WHO AM I – KEIN SYSTEM IST SICHER | Who Am I – Kein System ist sicher
Filmische Qualität:   
Regie: Baran Bo Odar
Darsteller: Elyas M’Barek, Tom Schilling, Wotan Wilke Möhring, Hannah Herzsprung, Antoine Monot jr., Trine Dyrholm, Stephan Kampwirth
Land, Jahr: Deutschland 2014
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2014
Auf DVD: 4/2015


José García
Foto: Sony

Baran Bo Odars Film „Who Am I – Kein System ist sicher“ erzählt die Geschichte von Benjamin (Tom Schilling), einem so unscheinbaren jungen Mann, dass er sich selbst für „unsichtbar“, für einen „Niemand“ hält. Aufgewachsen ist er bei seiner lieben Großmutter, nachdem seine Mutter Selbstmord beging und der Vater das Weite suchte. Jahrelang führte Benjamin das Leben eines „Computerfreaks“ ohne soziale Kontakte, ständig im weltweiten Netz. Wie es jedoch plötzlich anders wurde, davon berichtet der verstört wirkende junge Mann bei einem Verhör. Ihm gegenüber sitzt die auf Cybercrime spezialisierte Europol-Ermittlerin Hanne Lindberg (Trine Dyrholm). Mit dieser Rahmenhandlung erzählt „Who Am I – Kein System ist sicher“ in Rückblenden, wie Benjamin zu einem der weltweit meist gesuchten Computer-Hacker wurde.

Es beginnt mit Benjamins zufälliger Begegnung mit seiner Jugendliebe nach etlichen Jahren. Marie (Hannah Herzsprung) steht kurz vor ihrem juristischen Staatsexamen. Der junge Mann will ihr beweisen, dass der unscheinbare, in der Schule von allen übergangene Junge es doch noch zu etwas gebracht hat. Benjamin bietet Marie an, für sie den Computersever der Uni zu knacken, um an die Klausurfragen zu kommen. Der Anschlag geht jedoch schief: Benjamin wird gefasst und zur Ableistung von Sozialstunden verurteilt. Beim Straßenkehren lernt Benjamin den extrovertierten, vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Max (Elyas M Barek) kennen. Trotz aller Unterschiede haben Benjamin und Max die Leidenschaft fürs Hacken gemeinsam. Max erkennt sofort, dass Benjamin zu seiner Hackergruppe hervorragend passt. Ab jetzt bilden sie zusammen mit Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Paul (Antoine Monot, Jr.) die anarchistische Gruppe CLAY (Clowns Laughing@You). Ihr Ziel: Unter Beweis zu stellen, dass kein System sicher ist. Mittels Täuschung verschaffen sich die mit einer Clownmaske ausgestatteten CLAY-Mitglieder Zugang zu jedem Rechner. Das läuft teilweise sehr amüsant, etwa wenn sie bei der Wahlveranstaltung einer rechtsextremen Partei ein Videoclip mit einer Hitlerparodie in die Präsentation hineinschmuggeln.

Der eigentliche Zweck ihrer Aktionen ist es aber, den mysteriösen MRX zu beeindrucken, der von der Hackerwelt als der große Meister überhaupt allgemein anerkannt wird. Weil MRX die ganzen CLAY-Aktionen allerdings bislang nur belächelt, entscheiden sich die vier Jungs zu einer aufsehenerregenden Hackattacke: Sie wollen in den BND eindringen. Die Folgen der Aktion sind aber verheerend: Auf einmal werden sie von der russischen Cyber-Mafia verfolgt, ein Hacker wird getötet, weil er für einen V-Mann gehalten wird, und MRX wird für den Tod des vermeintlichen V-Manns verantwortlich gemacht. Das alles schildert Benjamin der Europol-Ermittlerin Hanne Lindberg mit allerlei Details. Der dänischen Polizistin kommen allerdings Zweifel an der Richtigkeit seiner Ausführungen – nicht umsonst hatte der junge Mann ihr zu Beginn gesagt: „Hacken ist wie Zaubern, bei beidem geht es darum, andere zu täuschen“.

Kameramann Nikolaus Summerer zieht alle Register: Zeitlupen, Unschärfe, außergewöhnliche Bildausschnitte, schnellgeschnittene Bilder, die mit ihrem Cinemascope-Format mit jedem Hollywood-Film mithalten können. Als genial zu bezeichnen ist aber insbesondere die visuelle Darstellung der virtuellen Welt. Regisseur Baran do Odar und Kameramann Summerer zeigen in verwaschenen Farben Menschen in heruntergekommenen U-Bahn-Waggons. Sie verbergen dadurch ihre Identität, dass sie eine Maske tragen. Ähnlich der Verschleierungstaktik im Internet kann es darüber hinaus sein, dass sich unter der Maske noch eine zweite oder sogar eine dritte befindet. Sie tauschen Daten aus, indem sie einander Päckchen („Datenpakete“) übergeben. Selbstverständlich wird in der virtuellen Welt Englisch gesprochen (diese Sätze werden im Film dann untertitelt).

Aber auch das sonstige Produktionsdesign besticht durch Detailverliebtheit – sogar die Fernsehnachrichten werden von echten Nachrichtensprechern gesprochen. Die punktgenau passende Filmmusik aus elektrischen Klängen von Boyz Noize und Royal Blood sowie ein hervorragender Schnitt lassen den Film nach einer ersten eher konventionellen halben Stunde zu einer spannenden Reise werden – nicht nur bei einer großartige fotografierten und geschnittenen Spritztour mit Porsche. Augenzwinkernd spielt das Drehbuch von Regisseur Baran Bo Odar und seiner Mitautorin Jantje Friese auf zwei der beliebtesten Filme der 1990er Jahre an: Benjamins Fahndung nach MRX in der virtuellen Welt erinnert natürlich an Neos Suche nach Morpheus in „Matrix“ (1999), seine Erzählung bei der Polizei mit ihren immer wieder neuen Wendungen wiederum an Bryan Singers „Die üblichen Verdächtigen“ (1995).

„Who Am I – Kein System ist sicher“ beweist, dass deutsche Genrefilme mit den Werken der großen Hollywoodstudios mithalten kann, sowohl in formaler Hinsicht als auch in Bezug auf die Spannung, die der Regisseur über weite Strecken des Filmes zu halten durchaus in der Lage ist. Darüber hinaus macht er den Zuschauer nachdenklich, dem die Sicherheitslücken und die Möglichkeiten zur Datenmanipulation eindrucksvoll vorgeführt werden. Wie seine Vorbilder funktioniert „Who Am I – Kein System ist sicher“ freilich auch als Thriller, der mit dem Zuschauer nach dem Prinzip der Täuschung und Gegentäuschung verfährt.

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