?
Nikolai Vialkowitsch: Ich glaube, das liegt daran, dass selbst Kenner 3D für eine moderne Erfindung halten. Dabei kommt 3D tief aus dem 19. Jahrhundert. Damals war die Stereoskopie ein echtes Massenmedium. Allein die Firma Keystone hatte um das Jahr 1900 einen Ausstoß von etwa 30 000 Stereokarten pro Tag. Als sich aber plötzlich das Bild bewegen konnte, lief die Kinematografie dem alten Medium den Rang ab. Das passierte gerade zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Die Stereoskopie geriet fast völlig in Vergessenheit. Erst im neuen Jahrtausend wurde es durch das digitale Kino wieder möglich, stereoskopische Bilder so vorzuzeigen, wie sie einmal gedacht waren – in 3D.

Könnte es als Eintauchen bezeichnet werden, wenn der Zuschauer etwa die Bilder aus Ostende zu Beginn des Filmes sieht, zu denen der bekannte Text von Stefan Zweig zu hören ist?
Nikolai Vialkowitsch: Ja, es ist ein Eintauchen in eine andere Zeit. Dabei entsteht der Eindruck von Zeitreise durch einen einfachen Vorgang: In der dreidimensionalen Fotografie bemerken wir plötzlich wieder, dass die Fotografie die Zeit anhält. Das tut sie immer, aber weil es so selbstverständlich ist, entgeht es uns. In 3D spüren wir plötzlich wieder, dass die Szenerien wie eingefroren wirken. Wenn wir dann beginnen, uns durch diese eingefrorenen Szenerien zu bewegen, von einem Detail zum andern, vom Detail zum Ganzen und zurück, dann entsteht – das hoffe ich – das Gefühl von Eintauchen, von Zeitreise.

Wie aufwändig war die Suche nach den Bildern in verschiedenen Archiven und deren Zusammenstellung?

Nikolai Vialkowitsch: Zwar liegen in Berlin insgesamt mehr Stereoskopien im Archiv des DHM, aber in Fort d’Ivry nahe Paris gibt es den größten Bestand aus dem Ersten Weltkrieg, mehr als 17 000 Bilder. In allen Archiven habe ich davon profitiert, dass sehr viele Bilder bereits digitalisiert sind. Ich brauchte also nicht mühsam Negative mit dem Stereoskop zu betrachten, sondern konnte am Computer die Motive durchgehen.

„Im Krieg“ besteht nicht nur aus stereoskopischen Bildern. Sie schneiden auch zeitgenössische Filmaufnahmen hinein. Welche Funktion haben sie?
Nikolai Vialkowitsch: Meinem Cutter habe ich versucht, es mit einer Metapher zu erklären: Um eine Mauer zu bauen, brauchen wir die Stereoskopie als Steine und die Einsprengsel aus bewegtem Material als Mörtel. Bei den bewegten Aufnahmen ist mir wichtig, dass wir nicht künstlich Dreidimensionalität erzeugen. Sie sind zweidimensional. Allerdings haben wir die Ebene, auf der sich der flache Film abspielt, sich bewegen lassen: Der Film kommt aus der Tiefe auf uns zu, löst sich vor uns auf, und dann kommt der nächste flache Film aus der Tiefe nach vorne. Wir haben die zweidimensionalen Filme in den dreidimensionalen Raum gestellt. Die extremen Zeitlupen sollen das Gefühl der Zeitmanipulation unterstützen. Wir wechseln zwischen Stillstand und langsamer Bewegung.

Für die Texte haben Sie Primärquellen benutzt, etwa Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, von denen es eine ganze Menge gibt ...
Nikolai Vialkowitsch: Allein die deutsche Feldpost hat mehr als 28 Milliarden Briefe und Karten befördert. Es ist nicht möglich, auch nur näherungsweise so etwas wie „Überblick“ zu bekommen. Also habe ich fast ein Jahr lang quergelesen und sehr frei ausgewählt. Mein wichtigstes Kriterium war Sensibilität: Texte, in denen die Verfasser nicht einfach Ereignisse Beschreiben, sondern ihre eigene Betrachtung der Ereignisse entwickeln. Auch das Gerät zum Anschauen von Stereoskopien heißt „Betrachter“. Hier liegt die Verbindung. Die Stereoskopie macht den Menschen zum Betrachter, was ein Stück mehr ist als „Angucker“. Dazu gab es ein dramaturgisches Gerüst: Nach einem Prolog wird die Kriegsbegeisterung in drei Akten abgebremst, so dass es gegen Ende des Films einen echten Tiefpunkt geben muss. Das Schwierigste kam danach: Da es unsinnig ist, den Zuschauern 104 Minuten Elend vorzuspielen und sie dann dort zu lassen, müssen sie im fünften Akt wieder herausgeführt werden, in den Frieden, der – wie wir wissen – von kurzer Dauer war.

Wie haben Sie die sonstigen Texte ausgewählt?
Nikolai Vialkowitsch: Sie sprachen vorhin von Stefan Zweig, der häufig zitiert wird. Ich war so frei, zum Teil auch naheliegende Texte zu nehmen. Es gibt kaum einen Text, der so dicht beschreibt, dass noch im Frühsommer 1914 niemand sich wirklich vorstellen konnte, dass ein Krieg zwischen den Völkern Europas möglich wäre.

Was würden Sie aus den Texten hervorheben?
Nikolai Vialkowitsch: Es fällt auf, dass viele vom Tod der Kameraden, vom Getötetwerden schreiben. Kaum jemand schreibt vom Töten und Tötenmüssen. Mir war wichtig, wenigstens einen dieser Texte im Film zu haben: Ernst Toller beschreibt, wie er als Kanonier seinen ersten Schuss abgibt, wie er „Hurra“ schreit, als seine Granate in den französischen Graben einschlägt, und wie ihm das Hurra im Halse stecken bleibt.

Immer wieder zeigt der Film auch Bilder von heute. Sie stechen aus dem Film etwas heraus. Welche Funktion haben sie?
Nikolai Vialkowitsch: „Stechen“ ist interessant. Ja, sie zerstechen immer wieder die Seifenblase. Ich hätte es ungerne, wenn der Zuschauer in seinem sicheren Kinosessel sagt: „Ach, war das schlimm!“ Die Einsprengsel des heutigen Materials wollen schlicht sagen: Das alles war in einer Zeit, die man damals „jetzt“ genannt hat. Es war an einem Ort, den wir heute noch „hier“ nennen. Es war nicht weit weg, es war mitten in Europa, unter uns. Wir wollen hoffen, dass wir niemals wieder sagen müssen: Es passiert hier, es passiert jetzt.

Wie haben Sie die Filmmusik ausgewählt?
Nikolai Vialkowitsch: Sie stammt von Henrik Albrecht, der von Haus aus Hörspielkomponist ist und in der Lage, sehr handlungsorientierte Musik zu schaffen. Ihm ist es gelungen, Text und Bild mit der Musik zu verzahnen. Um ein Beispiel zu nennen: Uns fiel es auf, dass es ganz viele Aufnahmen von zerstörten Kirchen gibt. Die Fotografen wollten damit offenbar ausdrücken, dass der Krieg nicht einmal vor Kirchen Halt machte, was für sie unvorstellbar schien. Damit hatten wir eine erste thematische Insel, an deren Konzept Henrik Albrecht und ich zusammen arbeiteten.
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